Griechischer Unabhängigkeitskrieg«Wir sind alle Griechen»
Vor 200 Jahren begann der Freiheitskampf der Hellenen gegen die osmanische Fremdherrschaft. Über einen Konflikt, der bis heute lange Schatten wirft.
Es ist der 25. März 1821, so zumindest will es die Überlieferung; so fällt der spätere Nationalfeiertag günstigerweise auch noch auf den Tag von Mariä Verkündigung. Vor dem Kloster Agia Lavra, auf der Insel Peloponnes, segnet der Metropolit Germanos von Patras eine Flagge, blaues Kreuz auf weissem Grund, dann hisst er sie. Der Aufstand gegen die osmanischen Herrscher hat jetzt kirchlichen Segen. Seine schlichte Formel: «Freiheit oder Tod!»
Seit fast vier Jahrhunderten herrschen die Osmanen über Griechenland. Während griechische Kaufleute und orthodoxe Kleriker unter den Osmanen durchaus einige Privilegien geniessen, leben weite Teile der Bevölkerung in Armut. Bauern müssen Land von türkischen Grossgrundbesitzern pachten, Waffen tragen dürfen sie nicht, Pferde reiten auch nicht, und sie müssen deutlich höhere Abgaben zahlen als Muslime. Wer nicht zum Islam konvertiert, bleibt ein Mensch zweiter Klasse.
Aber auch wenn die Eroberung der alten griechisch-byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel 1453 noch immer als Trauma und tiefe Kränkung weiter schwelt, so sind sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei Weitem nicht alle Hellenen darin einig, dass die Fremdherrschaft dringend abgeschüttelt werden müsse. Sie geniessen zumindest eine gewisse Autonomie im Ausüben ihres orthodoxen Glaubens, manche von ihnen steigen im osmanischen Herrschaftsapparat in hohe Ämter auf.
Voreiliges Kalkül des Geheimbundes
Es ist also keineswegs garantiert, dass der Aufstand zum Erfolg führt – sein eigentlicher Beginn ist sogar erbärmlich gescheitert. Einen Monat, bevor der Metropolit Germanos die revolutionäre Fahne hisst, hat der Freiheitskämpfer Alexandros Ypsilantis mit seiner etwa 500 Mann starken «Heiligen Kompanie» den Pruth überquert, einen Nebenfluss der Donau, der die Grenze zwischen dem Osmanischen und dem Russischen Reich bildet.
Ypsilantis entstammt einer Familie von Fanarioten, griechisch-orthodoxen Unternehmern aus einem Stadtteil Konstantinopels namens Fanari, in dem auch der orthodoxe Patriarch seinen Sitz hat, das Haupt der griechischen Kirche. Ypsilantis hat sich als einer von wenigen Fanarioten den Philiki Etaireia angeschlossen, der «Gesellschaft der Freunde», einem Geheimbund, der die Griechen von der Fremdherrschaft durch die Osmanen befreien will. Die autonomen rumänischen Fürstentümer an der Donau sind aus Ypsilantis’ Sicht eine naheliegende erste Station für den Aufstand: Er, der als Generalmajor im Dienst der russischen Armee steht, hofft, dass sich die Russen auf die Seite der Philiki Etairea schlagen werden. Und sind nicht die Rumänen der osmanischen Herrschaft ebenso überdrüssig wie die Griechen?
«Gefangene machten sie selten.»
Das Kalkül erweist sich als voreilig. Von einer militärischen Unterstützung des Geheimbunds wollen die Russen nichts wissen. Und die Rumänen sind zu einem Aufstand gegen die Osmanen ebenso wenig zu bewegen: Zwar brodelt in den Donaufürstentümern seit Langem der Unmut über Armut, Landknappheit und hohe Abgaben, doch der Zorn richtet sich weniger gegen die Osmanen als gegen die rumänische Oberschicht der Bojaren – und gegen jene griechischen Fanarioten, die dort höchste Ämter im osmanischen Machtapparat bekleiden. Die Truppen des Sultans schlagen den Aufstand von Alexandros Ypsilantis leicht nieder, er flieht nach Österreich und stirbt 1828 in Wien, zwei Jahre vor der Befreiung Griechenlands.
Die wird vor allem auf der Peloponnes vorangetrieben. Dort gelingt es den Aufständischen, mehrere Städte einzunehmen, «Gefangene machten sie selten», so fasst die Münchner Historikerin Marie-Janine Calic das oft äusserst brutale Vorgehen gegen die muslimische Bevölkerung zusammen. In der Stadt Tripolitsa etwa massakrieren sie mehr als 6000 Menschen, und, wie Calic schreibt, «Lebenden und Toten wurden alle Kleidung und Wertsachen abgenommen. Für die abgeschlagenen Köpfe erhielten die Rebellen – wie auch bei den Osmanen üblich – ein Kopfgeld.»
Glaubenskrieg zwischen Christen und Muslimen
Und die Herrscher schlagen nicht minder brutal zurück. Während des Ostergottesdienstes wird der Ökumenische Patriarch Grigorios V. von Konstantinopel nach draussen gezerrt – obwohl er sich von Ypsilantis’ Feldzug distanziert, ja die Aufständischen sogar exkommuniziert hat. Dennoch wird er «am Ostersonntag in vollem Ornat von einem hauptstädtischen Mob gelyncht, der sich dabei zumindest der wohlwollenden Billigung der osmanischen Staatsorgane sicher sein konnte», wie Ioannis Zelepos in seiner «Kleinen Geschichte Griechenlands» schreibt. Später wird auf Zypern «neben dem Erzbischof auch der gesamte höhere Klerus umgebracht».
