Vor dem Playoff-Final gegen ZugWehe, wenn die Löwen losgelassen!
Können die ZSC Lions den Titel im Schweizer Eishockey gewinnen? Klar doch, sagt Tamedia-Redaktor und ZSC-Experte Simon Graf. Kollege Marco Keller hält dagegen.
Der ZSC gewinnt dank seiner Leidenschaft und der Siegerkultur.
Aufgepasst, wenn die ZSC Lions im Playoff in Fahrt gekommen sind! Dann ist völlig egal, was vorher war. Dann zeigt sich ihr Siegergen. Drei ihrer letzten vier Titel errangen die Zürcher als krasse Aussenseiter. 2008 unter Harold Kreis von Rang 6 aus, 2012 unter Bob Hartley und 2019 mit Nothelfer Hans Kossman jeweils von Platz 7 aus. So tief sanken sie in diesem Winter zwar nie, doch es waren unbefriedigende Monate, in denen man sich fragte: Wann sehen wir endlich die wahren ZSC Lions?
Der Funke sprang in der Endphase von Spiel 6 des Viertelfinals gegen Biel, als Denis Hollenstein das Playoff-Aus mit seiner Doublette verhinderte. Seitdem sind die Zürcher wie verwandelt, spielen ihr Tempohockey und arbeiten Hand in Hand. Sie sind viel kompakter geworden und haben in der Offensive immer noch die Einzelkönner, die für den Unterschied sorgen. Auch gegen den EV Zug?
Die Zuger sind seit einigen Jahren das Mass aller Dinge im Schweizer Eishockey. Viele sprechen sogar bewundernd von einer Maschine. Die Frage ist nur: Was, wenn diese Maschine ins Stocken gerät? Was, wenn die Zuger nicht jedes Mal ein Tor schiessen, wenn sie eines brauchen? Wenn der Schiedsrichter nicht eine gesuchte Strafe gegen den Gegner ausspricht, wenn es im Finish noch unentschieden steht? Die wahre Grösse des EVZ wird sich erst dann zeigen, wenn er Widrigkeiten durchzustehen hat.
Die Zürcher sind die Jäger
Die ZSC Lions haben diesen Test schon hinter sich. Sie haben ihn bestanden. Sie sind in den vergangenen drei Wochen als Team zusammengerückt, sind an ihren Problemen gewachsen. Das gibt dieser Mannschaft nicht nur Selbstvertrauen, sondern auch einen speziellen Spirit. Man hat das Gefühl, sie seien auf einer Mission. Die Zürcher sind die Jäger, die Zuger Favoriten die Gejagten. Alle erwarten von ihnen, dass sie ihren Siegeszug weiterziehen. Keine einfache Rolle.
Drei spielfreie Tage gaben beiden Teams genug Zeit, sich im Hinblick auf den Final zu erholen. Die Zuger werden wie gewohnt versuchen, die Zürcher früh zu stören, sie auf der ganzen Eisfläche unter Druck zu setzen und zu Fehlern zu zwingen. ZSC-Coach Rikard Grönborg weiss genau, was seine Mannschaft erwartet. Und als zweifacher Weltmeistercoach Schwedens ist er gut darin, taktische Lösungen zu finden. Zumal er in Zürich von seinem Videocoach und seinem Assistenten aus dem Tre-Kronor-Team unterstützt wird.
Wie die Zürcher wissen die Zuger inzwischen auch, wie man den Titel gewinnt. Auch wenn das letztjährige Playoff ohne Zuschauer und best of 5 (statt best of 7) ab Halbfinal ein spezielles war. Aber was bei den Zürchern als zusätzliches Element dazukommt: Mit Jakub Kovar, Denis Malgin, Sven Andrighetto und Denis Hollenstein haben sie Topspieler, die noch nie Meister wurden und es unbedingt werden möchten. Ihre Leidenschaft wird letztlich den Unterschied machen.
Simon Graf
Der EVZ siegt dank seiner Klasse und seines Sozialismus.
Keine Frage: Die ZSC Lions mit der Formkurve der letzten beiden Wochen sind die aktuell grösstmögliche Herausforderung im Schweizer Eishockey. Wie die Zürcher auf das 2:3-Viertelfinaldefizit gegen Biel reagierten und anschliessend gegen die Seeländer und Fribourg-Gottéron sechs Siege aneinanderreihten, war beeindruckend. Nur ein Team bringt alles mit, die Zürcher Formhausse wieder abrupt zu beenden: der EV Zug. Ohne grosses Aufsehen ist er wieder in den Final vorgestossen. Ohne den Verlust einer Partie. Seit den ZSC Lions 2011/12 war dies keinem Team mehr gelungen.
Zugegeben, die 8:0-Bilanz schmeichelt den Zentralschweizern ein wenig: Gegen Lugano brauchte es in Spiel 1 eine Overtime, Davos hätte sicher eines der beiden Heimspiele gewinnen müssen. Aber grosse Teams finden auch dann einen Weg zum Sieg, wenn sie nicht ihr bestes Eishockey abrufen. Und der EVZ ist heute eine grosse Mannschaft, ein Mindestniveau unterschreitet er fast nie. Die Bilanz seit dem Amtsantritt von Dan Tangnes 2018: die Ränge 2, 2, 1 und 1 in der Qualifikation, dazu Teilnahmen an allen drei Playoff-Finals, die ausgespielt wurden, der Meistertitel 2021 und der Cupsieg 2019. Mehr Konstanz geht fast nicht.
Der Unterschied zu den «Achterbahn-Lions» ist geradezu frappant. Für die Zürcher heisst das auch: Sie werden im Minimum so gut weiterspielen müssen wie zuletzt, um eine Chance auf den Titel zu haben. Dass sich die Zuger selber schlagen, können sie vergessen.
Zugs Erfolgsgeheimnis ist seit Jahren die fast sozialistische Verteilung der Eiszeit. Die meisten Kaderspieler stehen zwischen 16 und 20 Minuten auf dem Eis, «Marathon-Mann» Jan Kovar wäre bei den ZSC Lions mit seinen 21:04 Minuten pro Spiel die Nummer 7. Die Centerachse mit Kovar, Lander, Senteler und Leuenberger kann zudem jeden Gegner kontrollieren. Andrighetto, Malgin und Hollenstein werden nicht tanzen können wie gewohnt.
Die Macht der Gewohnheiten
Dan Tangnes hat es geschafft, dass trotz exorbitant gesteigerter Erwartungshaltung der nach dem letztjährigen Meistertitel fast logische Leistungsabfall nicht eingetreten ist und auch die Team-Hierarchie trotz vieler Veränderungen stabil blieb. Die Maxime des empathischen Norwegers ist es, dass sich jedes Teammitglied, ob alt oder jung, täglich verbessern will und dann, wenn es wirklich zählt, also im Playoff, diese Gewohnheiten umsetzen kann. Und das klappt bestens.
Einen darf man nicht vergessen: Leonardo Genoni, der in der ZSC-Organisation ausgebildet wurde. Der Übergoalie hätte von seinem Wohnort Kilchberg gleich weit ins Hallenstadion wie in die Bossard-Arena. Dass er seit 2019 jeden Tag sein Auto gegen Süden lenkt, war ein «Gamechanger». Und dass der sechsfache Meister in Finals eigentlich immer zu Bestform aufläuft, ist keine gute Nachricht für die ZSC Lions.
Marco Keller
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