Rätseln über die UrsachenWarum steigen die Fallzahlen wieder?
Seit vergangener Woche nehmen in der Schweiz die Sars-CoV-2-Ansteckungen wieder zu. Erste Erklärungsversuche.
Die Richtung der Infektionskurve zeigt wieder klar nach oben. Dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind am Montag 449 neue Coronavirus-Ansteckungen innerhalb von 72 Stunden gemeldet worden. Das sind rund 88 Prozent mehr als in der Vorwoche (239 Neuinfektionen). Auch am vergangenen Freitag und Donnerstag waren die Fallzahlen im Wochenvergleich deutlich höher.
Dies dürfte mehr als eine vorübergehende Schwankung sein. Darauf deutet auch die Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele Personen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt. Aktuell liegt sie bei 1,15 und bildet die Situation vor rund zehn Tagen ab. Seit dem 20. Juni liegt R gemäss aktuellen Berechnungen jenseits der wichtigen Grenze von 1, ab der die Fallzahlen exponentiell steigen.
Die gute Nachricht: Bei den Spitaleinweisungen und den Todesraten gibt es vorläufig keine Anzeichen für steigende Zahlen. In der Vergangenheit haben diese Kennzahlen jeweils mit Verzögerung ebenfalls angezogen. Dank der Impfung eines grossen Teils der besonders verwundbaren Personen dürfte hier ein Anstieg langsamer ausfallen. Sollten die Infektionen jedoch deutlich ansteigen, wird erwartet, dass trotz der Impfung das Gesundheitswesen nochmals stark beansprucht wird.
«Der Anstieg war ja bereits in anderen Ländern sichtbar und von daher auch in der Schweiz zu erwarten.»
Ob es sich aktuell tatsächlich bereits um eine Trendwende handelt, ist noch offen. Klar ist aber, dass bis vor kurzem auch die Fachleute von der wissenschaftlichen Covid-Taskforce nicht unbedingt mit steigenden Fallzahlen bereits zum jetzigen Zeitpunkt gerechnet haben. Vor einer Woche schrieben sie in ihrer «Epidemiologischen Lagebeurteilung» noch: «Insgesamt deuten all diese Indikatoren auf eine kontinuierlich rückläufige Epidemie hin.» Damals lag der 7-Tage-Schnitt der Reproduktionszahl für den 12. bis 18. Juni noch bei 0,6. Die Ansteckungssituation hat sich offensichtlich rasant verändert.
Experten haben allerdings schon länger darauf hingewiesen, dass es früher oder später zu einer deutlichen Zunahme der Ansteckungen kommen dürfte. Christian Althaus, Epidemiologe an der Universität Bern, zeigt sich am Montag auf Anfrage jedenfalls wenig überrascht: «Der Anstieg war ja bereits in anderen Ländern sichtbar und von daher auch in der Schweiz zu erwarten.» Als mögliche Gründe nennt er die gelockerten Corona-Massnahmen, erhöhtes Reiseverhalten, die Virusvariante Delta – «und höchstwahrscheinlich auch die Fussball-Europameisterschaft».
Die gelockerten Massnahmen vom 31. Mai, als unter anderem Innenräume von Restaurants und für Veranstaltungen bis 100 Personen genutzt werden durften, könnten sich tatsächlich inzwischen in den Fallzahlen niederschlagen. Die noch weiter gehende Öffnung vom 26. Juni liegt jedoch noch zu wenig weit zurück. Hingegen kommt eher die am 11. Juni gestartete EM als Ursache für die gestiegenen Werte infrage.
Mehr Fälle, weil mehr getestet wird?
Auch über die Rolle der Delta-Variante lässt sich nur spekulieren. Zwar erwarten viele, dass ihr Anteil an den Infektionen in der Schweiz bis nach den Sommerferien stark gestiegen sein wird. Doch die aktuellsten verfügbaren Zahlen beziehen sich erst auf den 21. Juni. Damals betrug bei den Neuansteckungen der Anteil der Delta-Variante knapp 29 Prozent (7-Tage-Schnitt) und war deutlich rückläufig. Vier Tage davor befand sich der Wert noch bei 37 Prozent.
Diskutiert wird auch, ob vermehrtes Testen bei den höheren Fallzahlen eine Rolle spielen könnte. Viele, die in den Sommerferien ins Ausland möchten, lassen sich derzeit testen. Auch wer für Veranstaltungen ein Covid-Zertifikat braucht, macht einen Nasenabstrich. Das zeigt sich auch an der Zahl der PCR-Test und der Antigen-Schnelltests, die seit gut zehn Tage wieder am Steigen ist.
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