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«Hundert Jahre Einsamkeit» auf Netflix
Hier kommt niemand raus

Gefangen in einer archaischen Gesellschaft namens Macondo: Laura Sofía Grueso spielt Rebeca Grande.
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Der junge José Arcadio Buendía, Held aus «Hundert Jahre Einsamkeit», hat ein Problem. Prudencio Aguilar, sein Jugendfreund, will nicht verschwinden. Die beiden haben viel gelacht und gealbert, in Hahnenkämpfen ihre Viecher aufeinander losgelassen, dann hat das von José das von Prudencio besiegt, der hat einen zotigen Witz über Josés Frau gemacht, und José hat ihm seine Lanze in den Hals gejagt.

Aber der tote Prudencio taucht weiter auf in seinem Leben, an seinem Tisch, er hat tiefe Sehnsucht nach lebenden Menschen, sucht Wasser, um mit einem Grasbüschel die Wunde am Hals zu stillen, wo ihn die Lanze getroffen hat.

Das ist die Urszene, das Urtrauma des grossen Romans des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez, des Meisterstücks des magischen Realismus. Alex García López und Laura Mora haben es nun für Netflix in Kolumbien verfilmt. Die erste Staffel, acht Folgen, ist bereits verfügbar, die zweite, weitere acht Folgen, wird es im kommenden Jahr geben.

Manchmal blitzt in der Serie auf, dass das Buch auch komisch ist

José und seine Frau Úrsula werden des Dorfes verwiesen und ziehen los, mit einigen Getreuen, eine neue Bleibe zu finden, im Dschungel gründen sie den fiktiven Ort Macondo – von dem und vom Schicksal ihrer weitverzweigten Familie erzählt der Roman, über ein halbes Dutzend Generationen hinweg. García Márquez (1927–2014) hatte die Rechte zur Verfilmung nie vergeben, nach seinem Tod haben seine Söhne Rodrigo García – ebenfalls ein Filmemacher – und Gonzalo García Barcha zugestimmt, als Co-Produzenten der Serie.

Es ist, wie jeder Leser weiss, ein nicht verfilmbares Buch, in seiner Dichte und fantastischen Ausschweifung. Die Serie ist souverän und mit sehr viel Geld gefilmt, geht aber eher linear vor, ist also mehr Realismus als Magie. Die langen Kamerafahrten, die den Figuren durchs Dorf und in die Häuser folgen, beschwören nicht Weite und Beweglichkeit, sondern schliessen alle Figuren unentrinnbar eng zusammen.

Macondo ist eine archaische – nach heutigen Vorstellungen nicht immer korrekte – Gesellschaft, was die Familie angeht, die Beziehung der Männer und der Frauen, den Krieg, die Liebe, den Sex, es gibt Alchimie und Obsessionen, auch einen Fotoapparat, der das Verlangen auslöst, wirklich alles mit ihm zu erfassen. Manchmal blitzt in der Serie auf, dass dies auch ein komisches Buch ist.

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Eine Plage befällt die Stadt, die Schlaflosigkeit, die eine schlimme Folge hat – Gedächtnisverlust. «So lebten sie weiter in einer Realität, die entglitt», kommentiert der Erzähler, «die verschwand, sobald sie vergassen, was geschriebene Worte bedeuteten. Dann vergassen sie den Namen und den Sinn von Dingen.»

«Hundert Jahre Einsamkeit» auf Netflix erzählt vom kolumbianischen Bürgerkrieg

Die Menschen behelfen sich listig, indem sie – man kennt das aus literarischen Texten von Jonathan Swift oder Jorge Luis Borges, aber auch vom Kampf gegen die Demenz in unserer Zeit – die Realität beschriften, jedem Objekt eine Tafel anhängen. Und die Schönheit dieser Artefakte – Mandelbaum, Amboss, Wand – ist bewegend, ein sorgfältiges Handwerk, das gegen den Verlust des Ichs, der Vergangenheit arbeitet.

Die erste Staffel erzählt vom Bürgerkrieg zwischen den Parteien des Landes, in der zweiten wird es um Kolonialismus gehen, amerikanische Unternehmen, die das Land ausbeuten, brutal. Das utopische Macondo sollte ein Ort sein, «von dem wir träumten. An dem niemand für andere entscheidet, nicht einmal, wie sie sterben.» Eine Utopie, die nicht einlösbar ist, wie man im Verlauf der hundert Jahre lesen und sehen wird.

«Hundert Jahre Einsamkeit» läuft auf Netflix, acht Folgen.