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Studie zu Herkunft und Bildung
Wenn alle ins Gymi wollen, leidet die Ausbildung

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Eine junge Schweizerin aus Appenzell hat viel bessere Chancen, ihre Ausbildung erfolgreich abzuschliessen, als ein junger Mann mit Migrationshintergrund aus Genf. Eine grosse Rolle beim Erfolg spielen auch das Bildungsniveau der Eltern und das Alter, in dem Jugendliche aus dem Ausland in die Schweiz gezogen sind: Je länger sie hier zur Schule gehen, desto besser. Das zeigt eine gross angelegte Untersuchung, die das Bundesamt für Statistik (BFS) vorgelegt hat.

Mehr als 82’500 Jugendliche hat das BFS zehn Jahre lang beobachtet: Das waren alle jungen Frauen und Männer in der Schweiz, die 2010 15 Jahre alt wurden. Zehn Jahre später hatten davon 92,9% aller Frauen einen erfolgreichen Abschluss, aber nur 90% der Männer. Noch stärker wirkte sich ein Migrationshintergrund aus: 93,6% aller in der Schweiz geborenen Schweizer Jugendlichen waren erfolgreich, aber nur 79,9% der im Ausland geborenen ausländischen Jugendlichen.

«Minimale Voraussetzung» für das Berufsleben

Ein Abschluss der Sekundarstufe II gelte als «minimale Voraussetzung» für die Integration in Wirtschaft und Gesellschaft, betont das BFS. Ziel der Schweizer Bildungspolitik ist es, dass 95% aller Jugendlichen einen solchen Abschluss erreichen. Mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder einem eidgenössischen Berufsattest (EBA) ist der Weg in den Arbeitsmarkt geebnet. Und wer das Gymnasium erfolgreich abgeschlossen hat, kann studieren.

Während ein Migrationshintergrund die Erfolgsquote am stärksten beeinflusst, kommt schon an zweiter Stelle die Sprachregion, in der die Ausbildung erfolgt: Die französische Schweiz erzielt deutlich geringere Erfolge (88,5%) als die Deutsch- und die rätoromanische Schweiz (92,5%). Besonders gut schneiden ländliche Kantone ab: Appenzell Innerrhoden ist mit einer Erfolgsquote von 98,6% Spitzenreiter – mit allerdings nur 210 Jugendlichen insgesamt.

Unterschiede zwischen Stadt und Land hätten einen deutlichen Einfluss auf den Erfolg, erklärt Stefan Wolter, Professor in Bern und einer der führenden Bildungsexperten des Landes: «Wenn man nicht in Ausbildung ist oder arbeitet, ist man auf dem Land einem höheren sozialen Druck ausgesetzt als in der Anonymität der Stadt.» Dass aber auch ein städtischer Kanton wie Zürich mit 91,9% respektable Ergebnisse erziele, während Genf bei 84% liege, weise auf Unterschiede im Bildungssystem hin, meint Wolter. Der BFS-Bericht zeige erneut, dass einige Kantone dringend Änderungen an ihrem Bildungssystem vornehmen müssten.

Akademische Bildung zu stark gewichtet

In der Westschweiz sei der Fokus auf akademische Allgemeinbildung besonders stark; das belegen auch die BFS-Zahlen: Das Gymnasium gilt als wichtigstes Ziel. «Dadurch landen Jugendliche in Bildungsbereichen, die nicht ihren Fähigkeiten entsprechen», meint Wolter. «Das führt zu multiplen Abbrüchen – erst im Gymnasium, dann in der Fachmittelschule, danach womöglich noch in einer besonders anspruchsvollen Lehre.» Irgendwann seien die Auszubildenden entmutigt. Schon der Bildungsbericht 2018 habe gezeigt: Wo zu viele Jugendliche ins Gymnasium drängten, scheiterten auch mehr daran, überhaupt einen Abschluss zu erreichen. Dabei sei eigentlich klar, dass der Erfolg dort am grössten sei, wo die erste Wahl einer Ausbildung möglichst realistisch getroffen werde.

Als vor mehr als 15 Jahren erstmals ein Schweizer Bildungsbericht die tiefen Abschlussquoten im Kanton Genf hervorgehoben habe, habe der zuständige Bildungsdirektor die Verlässlichkeit der BFS-Zahlen scharf infrage gestellt, erzählt Wolter. «Jetzt kann das BFS mit Sicherheit sagen, dass die Zahlen stimmen.» Wolter warnt allerdings davor, den hier untersuchten Faktoren zu viel Gewicht zu geben: «Diese Zahlen sind limitiert, weil sie keine Angaben über schulische Leistungen enthalten.»

Die Schweiz als Spitzenreiter

Von den 8,6% der Jugendlichen, die im Alter von 25 Jahren noch gar keinen Abschluss haben, habe etwa die Hälfte gar keinen Versuch unternommen, einen Abschluss zu machen, während die anderen 50% gescheitert seien, sagt Wolter. Auch hier wirkte sich ein Migrationshintergrund besonders negativ aus: 18% der im Ausland geborenen ausländischen Jugendlichen brachen die Ausbildung ab. Wer keinen Abschluss habe, gehöre zu einer «Risikogruppe», schreibt das BFS, «da sie häufiger in prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind,
arbeitslos werden oder Sozialhilfe beziehen». Tatsächlich waren mehrere Hundert der 25-Jährigen ohne Abschluss im Jahr 2020 arbeitslos.

Dabei bietet das eidgenössische Berufsattest, also die zweijährige Fachlehre, auch als Anlehre bekannt, eine besonders niedrige Schwelle an. Es ermöglicht vorwiegend praktisch veranlagten Auszubildenden, die von einer vollwertigen EFZ-Lehre überfordert wären, einen anerkannten Abschluss. Auch das EBA habe dazu beigetragen, dass die Schweiz ihr Ziel von 95% erfolgreichen Abschlüssen zwar noch nicht erreicht habe, aber im internationalen Vergleich sehr gut abschneide, meint Wolter: «Die Schweiz ist immer noch ein Spitzenreiter bei den Abschlussquoten.»