Nach dem Attentat in WienBlitzverhaftungen in Winterthur schaffen Unmut in Bern
Die Zürcher Polizei verhaftete zwei Schweizer Bekannte des Wiener Attentäters, anstatt sie zu observieren. Mario Fehr wird für diese Vorgangsweise kritisiert – und wehrt sich.
Nach dem Wiener Attentat vom 2. November mit vier Todesopfern handelte die Zürcher Kantonspolizei schnell. Oder vorschnell?
Wenige Stunden nachdem Kujtim F. in Wien vier Menschen erschossen hatte, verhaftete die Polizei in Winterthur zwei Bekannte des Attentäters. Seit dem 3. November sitzen die beiden in der Schweiz in Untersuchungshaft. Der 18- und der 23-Jährige, die beide in der Winterthurer Islamistenszene verkehrten, hatten den Todesschützen noch im Sommer in Wien besucht.
Bern übernimmt den Fall nur widerwillig
Das schnelle Einschreiten der Kantonspolizei hat Kritik von Partnerbehörden ausgelöst. Terrorexperten des Bundes, sowohl von Fedpol als auch des Nachrichtendienst des Bundes (NDB), hätten es vorgezogen, die beiden Schweizer Islamisten zu observieren, um allenfalls ein grösseres Jihadistennetzwerk zu identifizieren. Doch die Zürcher schlugen zu.
Die Verstimmung zwischen Bern und Zürich zeigte sich bereits kurz nach den Blitzverhaftungen: Die Zürcher Staatsanwaltschaft, für Terrorfälle nicht zuständig, eröffnete ein Strafverfahren wegen Verdachts auf Unterstützung einer kriminellen Organisation. Die Bundesanwaltschaft, allein für Terror zuständig, sah dazu keinen Anlass. Erst nach Tagen übernahm sie eher widerwillig den Fall aus Zürich.
Fedpol-Chefin fordert bessere Zusammenarbeit
Nun hat sich auch Fedpol-Direktorin Nicoletta della Valle kritisch geäussert. In einem «10 vor 10»-Interview zu einem jihadistisch inspirierten Anschlag in Morges VD sagte sie allgemein: «Es würde uns sicher helfen, wenn die Kantone noch mehr verpflichtet wären, sich mit uns abzustimmen. Manchmal gibt es Kantone, die vergessen, dass die Schweiz nicht allein ist.» Unkoordiniertes Vorgehen könne «unter Umständen ein ausländisches Verfahren stören oder kaputt machen».
Fedpol-Sprecherin Cathy Maret betont die Wichtigkeit der Zusammenarbeit von Bund und Kantonen: «Das Attentat in Wien hat gezeigt, dass es auf beiden Seiten Luft nach oben gibt.» Gemäss einer mit den Ermittlungen betrauten Person entsandte der Nachrichtendienst des Bundes nach dem Wiener Attentat einen Mitarbeiter zur Koordination, der weder Deutsch beherrschte, noch mit Terrorismus vertraut ist. Der NDB wollte sich dazu nicht äussern.
«Es ist Aufgabe des Kantons Zürich, Gefahren abzuwehren. Genau das hat die Kantonspolizei getan.»
Doch hat Zürich Ermittlungen gefährdet? Die Kantonspolizei weist die Kritik aus Bern zurück. «Fedpol war von Anfang an im Sonderstab ‹Wien› der Kantonspolizei Zürich integriert, und dieser stand wiederholt im Kontakt mit den Ermittlern in Wien», sagt ein kantonaler Polizeisprecher.
Auch der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr wehrt sich: «Es ist Aufgabe des Kantons Zürich, Gefahren abzuwehren und so jederzeit für die Sicherheit der Zürcher Bevölkerung zu sorgen.» Genau das habe die Kantonspolizei getan. «Die Zürcher Bevölkerung ist ihr dankbar dafür.»
Ermittlungen gegen 21 potenzielle Mittäter
Mehr als ein Monat nach der Tat in Wien ist noch immer nicht klar, wie der Attentäter an die beiden Schusswaffen, ein Kalaschnikow-Sturmgewehr aus serbischer Lizenzfertigung und eine russische Tokarew-Pistole, gekommen war. Ebenso unklar ist, wie der Täter von seiner Wohnung im Wiener Aussenbezirk Donaustadt ins Stadtzentrum gekommen war. Eine Fahrt mit einem Auto, Taxi oder der U-Bahn wird allerdings ausgeschlossen. Die Ermittlungen dazu seien noch nicht abgeschlossen, heisst es bei der Staatsanwaltschaft.
Zuletzt wurde die Öffentlichkeit Mitte November über den Ermittlungsstand informiert. Damals erklärte der Leiter einer eigens gegründeten Ermittlungsgruppe «2. November» (der Tag des Attentats), dass gegen 21 potenzielle Mittäter ermittelt werde. Allerdings soll keiner direkt am Attentat von Kujtim F. beteiligt gewesen sein.
Neun Männer sitzen in Österreich weiterhin in Untersuchungshaft. Ein zehnter wurde vor zwei Tagen, diesen Donnerstag, freigelassen, berichtet die Tageszeitung «Kurier». Ihm war finanzielle Unterstützung des Terrors vorgeworfen worden. Das bei ihm gefundene Geld seien jedoch tatsächlich seine Ersparnisse gewesen.
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