Zahlen gegen ZweifelWarum dieser FCZ das Zeug zum Spitzenteam hat
Niemand in der Liga hat weniger den Ball, kaum ein Team übt weniger Druck aus. Aber der FC Zürich glänzt unter Bo Henriksen dort, wo es wirklich zählt.
Anschnallen bitte! Wer sich auf den FC Zürich einlässt, darf von etwas ausgehen: dass die Resultate so unberechenbar sind wie die durchschnittliche Reparaturzeit eines handelsüblichen Gotthard-Basistunnels. Vom Meister zum Abstiegskandidaten zum Leader innerhalb von etwas mehr als einer Saison? Kein Problem für den FCZ.
Jetzt sind die Zürcher also wieder mal im Hoch. Platz eins in der Liga nach vier Spielen. Und natürlich stellt sich die bange Frage: Ist das alles Zufall? Oder kann der aktuelle Erfolg nachhaltig sein?
Man könnte sich dazu bei Ancillo Canepa erkundigen, der zuletzt erfrischend nüchtern reagiert hat. Der FCZ-Präsident will vorerst mal gar nichts von der Frage wissen, ob da wieder ein Überraschungsmeister heranwächst.
Man könnte auch Bo Henriksen befragen. Der Trainer verspürt grosse Lust darauf, in dieser Saison eine Überraschung zu schaffen: «Es macht Spass, besser zu sein als die Erwartungen.»
Oder man schaut auf die Statistiken jenseits von Punkten und Toren. Und reibt sich erst einmal die Augen. Ballbesitz? Kein Team hat weniger den Ball als der FCZ. Druck auf den Gegner? Nur Yverdon lässt die Konkurrenz länger unbehelligt als die Zürcher. Pässe gegen vorne? Zweittiefster Wert der Liga. Dasselbe bei Vorstössen mit dem Ball am Fuss.
So geht es immer weiter. Dribblings? Rang elf von zwölf. Hohe Flanken? Nicht das Ding der Zürcher. Flache Bälle vors Tor aber auch nicht. Niemand in der Liga spielt weniger Pässe. Aber einfach weit nach vorne gedroschen wird der Ball auch nicht.
Wie geht das alles zusammen? Der FCZ ist Tabellenführer – und gleichzeitig fragt man sich, wie das Team überhaupt in die Angriffszone kommt? Bo Henriksen lacht, als er die Frage hört. Nicht, dass der Däne zu jenen Trainern gehört, die sich über Statistiken lustig machen. Im Gegenteil: «Ich bin dazu erzogen worden, auf Daten zu achten. Sie lügen nicht.» Aber er sagt: «Sie haben sich die falschen Zahlen angeschaut.»
Für den Datenliebhaber Henriksen gibt es einen Wert, der über allem steht: xG, ausgesprochen Ex-Dschi. Die Abkürzung steht für expected goals, erwartbare Tore. Einst war der Wert als Spielerei für Fussball-Hipster verschrien. Inzwischen hat er sich durchgesetzt.
Bei xG erhält jeder Abschluss einen Wert zwischen null und eins, der die Wahrscheinlichkeit beziffert, dass der Ball im Tor landet. Ein Elfmeter etwa hat einen xG von 0,76. Weil 76 Prozent aller Elfmeter verwandelt werden.
Mit xG kann unabhängig von real erzielten Toren geschaut werden, wie erfolgversprechend eine Mannschaft unterwegs ist. Wer sich im Schnitt mehr und bessere Torgelegenheiten herausspielt, hat schliesslich bessere Aussichten auf einen Sieg.
Die FCZ-Kurven gehen in die richtige Richtung
«Meine Aufgabe ist es, die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass wir die Spiele gewinnen», sagt Henriksen. Und stellt darum mit einem gewissen Stolz fest: «In allen vier Ligaspielen dieser Saison hatten wir den besseren xG-Wert als der Gegner.» Heisst: Der FCZ hat nicht zufällig gewonnen.
Tatsächlich kann Henriksens Wirken in Zürich mit einem Blick auf die erwartbaren Tore und Gegentore faszinierend exakt nachvollzogen werden. Unter seinem Vorgänger Franco Foda verlor das Team nicht, weil es Pech hatte. Die Gegner kamen schlicht zu besseren Chancen als der FCZ. Als Henriksen übernahm, konzentrierte er sich darum darauf, Tore zu verhindern. Gleichzeitig erspielten sich die Zürcher selber auch weniger Gelegenheiten.
Henriksen war der Fussball zu negativ
«Damals ging es darum, dass sich die Spieler wieder sicher fühlen auf dem Feld», erklärt Henriksen, «sie haben unter meinem Vorgänger etwas Neues versucht und sich nicht wohlgefühlt.» Also liess er einen ähnlichen Fussball spielen wie sein Vorvorgänger und Meistertrainer André Breitenreiter.
Aber jetzt sieht Henriksen den Moment gekommen, anders aufzutreten: «Mir war der Fussball zu negativ, den wir gespielt haben. Ich will nicht wieder um die Ränge sieben bis neun spielen. Wer etwas erreichen will, muss etwas riskieren.»
Die Daten sprechen dafür, dass der Plan aufgehen kann: Die Zürcher erspielen sich in der neuen Saison mehr Torchancen und lassen gleichzeitig weniger zu. Das aktuelle Hoch ist also kein Produkt von Zufall oder Glück – der FCZ hat tatsächlich das Zeug zum Spitzenteam.
Müsste nur noch geklärt werden, was die Zürcher denn so gut machen – ausser defensiv solid stehen. Aber vielleicht ist die Frage falsch gestellt. Weil es vermutlich mindestens so sehr um das Wann geht wie um das Was.
Der FCZ greift unter Henriksen nicht häufig hoch an – ausser es ist erfolgversprechend. Wie bei allen drei Toren gegen Lugano. Er möchte schon den Ball haben – ausser er liegt bereits in Führung. Er schiesst nicht besonders viel – aber wenn, dann aus aussichtsreicher Lage. 67 Prozent seiner Schüsse gibt er innerhalb des Strafraums ab. Also dort, wo die Wahrscheinlichkeit auf ein Tor besonders hoch ist.
Alles am Spiel der Zürcher ist darauf angelegt, im richtigen Moment intelligente Entscheidungen zu treffen. Bo Henriksen glaubt, dass das dereinst richtig attraktiv aussehen wird. Vorerst ist es vor allem eins: erfolgreich. Es gibt Schlimmeres.
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