Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Tötungsdelikt von Flaach
Vor 10 Jahren erstickte eine Mutter ihre Kinder – der Fall hallt bei der Kesb noch heute nach

In dem Dorf Flaach wurden zwei kleine Kinder getoetet. 05.01.2015
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Am Neujahrstag 2015 tötete eine Mutter ihre beiden Kinder im zürcherischen Flaach.
  • Dies führte zu grosser öffentlicher Kritik an der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde.
  • Die Mutter gestand die Tat, beging später in Haft jedoch Suizid.
  • Der Vater wurde wegen Betrugs verurteilt.

«Ich war die letzten 6 Jahre Hausfrau und Mutter und immer da für meine Kinder. Und nur weil mein Mann nun im Gefängnis sitzt, müssen meine Kinder dafür bezahlen?» Zehn Jahre ist es her, dass eine Mutter sich mit diesen Worten an diverse Schweizer Medien wandte. Niemand ahnte damals, wie gross die Verzweiflung der Frau tatsächlich war.

Nur vier Tage später, am Neujahrstag, erstickte sie ihre beiden Kinder zu Hause im zürcherischen Flaach.

Das Tötungsdelikt löste damals in der Öffentlichkeit eine beispiellose Diskussion über die Arbeit der noch jungen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) aus.

Mutter rief Polizei und flüchtete

Die Mutter hatte am 1. Januar 2015 um 21.30 Uhr der Einsatzzentrale der Kantonspolizei Zürich gemeldet, dass ihre zweijährige Tochter und ihr fünfjähriger Sohn tot seien. Die sofort zum Wohnort ausgerückten Einsatzkräfte versuchten, die beiden zu reanimieren. Vergebens.

Als die Einsatzkräfte im Haus eintrafen, war die Mutter nicht mehr da. Die Polizisten konnten die 27-jährige Schweizerin kurze Zeit später aber auffinden und verhaften. Sie hatte sich selbst mit einem Messer verletzt, jedoch nicht lebensbedrohlich.

Dem Tötungsdelikt war ein Konflikt der Familie mit der zuständigen Kesb vorausgegangen. Die Eltern der beiden Kinder waren im Dezember 2014 wegen Verdachts auf Betrug in Untersuchungshaft genommen worden. Der fünfjährige Knabe und das zweijährige Mädchen wurden daraufhin in einem Heim platziert – obwohl die Grosseltern sich zur Betreuung bereit erklärt hatten.

Nachdem die Mutter aus der Untersuchungshaft entlassen worden war, mussten die Kinder im Heim bleiben. Zwar durften die Geschwister über die Weihnachtstage zu ihrer Mutter nach Hause. Am 4. Januar hätte die 27-Jährige die beiden aber wieder zurück ins Heim bringen sollen.

Shitstorm gegen Kesb

Am Tag nach dem Tötungsdelikt nahm die zuständige Kesb Stellung und betonte, dass sie keinerlei Hinweise auf eine akute Gefährdung der Kinder durch ihre Mutter gehabt habe. Auch ein unabhängiges Gutachten kam Monate später zum Schluss, dass die Kesb die Tötung der beiden Kinder nicht hätte verhindern können. Es habe «keine Ursächlichkeit zwischen dem Handeln der Kesb und der Kindstötung» gegeben.

Der Ruf der Kesb aber war bereits schwer beschädigt. Der «Fall Flaach» löste eine beispiellose öffentliche Aggressionslawine gegen die Kesb aus – bis hin zu Morddrohungen gegen Mitarbeitende, die unter Polizeischutz gestellt werden mussten.

Aus dem tragischen Fall gelernt

Die Tötung der beiden Kinder durch deren Mutter sei ein derart dramatisches Ereignis gewesen, dass sie es nie vergessen werde, hält Karin Fischer, damalige und heutige Präsidentin der zuständigen Kesb Winterthur-Andelfingen, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA fest. Es sei teilweise verantwortungslos gewesen, wie nach der Tötung der beiden Kinder in den Medien über die Kindesschutzbehörde berichtet worden sei.

Die professionelle Behörde hatte Anfang 2013 die vorher zuständigen Vormundschaftsbehörden abgelöst, in denen Laien tätig waren. Die Kesb habe aus diesem tragischen Einzelfall die Erkenntnis gewonnen, dass es damals an Informationen fehlte, wie die neue Behörde funktionierte, sagt Diana Wider, Generalsekretärin der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes), gegenüber Keystone-SDA.

Die nötige Sensibilisierung und proaktive Kommunikation in der Bevölkerung waren laut Wider daher das «grosse Learning» der vergangenen Jahre. Dadurch habe sich auch die Berichterstattung in den Medien geändert. Heute werde sachlicher berichtet, was eine Form der Wertschätzung der Kesb-Mitarbeitenden sei, die täglich mit teils unvorstellbar schwierigen Lebenssituationen konfrontiert seien.

Mutter beging Suizid, Vater wurde verurteilt

Wenige Tage nach der Tat hatte die Mutter der getöteten Kinder zwar ein Geständnis abgelegt. Einsichtig war sie allerdings nicht. Wie Psychiater Frank Urbaniok in seinem strafrechtlichen Gutachten festhält. Er attestierte der Frau einen «instabilen Realitätsbezug». Im Gefängnis schrieb sie ihr Leben auf, bevor sie sich im Sommer 2015 schliesslich in ihrer Zelle das Leben nahm.

Der Vater der getöteten Kinder war im September 2016 vom Bezirksgericht Weinfelden TG wegen Betrugs zu 42 Monaten Freiheitsentzug und einer Busse von 1200 Franken verurteilt worden. Der Witwer sagte in seinem Schlusswort vor Gericht, die Kesb und andere Behörden treffe keine Schuld.

Er habe eine neue Lebensqualität entdeckt, nachdem er alles verloren hatte. Er wolle – wie früher – ein untadeliges Leben führen, und er habe «die Motivation, um vorwärtszugehen». Er bereue seine Taten zutiefst. Bei den Geschädigten entschuldigte er sich und versprach ihnen, alles zu tun, um ihnen ihr Geld zurückzuerstatten.