Wirtschaft im RückblickVergleich zeigt: Die Schweiz steht erstaunlich gut da
Weder Pandemie noch weltweite Inflation haben der Schweizer Wirtschaft nachhaltig geschadet – eine Ausnahme, wie ein Blick in viele andere Länder zeigt.
Die Schweizer Wirtschaft ist im dritten Quartal – bereinigt um saisonale Effekte und Sportevents – um 0,27 Prozent gewachsen. Das hört sich nach wenig an – und ist es auch: Im längerfristigen Schnitt nimmt das Bruttoinlandprodukt in der Schweiz jedes Quartal um 0,4 bis 0,5 Prozent zu. Die hiesige Wirtschaft wuchs von Juli bis September also nur halb so rasch wie sonst üblich.
Die mässigen News passen ins aktuelle Konjunkturbild. Bereits im zweiten Quartal kam die Schweizer Wirtschaft kaum vom Fleck. Und auch für die kommenden Quartale sind die Perspektiven nicht besser: Die Auftragsbücher von Industriefirmen füllen sich nur schleppend, die Stimmung ist schlecht.
Anlass zur Sorge ist also durchaus gegeben. Doch der kurzfristige Blick auf ein paar Quartale verdeckt etwas Wesentliches: Die hiesige Wirtschaft steht angesichts der enormen Verwerfungen der letzten Jahre gar nicht so schlecht da. Im Gegenteil: Sie hat die Corona-Krise rasch weggesteckt und fast nahtlos an den Wachstumspfad angeknüpft, den sie in den Vorjahren beschritten hatte.
Dieses Ergebnis ist alles andere als selbstverständlich. Die Corona-Pandemie hat die schärfste Rezession seit Jahrzehnten verursacht. Branchen wie der Tourismus waren über Monate hinweg lahmgelegt. Es kam zu Lieferengpässen im weltweiten Handel. Kurz danach brach der Krieg in der Ukraine aus. Als Folge davon wurden Energie und Nahrungsmittel weltweit deutlich teurer.
Auch die Schweiz hat dies getroffen. Im Jahr 2020, also während der Pandemie, brach das Bruttoinlandprodukt zeitweise um 8 Prozent ein. Doch schon 2021 war die Scharte wieder ausgewetzt. Und seit Sommer 2022 produziert die hiesige Wirtschaft wieder Güter und erbringt Dienstleistungen, als hätte es die Pandemie nie gegeben. Quartal für Quartal nimmt die Wertschöpfung zu.
EU-Wirtschaft hinkt ihrem Potenzial hinterher
Das ist umso erstaunlicher, als es rund um die Schweiz deutlich schlechter läuft. Die Europäische Union hat die jüngsten Krisen weniger gut weggesteckt. Zwar setzte auch hier kurz nach der Pandemie der Aufschwung ein. Doch Ende 2021 geriet er ins Stocken. Und seit im Februar 2022 Russland in der Ukraine einmarschiert ist, wächst die europäische Wirtschaft fast gar nicht mehr.
So klafft zum Vorkrisentrend eine markante Lücke. Um satte 4 bis 5 Prozent hinkt die EU-Wirtschaft heute ihrem Potenzial hinterher, das sich aus einer Fortschreibung des Wachstumspfads von 2014 bis 2019 ergeben würde.
Damit wiederholt sich ein bekanntes Muster. Schon nach der Finanzkrise war die Wirtschaft in Europa nur schleppend in die Gänge gekommen – was mit ein Grund für die darauffolgende Eurokrise war. Anders als damals sind es heute aber nicht primär die «peripheren» Länder, die Schwierigkeiten haben: Italien etwa liegt nur knapp hinter dem Trend (–1,8 Prozent), und Griechenland übertrifft diesen sogar deutlich (+5,1 Prozent). Dagegen stagniert die Wirtschaft in Deutschland, der einstigen Wachstumslokomotive Europas (–6,5 Prozent).
Die Exporte nach China leiden
Ein Grund, der das erklärt, ist die Abhängigkeit von China. Industriefirmen aus Deutschland sind stark auf den chinesischen Markt ausgerichtet. Doch die Exporte nach China leiden, weil China selbst mit Problemen zu kämpfen hat, unter anderem mit einer geplatzten Preisblase im Immobiliensektor.
Anders als nach der Finanz- und Eurokrise kann die Regierung diese Probleme aber nicht lösen, indem sie Geld druckt und dieses über die Staatsbanken zu den Unternehmen schleust – dafür wurden in der Vergangenheit schon zu viele Schulden angehäuft. Stattdessen muss Peking Reformen durchsetzen, was die Wirtschaft bremst. So hinkt derzeit auch China dem Vorkrisentrend hinterher.
In starkem Kontrast dazu stehen die Vereinigten Staaten. Die dortige Wirtschaft zeigt sich seit der Pandemie überraschend robust. Alle Befürchtungen, dass es wegen der gestiegenen Inflation und der restriktiveren Geldpolitik zu einer Rezession kommen könnte, erwiesen sich zuletzt als falsch. Ähnlich wie die Schweiz haben die USA zu ihrem längerfristigen Wachstumspfad aufgeschlossen.
Das kann sich aber auch wieder ändern. Denn die amerikanische Konjunktur war zuletzt stark von der Fiskalpolitik unterstützt: Die Regierung von Joe Biden hat die Ausgaben erhöht, ohne zusätzliche Steuern zu erheben. Ein exorbitantes Staatsdefizit hält die Wirtschaft seit Beginn der Pandemie bis heute am Laufen.
In einer dauerhaften Schieflage können die US-Finanzen aber nicht bleiben. Und so steht auch in den Vereinigten Staaten irgendwann eine Konsolidierung an. Wann sie angepackt wird, ist unklar. Doch je länger damit gewartet wird, desto tiefer werden die nötigen Einschnitte – und desto stärker wird der Gegenwind, der dannzumal auch der amerikanischen Wirtschaft entgegenbläst.
Das weltwirtschaftliche Umfeld wird dadurch nicht einfacher. Wie gut die Schweizer Wirtschaft damit zurechtkommt, bleibt abzuwarten. Gelingt es in den kommenden Jahren, nur schon den längerfristigen Wachstumstrend einigermassen zu halten, so wäre dies bereits ein Riesenerfolg.
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