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Nach monatelanger Flucht
Wie ein 18-jähriger Afghane in Adliswil heimisch wird

Ein Rezept braucht er nicht: Akram Khadar Khel zeigt Sonja Lang, wie man afghanisch kocht.

In Sonja Langs Küche köchelt gerade Lammfleisch mit Reis, Rosinen und Rüebli. «Wie lange muss der Reis noch da drin sein?», fragt sie. «Halbe Stunde», antwortet Akram Khadar Khel. – «Ist das nicht zu lange?» – «Nein, nein, nicht.»

Khadar Khel grinst. Der 18-Jährige weiss, was er macht. Das Essen, das er zubereitet, ist für ihn ein Stück Heimat: Kabuli Palau heisst es, ein afghanisches Nationalgericht.

Die beiden setzen sich an den Tisch auf dem Gartensitzplatz. Seit einem Jahr kennen sie sich. Sie ist Asset-Managerin und Mutter dreier Kinder. Er ist anerkannter Flüchtling, im Frühling 2021 kam er in die Schweiz. Zusammen bilden sie ein sogenanntes Tandem. Das heisst, sie beteiligen sich am Tandemprogramm, das von der kantonalen Fachstelle Integration lanciert wurde.

Er habe «keine Zeit», viel über die schlimmen Erlebnisse aus der Vergangenheit nachzudenken, sagt Khadar Khel und lacht. 

In diesem Programm helfen ortsansässige Freiwillige geflüchteten Menschen, in der Wohngemeinde Fuss zu fassen, die Sprache zu lernen und die Schweizer Kultur zu verstehen – je nach Bedürfnis der Geflüchteten. Was die Tandems dabei unternehmen, wird ihnen freigestellt. «Manchmal kochen wir zusammen, wie heute», erzählt Sonja Lang, «oder wir machen zum Beispiel Deutschübungen.» Mindestens einmal monatlich treffen sie sich. Unterstützt werden sie durch eine Projektverantwortliche.

Den Taliban gefiel es nicht

Lang hatte während Corona zuerst beim Fahrdienst des Roten Kreuzes geholfen, «bis wir unser Auto verkauften». Der Wunsch, sich sozial zu engagieren, ist geblieben. «Und so stiess ich aufs Tandemprogramm.»

Lang und Khadar Khel leben beide in Adliswil. Für den jungen Afghanen ist die Stadt im Sihltal zum neuen Zuhause geworden. In der Heimat, im Norden Afghanistans, arbeitete er in einer Garage, wo er das Interieur von Autos verziert habe, «zum Beispiel mit der Afghanistan-Flagge». Doch das habe den Taliban nicht gefallen, «sie haben uns gedroht», erzählt Khadar Khel, der selber Muslim ist. Auch Terroranschläge habe er hautnah erlebt.

Als Jugendlicher verliess er deshalb Eltern und Geschwister und zog gen Europa – so wie sein älterer Bruder und viele andere seiner Landsleute. Das zeigt auch die Statistik. Die meisten Asylgesuche in der Schweiz stammen von Menschen aus Afghanistan. 2665 sind es seit Anfang dieses Jahres.

Bei null angefangen

Khadar Khel erreichte die Schweiz über die Balkannordroute, fast eineinhalb Jahre war er unterwegs. Auch da habe er in manchen Ländern Gewalt erfahren, sei von Polizisten geschlagen und vertrieben worden. Seine Erzählungen hinterlassen bei Sonja Lang Spuren. «Dank Akram begegne ich geflüchteten jungen Menschen nun mit ganz anderen Augen.»

Der Flüchtling selber macht sich nicht viele Gedanken über die eigene Vergangenheit. «Ich habe keine Zeit dafür», sagt er und lacht wieder. Akram Khadar Khel geht an fünf Tagen die Woche in Zürich in den Deutschunterricht, zusätzlich besucht er eine Abendschule. Zum ersten Mal in seinem Leben lernt er zu lesen und zu schreiben. «Ich staune jedes Mal über seine Fortschritte», sagt Sonja Lang. «Angefangen hat er buchstäblich bei null.»

Anders ist es bei seinem Hobby: Cricket. Khadar Khel nimmt sein Smartphone hervor und zeigt stolz ein Foto, auf dem er mit Pokal zu sehen ist. Der 18-Jährige spielt bei einem Zürcher Cricket-Club; die Sportart war schon immer seine Leidenschaft.

Nichts ausser Absagen

Seine Hoffnung ist, in der Schweiz nicht nur sportlich Fuss zu fassen, sondern auch beruflich. Eine Lehre sei das Ziel, sagt er. Doch einfach ist es nicht. Auch die Wohnungssuche ist schwierig. Khadar Khel möchte aus der Kleinwohnung ausziehen, in welcher er mit zwei weiteren Flüchtlingen lebt und die von der Sozialhilfe finanziert wird. Sonja Lang hilft ihm bei den Bewerbungen. Doch bis jetzt: nichts als Absagen. «Das ist schon sehr frustrierend», sagt die 52-jährige Adliswilerin.

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… um es am Schluss zusammen mit dem Hauptgericht Kabuli Palau aufzutischen.
Am Boden kauernd wird das Fladenbrot zubereitet…
… um es am Schluss zusammen mit dem Hauptgericht Kabuli Palau aufzutischen.

Aus der Küche dringt ein würziger Duft nach draussen, das Abendessen ist bald fertig. Nur etwas fehlt noch: Fladenbrot. «Brauchst du eine Waage?» – «Nein, nein.» Akram Khadar Khel knetet nun den Teig in einer Schale, auf dem Küchenboden kauernd. So gehe es am besten, sagt er und blickt auf. Wieder ein Lächeln.

Wenig später wird das Kabuli Palau aufgetischt. Familie Lang schmeckt es bestens. Es wird nicht ihr letztes gemeinsames Essen mit dem Flüchtling sein. Denn das Tandemprogramm läuft nun nach einem Jahr zwar offiziell aus, sagt Sonja Lang, «aber wir wollen uns weiterhin treffen».