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Umfrage der ETH Zürich
Bevölkerung beginnt, an der Neutralität zu zweifeln

Der Ukraine-Krieg hat dazu geführt, dass die Notwendigkeit einer vollständig ausgerüsteten Schweizer Armee auf grössere Akzeptanz stösst: Rekruten trainieren auf dem Waffenplatz Thun.
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Der militärische Überfall von Putin auf die Ukraine verunsichert die Schweizer Bevölkerung. Das zeigt eine Umfrage, die im Juni von der Militärakademie der ETH Zürich durchgeführt wurde. So geht inzwischen eine Mehrheit von 58 Prozent der Befragten davon aus, dass es künftig zu mehr kriegerischen Konflikten in Europa kommen wird. Jede dritte Person berichtet gar, dass sie aufgrund dieses Krieges ängstlicher geworden ist.  

Diese Ungewissheit schlägt sich auch in der Bewertung der schweizerischen Sicherheitspolitik nieder. Seit Messbeginn in den 1980er-Jahren war der Anteil an Befragten, welche die Armeeausgaben als zu wenig hoch bewerteten, noch nie so gross. Eine mögliche sicherheitspolitische Kooperation mit der Nato und der EU wird deutlich positiver beurteilt. Zudem führt der Krieg in der Ukraine zu einer kritischeren Sicht auf die Neutralität.

Wir zeigen anhand von vier prägnanten Zitaten, wie gross der Meinungsumschwung ist und welche Bevölkerungsgruppen ihre Einstellung im Vergleich zur letzten Umfrage im Januar (Angaben in Klammern) angepasst haben. 

Wie weiter mit der Neutralität?

«Wir möchten die umfassende, immerwährende, bewaffnete Neutralität langfristig in der Verfassung verankern, um nicht in Kriege hineingezogen zu werden.»

Christoph Blocher, SVP-Doyen

Der Alt-Bundesrat möchte mit einer Volksinitiative eine sehr rigide und eng gefasste Neutralität in die Bundesverfassung schreiben. Er dürfte keine Freude haben an den Ergebnissen der Umfrage. Erstmals seit 20 Jahren zeigt sich ein Rückgang bei der Zustimmung zur Schweizer Neutralität (–8), die mit 89 Prozent jedoch nach wie vor sehr hoch ist.  

Allgemein wird diese deutlich kritischer betrachtet als in den letzten Jahren. «Die Resultate zeigen, dass vermehrt Zweifel am Nutzen der Neutralität bestehen», sagt Tibor Szvircsev Tresch von der Militärakademie. So sind nur noch 58 Prozent (–11) der Schweizerinnen und Schweizer davon überzeugt, dass die Neutralität vor internationalen Konflikten schützt. Die grösste Veränderung gegenüber der Befragung vor dem Ukraine-Krieg ist bei der politischen Linken festzustellen, die im Januar noch mehrheitlich die Schutzfunktion der Neutralität befürwortet hat. Inzwischen sind es nur noch 44 Prozent.

Die schweizerische Sanktionspolitik gegenüber Russland, die von der SVP als schwerer Bruch mit der Neutralität gewertet wird, beurteilt die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ganz anders: 71 Prozent sind der Meinung, dass diese mit der Neutralität vereinbar ist. 

Sollen wir der Nato beitreten?

«Ich fordere keinen Nato-Beitritt. Aber die Schweiz muss viel enger mit der Nato kooperieren als heute.»

Thierry Burkart, FDP-Präsident

So schnell auf die Ereignisse in der Ukraine hat kein anderer Präsident einer grossen Partei reagiert. Mit seiner Forderung ist er nahe bei der Schweizer Bevölkerung. Mit 52 Prozent (+7) ist die Zustimmung zu einer Annäherung der Schweiz an die Nato auf einem Höchststand. Einen Beitritt lehnt aber nach wie vor eine Mehrheit ab, nämlich 73 Prozent.  

Die Zustimmung zu einer Nato-Annäherung hat in allen politischen Lagern zugenommen, am stärksten bei den Linken. Zudem sind Deutschschweizer eher dazu bereit als Personen aus der übrigen Schweiz. Die positivere Beurteilung einer Zusammenarbeit sei jedoch nicht zwingend auf den Ausbruch des Ukraine-Kriegs zurückzuführen, sagt Szvircsev Tresch: «Es könnte sich bei dem Anstieg auch um einen längerfristigen Trend infolge der geopolitischen Unsicherheiten handeln.» 

Braucht die Schweiz überhaupt eine Armee?

«Die Armeeabschaffung passt nicht mehr in unser Parteiprogramm. Die Armee gehört zur Schweiz.»

Franziska Roth, SP-Nationalrätin

Diese Aussage der Solothurner SP-Politikerin hat in ihrer eigenen Partei für einigen Wirbel gesorgt. Der Rückhalt der Bevölkerung für die Armee ist aber zuletzt stark gewachsen, selbst bei den Linken. «Es scheint, dass vermehrt Personen, die die Armee früher abschaffen wollten, diese nun eher als ein notwendiges Übel betrachten», sagt Szvircsev Tresch.  

Nur noch zehn Prozent (–4) der Befragten befürworten die Abschaffung, während 42 Prozent (+4) der Befragten das Militär als «notwendiges Übel» hinnehmen. Selbst jüngere Personen, bis anhin am kritischsten gegenüber der Armee eingestellt, sind nun zu über zwei Drittel von deren Notwendigkeit überzeugt. Insgesamt betrachten im Juni 80 Prozent (+5) der Schweizerinnen und Schweizer die Armee als notwendig.

Ist die Schweizer Armee genug gut ausgerüstet?

«Mit unseren Mitteln wäre im Fall eines Verteidigungskriegs nach ein paar Wochen Schluss.»

Thomas Süssli, Armeechef

Die Forderung nach einer «vollständig ausgerüsteten Armee» findet so hohen Zuspruch wie noch nie und ist nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs signifikant gestiegen. 74 Prozent der Befragten sind dieser Ansicht. Männer unterstützen eine vollständig ausgerüstete Armee stärker als Frauen. Während sich die Unterstützung der Frauen seit dem Ausbruch des Krieges nicht verändert hat, hat sie bei den Männern um 7 Prozent zugenommen. Im politischen Spektrum hat sich vor allem die Mitte bewegt: Die liegt inzwischen bei 80 Prozent (+7). Am stärksten befürworten Befragte mit einer tiefen Bildung eine vollständig ausgerüstete Armee.  

Bei den Armeeausgaben ist das Bild weniger klar: Nur noch 30 Prozent (–12) der Befragten sind der Meinung, dass die Schweiz «viel zu viel / zu viel» für die Verteidigung ausgibt. Dieser Meinungsumschwung ist bei Sympathisanten und Sympathisantinnen aller Parteien feststellbar, am stärksten bei denjenigen Befragten, die sich politisch der Mitte zuordnen. Eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben wird indes nur von einem Fünftel der Befragten gefordert. Aus den Resultaten könne also nicht direkt abgeleitet werden, ob die vom Parlament beschlossene deutliche Erhöhung des Rüstungsbudgets um 2 Milliarden bis 2030 befürwortet werde oder nicht, sagt Tibor Szvircsev Tresch.