Schweizer Hilfe für Ukraine Viel guter Wille – aber kaum Koordination
Ukrainische Spitäler brauchen Medikamente und Material, Schweizer NGOs wollen liefern. Oft aber fehlt es an direkten Kontakten, damit die Hilfe ankommt.
Wasil Sawtschin hat im Spital Nummer 8 in der westukrainischen Stadt Lwiw schon viele Brandwunden behandelt. «Aber jetzt bekommen wir Menschen mit Wunden, wie wir sie noch nie gesehen haben», erzählt der plastische Chirurg in einem Videogespräch: «Wir müssen selbst erst lernen, wie wir mit solchen Verletzungen umgehen.»
Sawtschins Spital ist zwar gut ausgerüstet, doch je mehr Menschen aus dem Kriegsgebiet im Osten kommen, desto schneller sind die Vorräte aufgebraucht. «Wir benötigen mehr Medikamente, Breitband-Antibiotika, Schmerzmittel», sagt der Chirurg. «Aber zum Glück haben wir eine gute internationale Kooperation, besonders mit der Schweiz.»
Sawtschins Schweizer Kontakt sitzt in Zürich, im orthopädischen Zentrum der Klinik Hirslanden. Der Facharzt für orthopädische Chirurgie, Ulrich Exner, stand schon vor dem Krieg im regen Austausch mit dem Spital in Lwiw. Das bewähre sich jetzt bei Hilfslieferungen, sagt Exner: «Der direkte Kontakt ist ganz wichtig. Helfer und Empfänger müssen einander kennen.»
40 Tonnen nach Lwiw
Exner arbeitet zusammen mit einem kleineren Verein namens Hilfswerk Ukraine des Zürcher Kinderarztes Jürg Streuli. Auch diese NGO profitiert von Kontakten in der Ukraine, die lange vor dem Krieg aufgebaut wurden. Nun kann der Verein alle zwei bis vier Wochen einen 40-Tonnen-Lastwagen mit medizinischen Gütern direkt nach Lwiw schicken, wo ein Vertrauensmann die Verteilung auf Spitäler im ganzen Land organisiert. Für ihn könne er die Hand ins Feuer legen, «dass nicht Material durch Korruption verschwindet», sagt Streuli.
Zu Beginn des Krieges habe er Kontakt zu grossen Hilfsorganisationen gesucht, aber keine Antworten erhalten, sagt Streuli: «Das hat mich schon aufgeregt, dass die Grossen mit den Kleinen nicht zusammenarbeiten wollen.» Mittlerweile sehe er aber, dass bei der Hilfe vor allem Flexibilität und Kreativität gefragt seien: «Die Ukraine braucht ganz verschiedene Arten der Unterstützung, da ist es nicht so schlimm, wenn jeder für sich arbeitet.»
Tatsächlich gibt es gerade im medizinischen Bereich unzählige Hilfsprojekte in der Schweiz für die Ukraine. Aber kaum Koordination. Und oft fehlen gerade die wichtigen direkten Kontakte in der Ukraine. Die Organisation Friends of Ukraine etwa, eine Zusammenarbeit der Schweizer Firma Testasy und dem Spitalverband H+, will Partnerschaften zwischen Spitälern in der Schweiz und der Ukraine vermitteln. In zwei Fällen habe das schon geklappt, sagt der Initiant Conrad E. Müller. Die Namen der Spitäler will er aber nicht verraten, «aus Sicherheitsgründen».
Abgesehen davon schickt die Organisation Lastwagen mit Hilfsgütern zu einem Lagerhaus in der Ukraine, wo Spitäler und Gemeinden die Lieferungen abholen. Zudem wird für die Menschen in den Krisengebieten telemedizinische Hilfe über Telegram und Whatsapp angeboten. «Wir hören, dass in der Ukraine Neurochirurgen gebraucht werden», sagt Müller. «Aber wir können im Moment nur Material liefern und Wissensaustausch ermöglichen.»
Euphorie und Chaos
Zu Beginn des Krieges habe unter Schweizer Ärztinnen und Ärzten eine geradezu euphorische Hilfsbereitschaft geherrscht, sagt Clemens Schiestl vom Kinderspital Zürich, der Präsident der European Burn Association ist. Aber viele Medikamente und viel Verbandsmaterial seien nie dort angekommen, wo sie gebraucht wurden: «Die Situation ist sehr unübersichtlich.» Der plastische Chirurg sammelt weiterhin medizinische Hilfsgüter, schickt sie aber nun zu einer zentralen Verteilerstelle des Roten Kreuzes in Prag: «So können wir viel besser helfen, als wenn wir das direkt machen würden.»
«Wir müssen mit Material, Manpower und dem Aufbau von Infrastruktur helfen.»
Grössere Projekte sind noch in der Planungsphase. Kinderarzt Jürg Streuli etwa will traumatisierten Kindern durch Hypnoseübungen helfen. Das sei schon in anderen Krisengebieten erprobt worden und nach einer kurzen Einführung auch durch Laien durchführbar.
Der orthopädische Facharzt Ulrich Exner plant neben der chirurgisch-operativen Zusammenarbeit nun Hilfe für Menschen, die im Krieg Arme oder Beine verloren haben: «Das Problem der prothetischen Versorgung wird derzeit noch völlig unterschätzt», sagt er. «Nach der Erstversorgung ist es extrem wichtig, dass Prothesen zügig angepasst werden und schnell mit der Rehabilitation begonnen wird. Das ist enorm teuer. Wir müssen mit Material, Manpower und dem Aufbau von Infrastruktur helfen.»
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