Die religiöse Komponente des Aufstands, Christen gegen Muslime, tritt so immer mehr in den Vordergrund. Im Dezember 1821, noch während die Kämpfe an vielen Orten wüten, tritt die erste griechische Nationalversammlung zusammen, erst in Argos, dann in Epidauros, und proklamiert zum 1. Januar 1822 die Unabhängigkeit Griechenlands. In der «temporären Verfassung» heisst es etwa: «Alle autochthonen Bewohner des griechischen Territoriums, die an Jesus Christus glauben, sind Griechen.»
Überschwängliche Welle der Sympathie
Weiter westlich in Europa löst die Kunde von der griechischen Revolution eine Welle der Sympathie aus, die mitunter leicht ins Irrationale schwappt. In Deutschland, in England, in der Schweiz, Frankreich, Italien, ja sogar in den USA bilden sich «philhellenische Komitees». Sie verfassen Streitschriften, sammeln Geld und organisieren Waffenspenden an die Aufständischen. Ihr Enthusiasmus speist sich aus einer Verehrung für die klassische Antike, etwa bei Johann Wolfgang von Goethe, der seiner glühenden Fernbeziehung zu Griechenland in «Iphigenie auf Tauris» mit der berühmten Zeile Ausdruck verlieh: «Und am Ufer steh’ ich lange Tage, das Land der Griechen mit der Seele suchend.»
Aller Unterstützung durch die Philhellenen zum Trotz geraten die Aufständischen in die Defensive: Im Februar 1825 erreicht ein 17‘000 Mann starkes Korps aus Ägypten die Peloponnes, ausgerüstet, bewaffnet und ausgebildet von französischen Militärberatern. Die Truppen unter dem Kommando von Ibrahim Pascha, dem Sohn des osmanischen Statthalters in Alexandria, erobern immer weitere Teile der Peloponnes zurück und verstärken die osmanische Belagerung der Meeresfestung Messolonghi, deren lange Verteidigung in Europa neue Wogen der Griechenlandbegeisterung auslöst. In ihrer Verzweiflung versuchen die Eingeschlossenen, nachts durch die feindlichen Reihen zu fliehen. Der Plan scheitert, die osmanischen Soldaten metzeln etliche von ihnen dahin, und jene, die noch in der Stadt festsitzen, sprengen sich selbst in die Luft.
Die Frau von Messolonghi
Die Katastrophe von Messolonghi wird zum Fanal, der französische Maler Eugène Delacroix sieht sich davon inspiriert zu einem düsteren Gemälde: «Griechenland auf den Ruinen von Messolonghi.» Eine Frau in tunikaartigem Kleid, darüber einen mit rotem Samt gefütterten Mantel, breitet hilfesuchend die Hände aus, hinter ihr steht ein osmanischer Kämpfer in Triumphpose, vor ihr ragt zwischen zwei Steinplatten die Hand eines Toten heraus. Das Bild, zuerst in Paris in einer Ausstellung mit dem Titel «Griechischer Freiheitskampf» gezeigt, markiert ein Umdenken in der Politik der europäischen Grossmächte. «Aus dem Gemälde liess sich die Dichotomie zwischen Gut und Böse, Zivilisation und Barbarei, Christentum und Islam deutlich herauslesen», schreibt Marie-Janine Calic in ihrem Werk «Südosteuropa – Weltgeschichte einer Region».
Die grossen Mächte, die den griechischen Freiheitskampf bis dahin eher als Störung des politischen Gleichgewichts misstrauisch beäugt haben, gehen nun langsam auf Interventionskurs. Im Juli 1827 einigen sich England, Russland und Frankreich darauf, zunächst vermittelnd in den Konflikt einzugreifen: Griechenland soll, so ihr Plan, als autonomer Staat innerhalb des osmanischen Reiches verbleiben, weiterhin Tribute zahlen – aber die Griechen sollen Grundbesitz übernehmen, der bislang in türkischer Hand ist. Für den Fall, dass der Sultan sich den Forderungen nicht öffnet, behalten sich die drei Grossmächte in ihrem Londoner Vertrag vor, das «Werk der Befriedung» mit handfesteren Mitteln fortzusetzen.
Und genau das geschieht. Im Oktober 1827 attackieren sie gemeinsam die osmanisch-ägyptische Flotte bei Navarino. Nach der siegreichen Seeschlacht nehmen die Franzosen die Peloponnes ein, die Russen dringen durch die Donaufürstentümer vor. Die Seeschlacht von Navarino wird als Anfang vom Ende des osmanischen Reiches in die Geschichte eingehen.
Allerdings treten die Konflikte der griechischen Aufständischen untereinander nun immer stärker hervor. Die Nationalversammlung einigt sich darauf, den diplomatisch erfahrenen Grafen Ioannis Kapodistrias für sieben Jahre zum Regenten zu ernennen. Seine Gegner werfen ihm vor, zu autoritär zu regieren, am 9. Oktober 1831 wird er von Angehörigen einer rivalisierenden Familie in Nauplia, der provisorischen Hauptstadt, ermordet.
Fehler gefunden?Jetzt melden.