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Frauenprotest in Polen
Von Staat und Kirche lässt sie sich nichts vorschreiben

Ruft die Frauen zum Streik auf: Marta Lempart hält in Warschau eine Rede gegen das Abtreibungsverbot. 
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Früher hätte sich Marta Lempart nicht träumen lassen, dass einmal ganz Polen sie als Rebellin kennen würde. Damals arbeitete die Finanzexpertin im Ministerium für Arbeit und Gesellschaftspolitik. Als Abteilungsleiterin verwaltete sie Millionengelder für die Rehabilitierung Behinderter, schrieb ein Gesetz über Zeichensprache mit und verhandelte mit Abgeordneten über Behindertenrechte.

«Ich habe viele Leute getroffen, die jenseits aller Politik hart arbeiten und unser Land am Laufen halten. Vor allem im Parlament habe ich gespürt, dass es hier um Grösseres ging. Ich glaube an den Staat, ich glaube an das Gesetz», sagt Lempart.

Doch nachdem das Verfassungsgericht ein schon stark eingeschränktes Recht auf Abtreibung für verfassungswidrig erklärte, bringt Lempart Hunderttausende Polinnen gegen diesen Staat auf die Strasse – trotz aller Corona-Beschränkungen und trotz aller Drohungen der Regierung. «Es ist furchtbar, dass ich den Staat wieder wie zu kommunistischen Zeiten als meinen Feind ansehen muss», sagt die 41-Jährige.

350 Kilometer nach Warschau zur Demo

Hinter der Verschärfung steckt die nationalpopulistische Partei PIS. Ende 2015 kam die PIS unter Jaroslaw Kaczynski an die Regierung – und machte sich als Erstes daran, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts zu beseitigen. Staatsbürgerin Lempart, die nach ihrer Beamtinnenzeit zu einer Baufirma in Breslau wechselte, war empört. Wurde in Warschau für die unabhängige Justiz demonstriert, fuhr Lempart die knapp 350 Kilometer nach Warschau, demonstrierte und fuhr in der Nacht zurück nach Breslau, um am nächsten Morgen wieder im Büro zu sitzen.

Bereits 2016 versuchten Fundamentalisten und PIS-Abgeordnete, das ohnehin restriktive Abtreibungsrecht zu verschärfen und Abtreibung per Gesetz komplett zu verbieten. Lempart protestierte in Breslau und rief auf Facebook zum Frauenstreik. Am 3. Oktober 2016 blieben bis zu 200’000 Polinnen der Arbeit fern und demonstrierten in bis zu 150 Städten. Der «Allpolnische Frauenstreik» war geboren.

Lempart schätzt die Zahl der Gerichtsverfahren gegen Aktivistinnen auf 500.

Ungestraft blieb das nicht: Lempart schätzt die Zahl der Gerichtsverfahren gegen Aktivistinnen auf 500. Gegen sie selbst laufen «40 Verfahren plus». So habe sie sich schon gegen den Vorwurf angeblicher Umweltschädigung durch Benutzung eines Megafons verteidigen müssen.

2016 machte die PIS noch einen Rückzieher. Doch ultrakonservative Gruppen reichten bald neue Gesetzesentwürfe ein: Die sollten nicht nur die Abtreibung verbieten, sondern auch gleich die Sexualaufklärung in Polens Schulen oder die Aufklärung über die Rechte von Schwulen und Lesben – ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt heute im Sejm.

Wollen sich nicht weiter gängeln lassen: Eine junge Polin passiert bei einer Demonstration in Krakau eine Kirche. 

Und nun ist der Protest zurück. Die von der Opposition kontrollierte Warschauer Stadtverwaltung hat den Aktivistinnen ein 280-Quadratmeter-Büro zu einem niedrigen Mietpreis überlassen – nur 100 Meter neben dem Sejm. Dort planen Lempart und ihre Mitstreiterinnen die nächsten Aktionen: Blockaden von Verkehrsknotenpunkten, Arbeitsgruppen und einen Koordinationsrat aus Experten, Politikern und Aktivisten. «Wir haben genau verfolgt, was früher in der Ukraine und nun in Belarus geschehen ist – Konstanz ist wichtig.»

Die protestierenden Polinnen fordern nicht nur die Rückkehr zum Status quo, sondern ein umfassendes Recht auf legale Abtreibung, den Rücktritt der Regierung und Polens Rückkehr zum Rechtsstaat.

Kirche unterrichtet in den Schulen

Neben der PIS spielt die eng mit der Partei verbundene katholische Kirche eine zentrale Rolle beim Abtreibungsverbot. Lemparts Mutter Lidia, selbst Katholikin, protestierte schon früher dagegen, dass die Kirche in Polens Schulen unterrichtet. Auch Marta Lempart ist «dagegen, dass irgendeine Kirche in meinem Land die Gesetze macht». Laut einer Umfrage sieht heute selbst die Hälfte der gläubigen Katholiken ihre Oberen kritisch. Die Kirche verliert stetig an Rückhalt. Immer weniger Polen gehen regelmässig in die Kirche. Und selbst in Kleinstädten und Dörfern, früher Bastionen der Allianz zwischen PIS-Partei und Kirche, demonstrierten jetzt viele Frauen gegen das Abtreibungsverbot.

In Umfragen ist auch die PIS auf dem niedrigsten Wert seit Jahren. Lempart sagt, die Regierung werde versuchen, «dem Protest in kleineren und mittleren Städten die Luft abzuschnüren». Allein in Allenstein (Olsztyn) im Nordosten Polens strengte der Staatsanwalt laut dem Lokalradio 17 Verfahren gegen Frauen an, die an den Protesten teilnahmen. Unter ihnen eine 14-Jährige, die sich vor dem Jugendgericht verantworten soll. Der Frauenstreik will das harte Vorgehen in der Provinz nun mit einer «Karte der Solidarität» publik machen.