Ukraine-Flüchtlinge in der SchweizZehntausende brauchen ein Dach über dem Kopf
Die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge stellt die Behörden vor grosse Herausforderungen. Bislang konnten alle untergebracht werden. Doch es wird weitere Plätze brauchen.
Wohin mit dem Pferd? Auch solche Fragen stellen sich derzeit den Behörden in Bundesasylzentren: Eine Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine reiste mit Pferdeanhänger an. Pro Tag melden sich derzeit mehr als 1000 ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz. Bis am Mittwoch wurden insgesamt 6482 Personen registriert.
Wie viele noch kommen werden, weiss niemand. Justizministerin Karin Keller-Sutter sagte im Nationalrat, der Bund gehe davon aus, dass bis im Juni zwischen 35’000 und 50’000 Ukrainerinnen und Ukrainer in die Schweiz kommen könnten. Die Aussage wurde im Ausland offenbar missverstanden. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser sagte später im Bundestag: «Wir werden in ein Verteilsystem gehen müssen. Es gibt auch grossartige Angebote. Die Schweiz hat angeboten, 40’000 Geflüchtete aufzunehmen.»
Diese Zahl sei falsch, hiess es beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement auf Anfrage. Die Schweiz habe in Aussicht gestellt, sich zu beteiligen, wenn auf europäischer Ebene eine Verteilung beschlossen würde. Zahlen stünden aber noch nicht zur Diskussion.
Neu: Termin für die Registrierung
Zurzeit geht es um jene Flüchtlinge, die eigenständig in die Schweiz kommen. Der Ansturm fordert die Behörden stark heraus. Obwohl gegen 150 Personen zusätzlich für die Registrierung eingesetzt werden, kommt es zu Wartezeiten. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat nun das System angepasst. Neu können die Geflüchteten ein Onlineformular ausfüllen und erhalten dann einen Termin für die Registrierung. Krankenversichert sind sie bereits ab Eingang des Onlineformulars.
Manche mussten in den vergangenen Tagen aus Kapazitätsgründen bei der Registrierung auf später vertröstet werden. Ein Dach über dem Kopf und ein Bett hätten aber alle erhalten, sagt SEM-Sprecher Daniel Bach. Der Bund hat insgesamt 9000 Unterbringungsplätze. Momentan sind laut Bach noch etwa 2000 Plätze frei. Als Notunterkunft dienen auch Kasernen: Die Armee hat die Kaserne Bülach ZH und Bure JU zur Verfügung gestellt.
Vorgesehen ist, dass Geflüchtete mit Schutzstatus S nur kurz in den Bundesasylzentren untergebracht werden. Danach sind die Kantone zuständig. Laut Gaby Szöllösy von der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren haben die grösseren Kantone bereits mehrere Hundert zusätzliche Plätze geschaffen. In manchen Kantonen werden auch Zivilschutzanlagen in Betracht gezogen.
«Eine absolute Ausnahmesituation»
Neben der kurzfristigen Unterbringung gilt es, längerfristige Wohnmöglichkeiten zu organisieren. So sucht etwa die Zürcher Fachorganisation AOZ dringend nach geeignetem Wohnraum. Sprecher Martin Roth sagt, man schaffe zwar laufend neue Strukturen. «Aber natürlich handelt es sich um eine absolute Ausnahmesituation – unser Ziel muss sein, auch mittelfristig mit der hohen Nachfrage Schritt halten zu können.»
Die AOZ ruft Immobilienfirmen und Genossenschaften dazu auf, sich zu melden, wenn sie über Objekte verfügen, die beispielsweise für ein, zwei Jahre zwischengenutzt werden können. Sprecher Roth gibt zu bedenken: «Es ist nicht einfach, genügend Platz zu finden in einer Stadt wie Zürich, in welcher der Wohnraum knapp und teuer ist.»
Riesig ist derzeit die Bereitschaft in der Bevölkerung, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen. So stellten auf der Plattform Campax bislang rund 23’000 Privathaushalte knapp 57’000 Betten zur Verfügung. Dazu kommen über 21’000 Betten in Hotels.
Schon Hunderte an Private vermittelt
Ob die privaten Angebote tatsächlich geeignet sind, überprüft die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Sprecherin Eliane Engeler betont, die Abklärungen würden auch in der aktuellen Situation sehr vorsichtig und genau vorgenommen. «Es wird darauf geachtet, dass die Gastfamilie und die Geflüchteten möglichst gut zusammenpassen, dass etwa eine gemeinsame Sprache gesprochen wird. Bei den Gastgebern wird der Strafregisterauszug geprüft.» Ein Aufenthalt muss während mindestens drei Monaten möglich sein.
Bislang lasse sich die Administration gut bewältigen – auch dank der personellen Unterstützung von anderen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder der Caritas. Wenn eine geflüchtete Person oder eine Familie sich eine Gastfamilie wünsche, stehe in der Regel innert Stunden ein passendes Angebot bereit. 481 Personen erhielten seit Samstag auf diese Weise eine Bleibe.
Die Behörden machen sich auch Gedanken über die Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Bundesrätin Keller-Sutter hat sich am Mittwoch mit den Sozialpartnern ausgetauscht. Wer arbeiten will, braucht eine Bewilligung der kantonalen Arbeitsmarktbehörden. Diese müssen vor allem prüfen, ob die Arbeits- und Lohnbedingungen orts-, berufs- und branchenüblich sind.
Personen mit Schutzstatus S sollen ausserdem von der Integrationsvorlehre profitieren. Für die praktischen Fragen rund um die Arbeit wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Doch: «Priorität hat erst mal, dass alle ein Dach über dem Kopf haben», sagte Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi.
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