Wo Wind und Wasser das Sagen haben
Wer einen Segeltörn mit dem Eglisauer Kapitän Mario Jusufovic unternimmt, der hat sich den Urgewalten anzupassen. Zur Belohnung entdeckt er beispielsweise die Vielfalt der Karibik und lernt, was «Liming» bedeutet – oder wieso die Romantik einsamer Inseln täuschen kann.

Mit geballter Kraft bläht der Wind die Segel der Nala und lässt die Jacht über das tiefblaue Wasser des Atlantiks schiessen, einer neuen Karibikinsel entgegen. Ein Segeltörn wie derjenige im vergangenen Januar unter dem Kommando von Kapitän Mario Jusufovic lässt nicht zu, dass man seine Ferien akribisch plant; an Bord bestimmen Meer und Wind den Tagesablauf. Doch der Reihe nach.
Ein segelndes «Seemonster»
Der Eglisauer Mario Jusufovic ist 46 Jahre alt, studierter Ingenieur und besitzt ein Unternehmen für den Bau und die Reparatur von Booten. Zu Beginn seiner Karriere auf See steuerte er Motorjachten für Gutbetuchte über die Ozeane. «Eines Tages konnte ich aber nicht mehr akzeptieren, wie viel Sprit so ein Boot verbraucht und wie das der Natur schadet», erzählt er. Kurzerhand wechselte er sein Handwerk und erlernte das Segeln. «Alles, was ich wollte, war, auf dem Meer unterwegs zu sein.»
Der Zürcher Unterländer, der inzwischen mehrere Segeltörns pro Jahr anbietet (siehe Kasten), ist eine imposante Erscheinung: gross und stämmig, mit Dreitagebart, schulterlangem Haar und nautischen Tätowierungen auf dem braun gebrannten Oberkörper. «Seemonster» nennt ihn die Crew zeitweise neckend, und der Kapitän erhebt keine Einwände.
Nicht zu unterschätzen ist indes die sanftere Seite des Bosses an Bord: Hat er eben noch mit seiner Angel einen stattlichen Fisch an Deck gewuchtet, übermannt ihn kurz darauf die Traurigkeit über das verlorene Leben, und er dankt dem Tier und dem Ozean. Fehlenden Respekt gegenüber der Natur und den Einheimischen duldet er genauso wenig wie Missstimmung an Bord. Darum stopft er sein Schiff nicht blindlings mit Kunden voll, wie dies andere Anbieter tun, sondern achtet auf die Harmonie im Team. «Nur dann funktioniert die Crew immer», erklärt er.
Die Vielfalt des Ozeans
Drei Wochen lang segelt Mario Jusufovic mit seiner achtköpfigen Mannschaft auf der Nala durch die Karibik. Der Heimathafen des 14 Meter langen und acht Meter breiten Katamarans findet sich auf der Insel St. Martin, und dort gehen die Schweizer nach einem Grosseinkauf an Bord: Neun Einkaufswagen voller Toilettenpapier, Putzmittel, Esswaren, Wasser und Hochprozentigem hieven sie ächzend an Deck.
Dann endlich geht es los über den Ozean, und bereits am ersten Abend sind die Gesichtszüge der Reisenden sichtlich gelöst. Dies dürfte zugegebenermassen auch an der sich stetig leerenden Flasche Rum liegen. Hauptverantwortlich ist aber das Segelerlebnis, das trotz anfallender Arbeiten – wie Segel setzen, putzen, kochen und dergleichen – entspannend wirkt, ohne dass Langeweile aufkommt. «Ich habe heute zum Beispiel stundenlang aufs Meer geschaut», sagt Crewmitglied Susanne Wall aus Hittnau, «und es war nicht einen Moment dasselbe wie im Moment zuvor.»
Meeresbewohner zeigen sich
Ein Langweiler ist Meeresgott Neptun wahrlich nicht; er scheint der Crew der Nala gar besonders wohlgesonnen und präsentiert ihr das ganze Spektrum an dem, was der Ozean in diesen Breitengraden zu bieten hat.

Einmal funkelt das Wasser in einem Türkisblau, als hätten die Produzenten von Reiseprospekten mit Photoshop nachgeholfen. Ein andermal bäumt sich das Meer zu marineblauen Wellenbergen auf, was manches Crewmitglied zu einer Pille gegen Seekrankheit greifen lässt.
Wale und Mantarochen schrauben sich aus dem Wasser empor, Schildkröten schwimmen neben Schnorchlern einher und Delfine lassen ihre Körper im Kielwasser von einer Seite auf die andere schnellen wie Skifahrer im Pulverschnee. Zudem ist das Fischerglück den Seglern hold. Und so verspeisen sie des Öfteren würzigen Thunfisch-Tatar oder gegrillte Goldmakrelen-Filets, während die Sonne rot leuchtend im Meer versinkt.
Die Kariben und ihr «Liming»
Die Karibik umfasst etwa 7000 tropische Inseln und zählt rund 40 Millionen Einwohner. Gewöhnungsbedürftig ist für Herr und Frau Schweizer die Gemütlichkeit der Kariben. Statt sich aber über die herrschende Langsamkeit aufzuregen, tut der Reisende gut daran, die Kunst des «Liming» zu erlernen: So nennen die Einheimischen das gänzlich entspannte, bewusste Nichtstun.
Ich habe heute stundenlang aufs Meer geschaut, und es war nicht einen Moment dasselbe wie im Moment zuvor.
Die Crew steuert neben St. Martin auch St. Barth, Anguilla, die Britischen Jungferninseln sowie Antigua und Barbuda an. Manchmal spazieren die Segler über kilometerlange weisse Sandstrände oder rollen mit Motorrädern an Seen voller Flamingos vorbei.
Sie inspizieren das von Reichen bevölkerte Städtchen St. Barth, wo nicht nur die in der Karibik weitverbreitete Herzlichkeit, sondern auch ein Heer an Schönheitschirurgen das Lächeln der Einheimischen prägt. Und sie erkundigen die Insel Sandy Cay, wo unzählige Einsiedlerkrebse und Echsen hausen. Für romantische Ausflüge am Abend ist das einsame Eiland allerdings nicht geeignet, denn dann wird die tierische Einwohnerschaft durch Abertausende Moskitos ergänzt.
Und so ziehen die Tage dahin, während die Schweizer immer wieder jauchzend und fluchend das Brettspiel «Brändi Dog» spielen oder unter dem Sternenhimmel über allerlei Themen diskutieren. Oft dröhnt dazu Musik aus den Lautsprechern, und manchmal johlen alle mit, ohne dabei sonderlich auf ihr jeweiliges Gesangstalent zu achten.
Eine Gemeinschaft auf See
Ja, die Crew mag ein bunt zusammengewürfelter Haufen sein, aber das Meer hat sie längst zusammengeschweisst: Der Ozean ist eine gemeinsame Leidenschaft genauso wie eine dauernde Herausforderung, die man zusammen meistert.
Aus unterschiedlich alten, unterschiedlich denkenden Menschen ist eine Gemeinschaft geworden, die ohne Murren akzeptiert, dass Wind und Meer bestimmen, wohin sie wie schnell zu gelangen vermögen, was sie essen, was sie zu tun haben, was es zu bestaunen gibt. «Wer nicht bereit ist, sich der Natur zu beugen, ist hier fehl am Platz», sagt Jusufovic. «Jeder andere sollte diese Art des Reisens ausprobieren. Er wird bald nur noch schwer ohne das Segeln leben können.»
Diese Reise wurde unterstützt von Yachtmaster.ch.
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