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Wer bei der Geburt zu klein und leicht ist, wird später eher krank

Manchmal ist ein Zwilling kleiner und leichter als der andere. Eine Hormontherapie kann helfen, das Wachstum aufzuholen.

Rund acht Prozent der Neugeborenen werden in der Schweiz im Verhältnis zur Schwangerschaftsdauer zu klein und/oder zu leicht geboren. Man spricht von Mangelgeburt oder Small für Gestational Age (SGA). International gelten alle Kinder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 2500 Gramm als Mangelgeburt.

Vor zehn Jahren waren schweizweit erst etwa fünf Prozent der Neugeborenen betroffen, schätzt Prof. Dr. med. Urs Eiholzer, Leiter des Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrums Zürich, der vor kurzem gleich zwei Bücher zum Thema veröffentlicht hat: Einen Ratgeber für Eltern und ein Fachbuch für Ärzte. Für die Zunahme an Mangelgeburten sind laut Eiholzer das steigende Alter der Schwangeren und vermehrte künstliche Befruchtungen verantwortlich.

Das Überleben sichern

90 Prozent der Kinder, die zu klein und leicht auf die Welt kommen, holen den Rückstand in den ersten zwei Lebensjahren auf und wachsen fortan so, wie es aufgrund der Grösse ihrer Eltern zu erwarten ist. Die restlichen zehn Prozent – das entspricht knapp einem Prozent aller Kinder – bleiben für ihr Alter zu klein und leicht.

«Eine kleine Körpergrösse ist kein Luxusproblem. Betroffene leiden stark darunter.»

Prof. Dr. med. Urs Eizolzer, Wachstums- und Stoffwechselspezialist

Grund für eine Mangelgeburt ist immer eine Unterversorgung mit Nährstoffen im Mutterbauch. Bekommt der Fötus zu wenig Nährstoffe, stellt sein Organismus auf einen sparsamen Stoffwechsel um. So wird die Versorgung lebenswichtiger Organe sichergestellt – auf Kosten des Wachstums. Dieser Mechanismus entstand im Laufe der Evolution, Auslöser waren Hungersnöte. Die Energieoptimierung war in mageren Jahren entscheidend für das Überleben: SGA-Kinder sind nicht nur klein, sondern auch körperlich weniger aktiv und brauchen so weniger Energie.

Plazenta-Störung ist schuld

Da Hungersnöte in der Menschheitsgeschichte meist mehrere Jahre dauerten, wird der Stoffwechsel der betroffenen Kinder für das ganze Leben umprogrammiert. Laut Eiholzer ist es wahrscheinlich vor allem dieser vorgeburtlichen Programmierung zu verdanken, dass die Menschheit überlebte.

Da hierzulande kaum eine Schwangere Hunger leiden muss, ist meistens eine Funktionsstörung der Plazenta schuld an der Unterversorgung des Ungeborenen. Zu einer Beeinträchtigung der Plazenta kann eine chronische Erkrankung der Mutter oder ihr Verhalten führen: Alkoholkonsum, Drogen, eiweissarme Diäten oder Rauchen. Doch Eiholzer betonte an der Buchvernissage am vergangenen Donnerstag: «In den meisten Fällen ist es nicht möglich, eine eindeutige Ursache zu finden. Der häufigste Grund ist Pech. Ich höre immer wieder von Frauen, die ein schlechtes Gewissen plagt, weil sie in der Schwangerschaft ab und zu eine Zigarette geraucht haben. Dabei reduziert eine Zigarette pro Tag während der ganzen Schwangerschaft das Gewicht des Neugeborenen im Durchschnitt um lediglich 13 Gramm».

Verminderte Intelligenz

Während die Umstellung auf einen sparsamen Stoffwechsel in Hungersnöten Sinn macht, wird er in Zeiten des Überflusses zum Risikofaktor: SGA-Kinder haben nicht nur eine kleinere Endgrösse, sondern auch ein erhöhtes Risiko, im Erwachsenenalter an Herzkreislaufkrankheiten, Fettleibigkeit oder Diabetes zu erkranken. Tendenziell ist auch ihre Intelligenz leicht vermindert und sie werden eher verhaltensauffällig. SGA-Kinder haben zudem ein doppelt so hohes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken.

SGA-Kinder können mit einem Wachstumshormon behandelt werden. Je früher man damit beginnt, desto besser. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten allerdings erst für Kinder ab vier Jahren. Sie wollen sicher gehen, dass nur Kinder ohne Aufholwachstum behandelt werden und nicht solche, die zufällig zu klein und leicht auf die Welt kamen oder an einer anderen Erkrankung leiden. Fast alle mit dem Wachstumshormon behandelte Kinder erreichen laut Eiholzer eine Grösse, die im familiären Zielbereich liegt.

Ob es auch eine Möglichkeit gibt, das Risiko für Stoffwechselerkrankungen zu mindern, ist umstritten. Neue Studienergebnisse lassen aber vermuten, dass das Diabetes-Medikament Metformin die fötale Umprogrammierung bis zu einem gewissen Grad rückgängig machen kann.

Messen ist wichtig

Kinder, die als Mangelgeburt geboren werden, sollten in den ersten zwei Jahren alle drei Monate gemessen und gewogen werden. Sind sie mit zwei Jahren immer noch zu klein und leicht, empfiehlt Urs Eiholzer, sie von einem Spezialisten abklären zu lassen. «Eine kleine Körpergrösse ist kein Luxusproblem», betont Eiholzer, «Kinder, die viel kleiner sind als Gleichaltrige, leiden stark darunter. Oft werden sie nicht richtig ernst genommen und trotz normaler Intelligenz später eingeschult als ihre Altersgenossen.»

Eiholzer und sein Team haben eine App entwickelt, mit der Eltern auf einfache Art und Weise selbst das Wachstum ihres Kindes mitverfolgen können. Auf der Gratis-App «Child-Growth» kann man regelmässig Gewicht und Grösse eingeben. Die Messwerte werden automatisch in eine Wachstumskurve eingetragen. So kann man prüfen, wie sich das Kind entwickelt und wo es im Vergleich zu Gleichaltrigen steht.

SGA – Mangelgeburt: Ein Ratgeber für Eltern. Urs Eiholzer. Eigenverlag Pädiatrisch-Endokrinologisches Zentrum Zürich PEZZ, 124 Seiten, ca. 20 Fr. (zu beziehen bei amazon.de)SGA – Mangelgeburt: Ursachen, Risiken, Therapien. Urs Eiholzer. Karger-Verlag, 158 Seiten, ca. 40 Fr.