Züge lassen Haltestellen aus – Bund interveniert
Um Verspätungen aufzuholen, halten die SBB nicht an allen vorgesehenen Bahnhöfen. Verletzt das die Betriebspflicht?

Im Zug von Bern nach Zürich erfuhren die Passagiere, dass der Intercity nicht wie geplant in Brugg und Baden stoppen wird. Reisende in die Aargauer Städte mussten in Olten auf einen anderen Zug umsteigen. Grund für den kurzfristigen Fahrplanwechsel war eine Verspätung des Zugs, welche die SBB mit der Massnahme wieder aufholen wollten, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet.
Im Juni sorgte ein ähnlicher Vorfall für rote Köpfe bei den Pendlern, als sie im Intercity von Zürich nach St. Gallen erfuhren, dass dieser nicht wie geplant in Wil halten werde. Die Reisenden mussten in Winterthur umsteigen, wie das «St. Galler Tagblatt» berichtete.
«Massnahme zum Nutzen der Mehrheit»
Die SBB erklären den früheren Vorfall mit einer Türstörung in Zürich-Oerlikon, welche zu einer Verspätung von 15 Minuten geführt habe. Um diese aufzuholen, habe die Betriebszentrale entschieden, den Halt in Wil auszulassen. Damit wollte man erreichen, dass die Passagiere rechtzeitig in St. Gallen ankommen, damit sie dort ihre Anschlüsse erreichen. Zudem fuhr derselbe Zug danach nach Lausanne zurück. Die SBB erklären im «St. Galler Tagblatt», dass dank der Massnahme Verspätungen für «mehrere Tausend Passagiere» vermieden werden konnten.
Besonders ärgerlich: Ein Regionalzug nach Wil fuhr den Pendlern vor der Nase davon – halb leer, wie es in der Zeitung heisst. Die Zwangs-Umsteiger hätten wenigstens erwartet, dass die SBB schauen, dass sie die Alternativverbindung noch erwischen können.
Die Argumentation der Verspätung gilt auch für die ausgelassenen Stopps in Brugg und Baden, denn man habe einen «Dominoeffekt vermeiden» wollen, sagt SBB-Sprecher Daniele Pallecchi in der SRF-Sendung «10 vor 10». Das sei «eine Massnahme zum Nutzen der Mehrheit». Sprich: Eine Minderheit muss mit Verspätungen leben, ungeplant umsteigen und einen anderen Zug abwarten. Dafür kommt der grosse Teil der Passagiere pünktlich am Zielbahnhof an, sie erwischen ihre Anschlüsse, und der Zug kann auch rechtzeitig wieder losfahren.
Betriebspflicht verletzt?
Ob das aber überhaupt erlaubt ist, prüft nun das Bundesamt für Verkehr (BAV). Es könnte eine Betriebspflichtverletzung vorliegen, erklärt ein BAV-Sprecher gegenüber der «Aargauer Zeitung», denn grundsätzlich müssten gemäss Personenbeförderungsgesetz «alle in den Fahrplänen enthaltenen Fahrten durchgeführt» werden. Die Passagiere dürfen also darauf zählen, so zu ihrem Ziel transportiert zu werden, wie der Fahrplan das vorsieht.
Das BAV prüft nun, ob die erwähnten Ausfälle im Aargau und in St. Gallen die Betriebspflicht verletzen – oder ob diese als zulässige Ausnahmen taxiert werden können. Diese gelten normalerweise nur, wenn Haltestellen ausgelassen werden, weil diese etwa nicht oder nur beschränkt befahrbar sind, beispielsweise nach einem Unfall. Im Wortlaut heisst es, wenn die Verkehrsbetriebe die «Umstände nicht vermeiden oder deren Folgen nicht abwenden können».
Die SBB müssen nun dem BAV ihre Sicht der Dinge erklären und argumentieren, weshalb ihre Massnahme nicht gegen das Personenbeförderungsgesetz verstosse. Je nach Auslegung könnten Passagiere von den SBB sogar Schadenersatz verlangen, wenn das Auslassen der Haltestellen als Verletzung der Betriebspflicht gewertet wird. Aber selbst für gröbere Verspätungen soll es für Reisende künftig Geld geben: Eine neue Verordnung des Verkehrsdepartements sieht vor, dass es Anspruch auf Entschädigung gibt, wenn man seinen Zielort mit einer Stunde Verspätung erreicht.
«Irgendwo hat es Grenzen»
Die SBB haben bisher nicht genauer ermittelt, wie oft Haltestellen ausgelassen werden. Das fordert nun FDP-Nationalrat Thierry Burkart. Der in Baden wohnhafte Politiker ist aktiv geworden und will nun genaue Zahlen sehen. Zudem möchte er wissen, nach welchen Kriterien entschieden wird, Stopps zu annullieren. Vorerst hat er das BAV aufgefordert, dies abzuklären; er behält sich allerdings vor, einen parlamentarischen Vorstoss zu diesem Thema einzureichen.
Auch Wils Stadtpräsidentin Susanne Hartmann wehrt sich gegen die SBB. Gegenüber «10 vor 10» sagt sie: «Es ist nicht das erste Mal, dass wir von den SBB übergangen worden sind.» In letzter Zeit seien sehr viele Züge zwischen Wil und Zürich ausgefallen, dabei würden 22'000 Personen in Wil umsteigen. «Irgendwo hat es Grenzen.»
Auch die Plattform hallowil.ch berichtet bereits von mehreren Fällen, in denen Pendler nach Wil kurzfristig und ungeplant in Winterthur umsteigen mussten. Ende Mai habe eine Durchsage im Zürcher Hauptbahnhof die Pendler sogar speziell auf einen wartenden Zug verwiesen, den man anstelle des bereits überfüllten Zugs nehmen könne, nur damit dieser dann doch nicht in Wil stoppte. «So werden wir für blöd verkauft und diskriminiert», schreibt ein Pendler.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch