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Wegweisendes Gerichtsurteil
«Kurze Dauer» führt bei Vergewaltigung nicht zu einer milderen Strafe

Demo für das Vergewaltigungsopfer vom St. Johann, Appelationsgericht Basel
Bäumleingasse 1. Die Berichterstattung zum Urteil «Vergewaltigungsfall Elsässerstrasse» hat viele Reaktionen hervorgerufen. Sonntag 08. August 2021. Foto @ nicole pont.
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In Kürze:
  • Gerichte dürfen die Dauer einer Vergewaltigung berücksichtigen.
  • Sie dürfen das aber nicht zugunsten des Täters tun.
  • Das stellt das Bundesgericht in einem Urteil klar.
  • Das Gericht wies die Beschwerde eines Täters ab und präzisierte seine Haltung.

Vor einem Jahr hat ein Urteil in einem Basler Vergewaltigungsfall Empörung ausgelöst. Das Basler Appellationsgericht hatte festgehalten, die Vergewaltigung habe «vergleichsweise kurz» gedauert – je nach Angaben zwischen 6 und 11 Minuten. Es sah unter anderem deshalb keinen Grund für eine härtere Strafe. Das Bundesgericht korrigierte das Basler Gericht zwar in anderen Punkten – namentlich bei der Mitschuld des Opfers –, befand es aber für korrekt, die «relativ kurze Dauer der Vergewaltigung» zu berücksichtigen.

Kritikerinnen empfanden das als zynisch gegenüber dem Opfer. Sie fragten, ab wie vielen Minuten eine Vergewaltigung denn lange dauere – und forderten, das dürfe bei der Beurteilung keine Rolle spielen. Kommentatoren erwiderten, es sei durchaus wichtig, dass die Justiz beim Strafmass berücksichtigen dürfe, ob eine Vergewaltigung einige Minuten oder Stunden gedauert habe. Werde ein Opfer über Stunden gequält, würde niemand sagen, die Dauer spiele keine Rolle.

Nicht zugunsten des Täters

Im vergangenen Sommer schaltete sich schliesslich die Politik ein. Die Rechtskommission des Nationalrates stimmte einer parlamentarischen Initiative der Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz zu, die eine Änderung des Strafgesetzbuches forderte. Demnach soll das Verschulden eines Täters künftig ohne Berücksichtigung der Tatdauer beurteilt werden. Eine lang anhaltende Vergewaltigung soll aber zu einer  schwereren Strafe wegen besonderer Grausamkeit führen können. 

Doch nun stellt das Bundesgericht in einem neuen Urteil klar: So war es gemeint, so ist die Rechtssprechung schon heute. Die Dauer einer Vergewaltigung dürfe bei der Strafzumessung in keinem Fall zugunsten des Täters berücksichtigt werden. Umgekehrt könne es sich aber durchaus erschwerend auf die Schuld des Täters auswirken, wenn die Länge der Tat auf eine erhöhte kriminelle Energie schliessen lasse. 

Das Bundesgericht räumt ein, dass die Passage aus seinem Urteil im Basler Fall etwas anderes vermuten liess. Die Formulierung «relativ kurze Dauer» sei «unangemessen» gewesen, schreibt das Gericht. Für die Rechtssprechung komme ihr keine Bedeutung zu. 

Täter vor Gericht abgeblitzt

Im neuen, am Dienstag veröffentlichten Urteil geht es um einen Fall im Kanton Wallis vom vergangenen Jahr. Ein 51-jähriger Mann überwältigte eine Frau auf dem Heimweg von einer Bar und vergewaltigte sie. Der Mann wurde zunächst vom Bezirksgericht Martigny und St-Maurice zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten – zur Hälfte bedingt – und einem Landesverweis verurteilt. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft erhöhte das Kantonsgericht des Kantons Wallis die Freiheitsstrafe auf dreieinhalb Jahre unbedingt. 

Dagegen erhob der Täter Beschwerde vor dem Bundesgericht. Er argumentierte, dass das Kantonsgericht bei der Strafzumessung seine Schuld wegen der kurzen Tatdauer milder hätte beurteilen müssen. Dabei berief er sich auf das Urteil zum Basler Fall. