Krieg und KlimawandelWetterprognosen waren für die Taliban Zauberei
Konflikte und Kriege machen Staaten gegenüber Naturkatastrophen extrem verwundbar. Das zeigt das Beispiel Afghanistan.
Noch im Juni besuchte Patricia Danzi ein Tal in der Provinz Kabul. Eine lang anhaltende Dürre hatte den Boden ausgetrocknet und für die Bäuerinnen und Bauern unfruchtbar gemacht. Die Chefin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) besichtigte einen Bewässerungskanal, der mithilfe von Schweizer Geldern errichtet worden war. Dank dem gewonnenen Wasser können die Menschen nun wieder Weizen anpflanzen. Wie es mit der internationalen Hilfe nach der Machtübernahme durch die Taliban weitergehen wird, weiss derzeit niemand. «Wie und in welchem Rahmen die Deza ihre Arbeiten fortführen wird, ist im Moment noch unklar», antwortet die Deza auf Anfrage.
Afghanistan ist ein Schwerpunktland der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz. Seit diesem Jahr sieht die Strategie für die nächsten Jahre vor, bei der Armutsbekämpfung stets auch den Klimaschutz zu berücksichtigen. Das beste Beispiel ist der geschundene Staat am Hindukusch. «In kaum einem Land wird der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikt so deutlich wie in Afghanistan», schreiben Hans-Joachim Giessmann und Charlotte Hamm von der deutschen Berghof Foundation, die Projekte in Afghanistan unterstützt. Auch die Stiftung ist derzeit nicht in der Lage, eine Einschätzung über die Zukunft abzugeben.
Der seit 40 Jahren dauernde Krieg hat die Menschen nicht nur in die Armut getrieben, sondern auch besonders verwundbar für Naturkatastrophen gemacht. Paradox ist: Afghanistan gehört zu jenen Staaten, die kaum zum globalen Klimawandel beitragen, weil die Menschen zu 80 Prozent von der Landwirtschaft leben und der Krieg eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung verunmöglichte. Die knapp 30 Millionen Menschen produzieren dreimal weniger als der globale Durchschnitt der Treibhausgas-Emissionen. Das Land gehört aber zu jenen Staaten, die am stärksten von den Folgen der Erderwärmung betroffen sein werden.
«Millionen Menschen sind von Trockenheit und Überflutungen betroffen.»
Dürren und Überschwemmungen sind heute schon in Afghanistan keine Seltenheit mehr. «Millionen Menschen sind 2018 und 2019 von Trockenheit und Überflutungen betroffen gewesen», heisst es in einem aktuellen Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Denn die Naturkatastrophen treffen vielfach den Lebensunterhalt der Menschen: Der grösste Teil der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. «Der jahrzehntelange Krieg, kombiniert mit Naturkatastrophen und chronischer Armut, hat die Menschen zu stark geschwächt, um auf sich wiederholende extreme Ereignisse reagieren zu können», schreibt das IKRK weiter.
Afghanistan gehört gemäss einer Wertung der US-Universität Notre Dame zu den 20 Staaten, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Darunter sind zwölf Länder zu finden, die wie Afghanistan unter den Folgen ständiger Konflikte und Kriege leiden: unter anderem Mali, die Demokratische Republik Kongo, Somalia – Staaten, welche die Schweiz als Schwerpunktländer definiert hat.
So liest sich der Bericht der früheren Regierung im Rahmen der Klimarahmenkonvention an die UNO teilweise wie ein Hilferuf an die Welt:
Stark verändertes Klima
Die Jahrestemperatur ist in Afghanistan seit 1950 gegenüber der vorindustriellen Zeit durchschnittlich um 1,8 Grad Celsius gestiegen – im Süden gar um 2,4 Grad. Werden in den nächsten Jahrzehnten die Emissionen nicht massiv reduziert, kann sich das ganze Land bis Ende des Jahrhunderts weit über 2,5 Grad erwärmen. Was das heisst, kann man heute schon erahnen: Die Schneedecke schmilzt drei Wochen früher als normal. Die Gletscherfläche ist seit 1990 gemäss dem Internationalen Zentrum für Integrierte Entwicklung in Bergregionen (Icimod) um mehr als 13 Prozent geschrumpft; einige kleinere Gletscher sind gar verschwunden.
Extreme Regenereignisse haben sich in den letzten 30 Jahren gehäuft. Dürren treten inzwischen alle drei bis vier Jahre auf – früher geschah es alle sieben Jahre. Die jährliche Menge an Schnee und Regen hat sich hingegen nicht stark verändert. Szenarien der Klimaforscherinnen und -forscher gehen aber davon aus, dass sich die jährliche Regenmenge in Zukunft deutlich reduzieren wird – egal, welches Szenario verwendet wird.
Grosse Zerstörung der Infrastruktur
Auf solche klimatischen Veränderungen ist das Land allerdings nicht vorbereitet: 40 Jahre Krieg haben Afghanistan gesellschaftlich und wirtschaftlich weit zurückgeworfen – Transportwege wurden zerstört, ebenso die Wasser- und die Energieversorgung. Die inländische Energieproduktion sei auf dem Niveau von 1979, als die Sowjets ins Land eindrangen. Das stark beschädigte Wassersystem hat dazu geführt, dass in Afghanistan pro Kopf am wenigsten Wasser gespeichert werden kann – obwohl das Land zum «Wasserturm» Zentralasiens gehört. Vor 1979 hatte Afghanistan eines der fortschrittlichsten Wettermessnetze. Die Taliban lösten das Meteorologische Departement auf und zerstörten die Wetterdaten. Wettervorhersagen seien für die Taliban Zauberei, heisst es im Bericht an die UNO. Seit 2001 wurde das Netz unter der alten Regierung wieder aufgebaut.
Gefährdete Wasserquelle
Die Zerstörungen haben Folgen: Eigentlich wäre Afghanistan ein Wasserschloss. Fünf Hauptflüsse versorgen das Land in allen Himmelsrichtungen. Leider sind die Wasserressourcen – über das ganze Jahr betrachtet – ungleich verteilt und verfügbar. Zum Beispiel führt das Einzugsgebiet des Panj-Amu-Flusses mehr als 40 Prozent der Wasserressource – für die Bewässerung der Felder werden jedoch nur 13 Prozent gebraucht. Im Stromgebiet des Northern River wird hingegen 20 Prozent des Wassers für die Bewässerung verwendet, doch liefert das Einzugsgebiet nur 3 Prozent der gesamten Wasserressourcen.
Zudem steht Wasser oft dann nicht zur Verfügung, wenn es die Bauern bräuchten. Es fehlen entsprechende Systeme, die das Wasser das ganze Jahr über speichern. Hinzu kommt, dass die Flüsse zu einem grossen Teil durch die Gletscher im Hindukusch gespeist werden. Doch die Erderwärmung lässt heute schon das Eis schmelzen – und die jährlichen Niederschläge werden künftig abnehmen. Das Tragische: Die Wachstumsphase der Vegetation dauert bereits zwei Wochen länger als früher, doch in dieser Periode nimmt laut Szenarien der Klimaforscher die Regenmenge eher ab.
Zum grossen Problem dürfte auch der Zugang zu sauberem Trinkwasser werden, vor allem in den Städten. Jedes Jahr strömen gemäss einem UNO-Bericht 200’000 Menschen vom Land in die Städte. Die Regierung geht davon aus, dass sich die städtische Bevölkerung innerhalb von 15 Jahren verdoppeln wird.
Ungezähmter Kahlschlag
Erschwerend kommt hinzu, dass der Krieg auch dazu geführt hat, dass Wälder über Jahrzehnte kahl geschlagen wurden, der Boden der Weiden und Felder ohne Rücksicht auf die folgenden Jahre übernutzt wurde. Das führt ohne einschneidende Massnahmen zu Verwüstung und Erosion von fruchtbarem Boden. Zusätzlich wird dadurch die Erwärmung auf der Erdoberfläche verstärkt, was zu einer beschleunigten Verdunstung von lebenswichtigem Bodenwasser führt.
Bewässerung
Dabei wird die Ernährung des Landes auch in Zukunft das grosse Problem sein, weil die afghanische Bevölkerung laut Einschätzung der Regierung stark wachsen wird. Nur knapp 4 Prozent des Landes – 2,5 Millionen Hektaren – werden vor allem durch Flusswasser bewässert und regelmässig bewirtschaftet, heisst es im Klimabericht der Regierung an die UNO. Weitere 1,1 Millionen Hektaren Ackerland sind vom Regen abhängig und werden entsprechend gelegentlich bebaut. Kurzum: Afghanistans Landwirtschaft ist auf den Schneefall in den Bergen und den Regen in den niederen Regionen angewiesen. Beide Quellen werden in Zukunft rarer.
«Es ist absolut existenziell, den Menschen zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen», sagt Catherine-Lune Grayson, Mitautorin des Berichts «When Rain Turns to Dust» des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz über die Problematik des Klimaschutzes in Kriegsstaaten. Ob das unter der Herrschaft der Taliban möglich sein wird?
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