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Gender-Debatte im Sport
Wie viel braucht es, um eine Frau zu sein?

«Es würde das Ende bedeuten»: Die Britin Amelia Strickler, die sich gegen eine neue mögliche Frauen-Regel wehrt.
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«Wenn niemand seine Meinung zu Transgender-Athletinnen sagt, dann sind Frauen wie ich erledigt.» Das schrieb die britische Kugelstösserin Amelia Strickler jüngst auf Social Media, und: «Ich hoffe, mehr von uns schliessen sich zusammen, um dem vorzubeugen. Denn es würde das Ende bedeuten.» Mit «dem» meinte Strickler die Absicht des Leichtathletik-Weltverbandes, wen er künftig bei Wettkämpfen der Frauen zulassen wird und wen nicht. Der mögliche Kurs war via britische Medien durchgesickert und Strickler nicht die Einzige, die sich äusserte. 

Auch Langstrecken-Star Eilish McColgan, die im August an der EM in München Silber über 10’000 Meter gewonnen hatte, tat ihre Meinung kund, allerdings differenzierter. Sie sagte, es müsse noch viel Arbeit geleistet werden, wenn es um einen möglichen Vorteil von trans Frauen gehe, die in der Kategorie Frauen starteten. Aber: «Selbst wenn es ein Vorteil von einem Prozent ist, dann ist es schon zu viel Vorteil.»

Entscheid fällt im März

Es ist ein neuer Anlauf. World Athletics (WA) sucht weiter nach dem richtigen – oder eher gerechten – Weg, wer in der Kategorie Frau starten darf. Seit Jahren befasst sich der Weltverband mit dem komplexen Thema, und wie Präsident Sebastian Coe stets herausstreicht: gründlicher als jeder andere Verband. Jetzt hat WA seinen Mitgliedsverbänden ein Positionspapier mit einer möglichen neuen Richtung zukommen lassen, wie der «Telegraph» schreibt. Dieses Papier soll Teil eines Konsultationsprozesses sein, bevor im März im Verband über die neue Regel entschieden wird.

Vor dem Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne: Leichtathletik-Weltverbandspräsident Sebastian Coe. 

Was die Empörung der Kugelstösserin Strickler auslöste: Der skizzierte und bevorzugte Weg sieht nicht Ausschluss vor, sondern orientiert sich weiter an Testosteronwerten. Eine trans Frau ist derzeit nicht aktiv, aber Intersexuelle, die aus genetischen, hormonellen und/oder anatomischen Gründen nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, sollen auch künftig an Wettbewerben der Frauen teilnehmen dürfen – allerdings unter neuen Voraussetzungen. Der Testosteronspiegel darf nur noch halb so hoch sein wie bisher (2,5 nmol/l) – und darf diesen Wert schon zwei Jahre vor dem ersten Wettkampf nicht überschreiten. 

Anhand von Studien hatte der Verband schon früher darlegen können, dass die Menge des Sexualhormons Testosteron die Leistung entscheidend beeinflusst. Intersexuelle wiesen demnach einen Spiegel von 7,7 bis 29,4 nmol/l auf. Fast alle biologischen Frauen kommen auf maximal 2 nmol/l. Gemäss World Athletics ergab sich dadurch für Intersexuelle ein Leistungsvorteil von 1,8 bis 4,5 Prozent – je nach Disziplin. Ab 2013 verlangte World Athletics deshalb von Intersexuellen, den Testosteronlevel auf unter 5 nmol/l zu drücken, um biologische Frauen nicht zu benachteiligen. 2015 allerdings erhob der Internationale Sportgerichtshofs dagegen Einspruch. World Athletics müsse wissenschaftlich besser absichern, dass dieser Weg fair, vernünftig und verhältnismässig sei. Was ihm gelang. 

Der Fall Lia Thomas im Schwimmen

Der Schwimm-Weltverband hat sich im Sommer an der WM in Budapest für einen restriktiven Kurs entschieden, um seine Athletinnen zu schützen und Fairness zu garantieren: Wer bei den Frauen starten will, muss die Geschlechtsanpassung vor dem zwölften Geburtstag gemacht haben. Oder die Athletin muss nachweisen können, dass sie eine bestimmte Phase der Pubertät vor der Angleichung noch nicht durchgemacht hat. Die Debatte bei den Schwimmern hatte sich an Lia Thomas entzündet, die nach einer Hormontherapie bei den Frauen auf höchster Amateurstufe einen NCAA-Titel gewann, nachdem sie als junger Mann gerade ein durchschnittlicher College-Schwimmer gewesen war.

Die Regelung ist dringlich, World Athletics spricht gemäss «Guardian» von zehn Intersexuellen auf Elite-Niveau und siebzehn weiteren, die in Abklärung sind. Sie dürfen derzeit in allen Disziplinen ausser den Rennen von 400 Meter bis eine Meile starten. Würden sie alle ausgeschlossen, kämen wohl Klagen auf den Verband zu. Wie im Fall der Olympiasiegerin und Weltmeisterin Caster Semenya: Diesen hat WA zwar letztlich gewonnen, die juristischen Kosten beliefen sich aber auf über eine Million Franken. 

In einer früheren Version dieses Artikels hiess es fälschlicherweise, Lia Thomas habe sich einer Geschlechtsumwandlung (statt Hormontherapie) unterzogen.