Wie Malta und die Malediven
Katar darf zwar die WM 2022 ausrichten, verfügt aber über eine Mannschaft, die international nicht besteht. In Lugano spielt das Team am Mittwoch um 19 Uhr gegen die Schweiz.
«Was denken Sie, können wir in Katar eine Fussball-WM organisieren?» Im Januar des Jahres 2004 stellte der Organisationschef der Asien-Spiele 2006 in Doha diese Frage einem langjährigen Fifa-Funktionär. «Eine WM geht nicht, aber für Olympische Sommerspiele wäre Doha geeignet, falls diese Spiele im Herbst stattfinden würden», lautete meine Antwort. Seither ist Doha als Olympia-Ort zweimal glatt durchgefallen, aber Katar hat die WM-Endrunde. Nicht die USA, nicht Japan, sondern Katar.
Das grösste globale Sportereignis wurde einem Zwergstaat ohne jegliche sportliche Tradition zugeteilt. Zwölf Stadien auf engstem Raum sollten gebaut werden, für Spiele in der arabischen Sommerhitze – ein Entscheid, der die Sportwelt in Aufruhr versetzte. Und einer, an dem die Fifa noch lange zu leiden hat. Das Exekutivkomitee, das oberste Aufsichtsorgan des Fussballs, hatte einen Beweis seiner Inkompetenz abgeliefert, der durch die sogleich folgende Ankündigung Michel Platinis, nun müsse eben im Winter gespielt werden, nicht erträglicher wurde.
Der Jubel war riesig in der Hauptstadt Doha, doch was als grossartige Werbung für das sehr neureiche Emirat gedacht war, entpuppte sich nicht nur für die Fifa als ein Murks. Die Einflussnahme des damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy auf die Wahl war noch ein kleines Übel im Vergleich zu den Korruptionsvorwürfen, denen sich die damaligen Mitglieder des Exekutivkomitees bis heute ausgesetzt sehen, die aber nie bewiesen werden konnten. Nichtregierungsorganisationen starteten mit einem weltweiten Trommelfeuer gegen Katar und nahmen dabei vor allem die Arbeitsbedingungen der ausländischen Arbeitskräfte ins Visier.
Falls die Komiteemitglieder den Bericht der Inspektionskommission über die WM-Kandidaten überhaupt gelesen hatten, so wurde er ignoriert. Genau wie der Wunsch von Sepp Blatter, die Endrunde in die USA zu vergeben. Blatter war über den Ausgang der Abstimmung – 14:8 zugunsten Katars, zwei Mitglieder waren wegen Bestechungsvorwürfen aussortiert – sichtlich schockiert. Der Abstieg des Wallisers begann immerhin mit einer ehrenvollen Niederlage.
Der Neid der Nachbarn
Dass Katar gesellschaftlich ein weitaus modernerer Staat ist als etwa Saudiarabien oder Kuwait, fällt offenbar nicht ins Gewicht, solange via Fussball Polit-Bashing betrieben werden kann. Die WM hat Katar auch realpolitisch in Bedrängnis gebracht. Dass der kleine reiche Cousin mit dem grössten Sportereignis globale Aufmerksamkeit auf sich zieht, stört die neidischen Nachbarn am Golf sehr. Die Spekulation ist erlaubt, dass es ohne WM-Endrunde nicht zum emotional befeuerten Boykott Katars durch Saudiarabien, die Vereinigten Emirate, Bahrain und einige zugewandte Orte gekommen wäre.
Die WM sitzt Saudiarabien und den Emiraten wie ein Stachel im Fleisch, was auch das Lobbying für eine Massen-Endrunde mit 48 Mannschaften bereits im Jahr 2022 erklärt. In diesem – allerdings unwahrscheinlichen Fall – würde die Fifa einige Spiele in die Emirate und nach Saudiarabien vergeben, eine Schmach für Katar, ein Triumph für die zwei Nachbarn.
Von den ursprünglich geplanten zwölf Stadien werden vernünftigerweise nur acht gebaut. Aber auch so haben die Architekten noch genug Spielraum, um sich auszutoben, auch wenn nach der WM-Endrunde nur weisse Elefanten stehen bleiben. Selbst als Katar gereifte Weltstars wie Gabriel Batistuta, Stefan Effenberg oder Pep Guardiola in die Wüste lockte, gab es in den Stadien fast keine Zuschauer. Wer sich in Katar für Fussball interessiert, schaut am Fernsehen die Premier League. Doch ob die Traumstadien nach der WM-Endrunde wegen Unbrauchbarkeit verschrottet werden oder nicht, spielt in Katar keine Rolle. Denn im Gegensatz etwa zu Südafrika sind mittelfristig nutzlose Milliardeninvestitionen für ein Land wie Katar völlig sozialverträglich.
Sportlich darf von Katar an der WM aber ebenso wenig erwartet werden, wie wenn der Veranstalter Malta oder die Malediven wäre. Zurzeit bewegt sich die Nationalmannschaft unter Nachbarn wie Indien oder die Färöer knapp in den ersten 100 der Weltrangliste. Daran wird sich bis 2022 kaum etwas ändern. Katar kauft zwar alles ein, was es zu kaufen gibt, aber Fussballer, die der Mannschaft helfen könnten, gibt es kaum. Entweder sind sie durch die Regularien der Fifa bereits an einen anderen Verband gebunden, oder sie sind zu schwach, um auf internationaler Ebene zu bestehen. Es wäre deshalb falsch, im Fall von drei klaren Niederlagen in den Gruppenspielen von einer Blamage zu sprechen. Ohne Erwartungen gibt es keine Blamagen.
Hitzfeld, die verpasste Chance
Vielleicht würde Katars Fussball im internationalen Vergleich besser dastehen, wenn die Verantwortlichen 2007 eine einmalige Chance wahrgenommen hätten. Ottmar Hitzfeld, damals der wohl beste Trainer der Welt, hatte sich 2006 ein Jahr Auszeit genommen und dabei für einige Tage Katar besucht. Mehrere Clubs suchten den Kontakt mit dem Coach, der versprach, sich nach seinem Sabbatical wieder zu melden. Nach einigen Treffen hatte man sich darauf geeinigt, dass Hitzfeld als technischer Direktor des Verbandes ein mittelfristiges Entwicklungsprogramm leiten würde, doch wenige Tage vor dem Unterschriftstermin zogen sich die Katarer zurück. Kurz danach übernahm Hitzfeld notfallmässig nochmals Bayern München und holte sich einen weiteren Meistertitel. Derweil tritt Katars Fussball an Ort.
Wer Ende 2022 die Fussball-WM als Zuschauer vor Ort geniessen will, wird in Katar dennoch auf seine Rechnung kommen. Die Fans benötigen nur einen Flug nach Doha und ein Hotelzimmer, um angesichts der Nähe der Stadien mindestens zwei Spiele pro Tag zu besuchen. Alkoholische Getränke gibt es in den internationalen Hotels schon seit Jahren, und die Kurztransporte von einem Spielort zum andern werden problemlos klappen. Katar mag fussballerisch weit hinter dem WM-Standard zurückliegen, in Bezug auf den Zuschauerkomfort wird das Emirat aber neue Massstäbe setzen.
Finaltag ist Sonntag, der 18. Dezember. Eine Woche vor Weihnachten.
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