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Gondel-Absturz am Monte Mottarone
Videokamera filmte Seilbahn-Unglück

Wie durch ein Wunder überlebte ein 5-jähriger Junge das Unglück. Die restlichen Insassen konnten von den Rettern nur noch tot geborgen werden. (23. Mai 2021)
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Die Untersuchungen zur Ursache des Seilbahnunglücks in Norditalien mit 14 Toten laufen auf Hochtouren. Wie Italienische Medien am Dienstag berichten, gibt es Videoaufnahmen, die den Hergang des Unglücks am Monte Mottarone über dem Lago Maggiore zeigen.

Das Video ist 14 Sekunden lang. Aufgenommen hat es die Kamera, die auf dem Dach der Bergstation montiert ist. Offenbar läuft die nicht immer, aber am Sonntagmittag war sie eingeschaltet. Das Wetter war schön, es ging kein Windstoss, die Sicht war unverstellt – die Aufnahmen seien «unerträglich perfekt», schreibt «La Stampa». Die Turiner Zeitung, die als Lokalblatt in der Region die ausführlichsten Informationen über den Unfall hat, berichtet exklusiv über das Video, das nun zu den Akten der Ermittler gehört, der Staatsanwaltschaft von Verbania. Öffentlich ist es nicht. «La Stampa» hat mit einem Mann gesprochen, der die Aufnahmen gesehen hat. Er erzählt, dass die Gondel etwa «drei, höchstens vier Meter» vor der Bergstation war, als es passierte.

Die Passagiere bereiten sich gerade vor, auszusteigen, die Gondel fährt nur noch ganz langsam. Dann plötzlich reisst das Zugseil, die Kabine springt förmlich in die entgegengesetzte Richtung und rollt rückwärts auf dem Tragseil, ungebremst, gewinnt schnell an Fahrt. In kurzer Zeit erreicht sie eine Geschwindigkeit von «120 Stundenkilometern», schreibt «La Stampa». Sie rast auf den Pfeiler zu, der etwa 400 Meter von der Bergstation Mottarone entfernt steht, es ist der letzte vor der Ankunft. Er wirkt wie eine Rampe, die Gondel springt aus dem Tragseil und hebt ab, 25 Meter über dem Boden – und verschwindet aus dem Blickfang der Kamera.

Was man nicht sieht auf den Bildern: Die Gondel prallt auf dem Boden auf, rutscht dann noch etwa 300 Meter in die Tiefe, bis ein Baum sie stoppt. Wie durch ein Wunder überlebt ein 5-jähriger Junge, Sohn eines israelischen Paars aus Pavia. Er liegt in einem Spital in Turin, verletzt zwar, aber nicht in Lebensgefahr. Die Ärzte vermuten, dass der Vater ihm mit seiner Umarmung das Leben gerettet hat.

Am Samstag gab es ein technisches Problem

Bereits am Tag vor dem Unglück soll es technische Probleme mit der Bahn gegeben haben. Ein Informatiker aus der Gegend, der mit seiner Verlobten am Samstag auf dem Berg war, erzählt nun, sie hätten wegen des schlechten Wetters nach kurzer Zeit beschlossen, wieder umzukehren. Doch da gab es ein technisches Problem, die Fahrt verzögerte sich, die Anlage stand lange still. Am Ende fuhren sie dann doch mit der Gondel zurück, mit dabei: die Techniker, die die Panne behoben hatten.

Italien hat an Pfingsten seine Seilbahnen wieder geöffnet, nachdem sie sieben Monate geschlossen waren. Es gibt viele, aufs ganze bergige Land verteilt. Eine bekannte führt von Stresa, einer Gemeinde am piemontesischen Westufer des Lago Maggiore, hinauf auf den Mottarone, der auf 1492 Metern über dem Meeresspiegel gipfelt. Früher führte eine Zahnradbahn hinauf. Dann bauten sie eine Seilbahn, 1970 wurde sie eingeweiht.

Sie besteht aus zwei Teilstücken, in der Zwischenstation Alpino wechseln die Passagiere die Gondel. Dann geht es weiter bis fast ganz hinauf auf den Berg, von dem man einen wunderbaren Panoramablick über viele Seen, Berge und Täler in der Umgebung hat, die Schweiz ist nicht weit. Im Sommer kommen Wanderer, im Winter Skifahrer. Die Bahn gehört dem Staat, betrieben wird sie von Privaten. Sie wirbt mit dem Slogan: «In zwanzig Minuten vom See auf den Berg.» 20 Euro für Erwachsene, rauf und runter, 12 Euro für Kinder.

Marode Infrastrukturen

Die italienischen Zeitungen zeigen Bilder von allen Opfern, wie sie das immer tun: Es sind Fotos aus glücklichen Tagen, die sie aus den sozialen Medien geholt haben. In die Trauer um die Menschen mischt sich bereits das übliche Klagen über das eigene, nationale Unvermögen, obschon die Unfallursachen noch völlig unklar sind. «La Stampa» schreibt, Italiens zerfallende Infrastrukturen seien ein «Roulette», diesmal sei die schwarze Kugel an einem besonders zauberhaften Ort stehengeblieben. «Nach den Brücken, den Zügen, den Tunnels – jetzt sind wir bei der Tragödie der panoramischen Seilbahn angelangt.» Der Mailänder Corriere della Sera titelt seinen Kommentar so: «Redet jetzt nur nicht von Schicksal.»

Warum also riss das Zugseil? Und was war mit den Bremsen am Tragseil: Warum blockierten sie die Gondel nicht? Die Seilbahn war über die Jahre hinweg immer gewartet und überholt worden. Von 2014 bis 2016 investierten die piemontesische Regionsverwaltung und die Gemeinde Stresa 4,4 Millionen Euro für eine Generalinspektion. Den Auftrag für die Kontrollen hat die renommierte Firma Leitner aus Südtirol, und die lässt nun ausrichten, sie habe die Seile erst im vergangenen November magnetoskopisch geprüft und keine Probleme entdeckt. Regelrecht geröntgt werden diese Stahlstränge jeweils, um Abnützungen im Innern möglichst früh zu erkennen.

Übersah man da etwas? Ist die Anlage womöglich zu alt? Stand sie vielleicht in der Pandemie zu lange still? Die Staatsanwaltschaft hat alle Wartungsbücher beschlagnahmt, um diese Fragen zu klären. Die Bahn jedenfalls wird lange geschlossen bleiben.