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Corona in China
Wissenschaftler warnen vor bis zu einer Million Toten

Die Strassen in Peking sind auffallend leer.
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Nicht einmal zwanzig Minuten soll es dauern, dann erhalten die Patienten ihre Medikamente. Das berichtete das Staatsfernsehen am Mittwochabend in einem Beitrag über behelfsmässige Fieberkliniken in Peking. Zu sehen ist eine fast menschenleere Turnhalle im Stadtzentrum, in der Rettungszelte aufgebaut wurden. Nur einige scheinbar gesunde Menschen stehen an, um Medikamente abzuholen.

In den sozialen Medien waren zuvor Aufnahmen geteilt worden, die überfüllte Spitäler in Peking, Shanghai, Guangzhou und anderen Städten in China zeigten. Viele Menschen posteten ihre positiven Corona-Testergebnisse, Firmen und Spitäler berichten von sehr hohen Krankenständen.

Nicht die besten Impfstoffe verwendet

Eine Woche nachdem die Regierung abrupt fast alle Corona-Massnahmen ihrer Null-Covid-Strategie aufgehoben hat, ist die sich aufbauende Corona-Welle in den Staatsmedien bisher kaum ein Thema. Innerhalb weniger Tage hat die Kommunistische Partei ihre zentrale Botschaft geändert. Drei Jahre lang inszenierte sie sich als kompromisslose Hüterin, die im Gegensatz zum dekadenten Westen den Schutz von Menschenleben über alles stellte. Jetzt heisst es plötzlich, vor allem sei jeder Mensch selbst für seine Gesundheit verantwortlich.

Es wirkt, als wollte die Parteiführung keine Verantwortung mehr übernehmen für das, was in den nächsten Wochen und Monaten auf das Land zukommen könnte. Vor allem ältere Chinesen sind nicht ausreichend gegen Corona geimpft, ausserdem hat das Land nicht die besten Impfstoffe verwendet. Und eine durch frühere Infektionen erworbene Immunität gibt es wegen der wenigen Infektionsfälle in der Bevölkerung kaum.

Eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern aus Hongkong warnt vor bis zu einer Million Toten, sollte die Regierung an der unkontrollierten Öffnung festhalten. Eine hohe Ansteckungsrate könnte «in einer hohen Zahl von Infektionen enden, die möglicherweise die Bildung von Mutationen, den Selektionsdruck und die Evolution des Coronavirus beschleunigen», heisst es in der Studie, an der auch Gabriel Leung beteiligt war, der frühere Dekan der medizinischen Fakultät an der Universität Hongkong. Der Bericht, der zu Teilen von Chinas oberster Seuchenbehörde finanziert wurde, drängt Peking dazu, die Menschen so schnell wie möglich mit Booster-Impfungen und Medikamenten zu versorgen.

Die KP scheint vermeiden zu wollen, dass die Lockerungen als eine Reaktion auf die wachsenden Wirtschaftsprobleme oder die Proteste wirken.

Von möglichen Versäumnissen will die Regierung bisher nichts wissen. Auf der Titelseite der Volkszeitung, Chinas wichtigster Parteizeitung, hiess es am Donnerstag, die Null-Covid-Strategie werde «den Test der Geschichte» bestehen, sie habe «wertvolle Zeit gewonnen» und Menschen während der «heftigsten Phase» geschützt. China habe keine Angst mehr vor «weiteren Mutationen des Virus». Man habe genug Systeme und Medizin, um die Grundlage zu legen für einen «vollumfänglichen Sieg» im Kampf gegen das Virus.

Der aussergewöhnlich prominente Kommentar zeigt, wie schwierig es Peking fällt, die abrupte Kehrtwende in seiner Corona-Politik zu erklären. Die KP scheint vermeiden zu wollen, dass die Lockerungen als eine Reaktion auf die wachsenden Wirtschaftsprobleme oder die Proteste wirken. Ende November waren zum ersten Mal seit 30 Jahren landesweit und schichtübergreifend Menschen gegen die Corona-Regeln auf die Strasse gegangen.

Die Angst der Chinesen

Die Botschaft der Volkszeitung: Parteichef Xi Jinping lag von Anfang an richtig. Die Lockerungen kämen jetzt mit den «schwächeren Varianten», wie es in dem Bericht heisst. Die Partei zeichnet in der Zeitung das Bild eines Landes, das wieder zum Leben erwacht. Voll ausgelastete Fabriken, gut bestückte Supermärkte und Menschen, die wieder befreit auf den Strassen unterwegs sind. Der Kontrast zur Realität könnte nicht grösser sein. Obwohl Chinas Führung die Ausgangsbeschränkungen fast komplett aufgehoben hat, waren Pekings Strassen in den letzten Tagen auffällig leer.

Die Hauptstadt kämpft mit dem grössten Ausbruch seit Pandemiebeginn. Auch ohne staatlich angeordneten Lockdown sind in Shoppingmalls, Restaurants und U-Bahnen kaum Menschen unterwegs. Viele Chinesen fürchten sich vor einer Infektion, haben Angst, im Fall eines schweren Verlaufs keine medizinische Hilfe zu erhalten. In den Apotheken fehlt es seit Bekanntgabe der Lockerungen an Fiebermedikamenten.

Zweifel an Todeszahlen

Andere berichten in den sozialen Medien erleichtert über ihre Covid-Erkrankung. Auch wenn Versammlungen nicht mehr möglich sind, scheint bei vielen die Wut fortzubestehen. Manche teilen Statements der Gesundheitsbehörden aus den letzten Monaten, die bis vor kurzem noch eindringlich vor der Gefährlichkeit des Virus warnten und jetzt das genaue Gegenteil behaupten. Im Netz ist eine Debatte über die Frage entbrannt, ob die Regierung sich entschuldigen muss – auch wenn die meisten Beiträge schnell wieder gelöscht werden.

Wie heftig die Welle inzwischen ist, lässt sich kaum abschätzen. Seit Ende der Restriktionen sinken die Infektionszahlen, allerdings wird seitdem auch nicht mehr so viel getestet. Erkrankte müssen sich bei einem positiven Selbsttest nicht aktiv melden. Dazu dokumentiert China keine «asymptomatischen Fälle» mehr, also Infizierte, die nicht ins Spital müssen. Grossen Zweifel gibt es auch an den Todeszahlen, die bereits während des zwei Monate andauernden Lockdown in Shanghai im Frühjahr auffällig gering ausfielen.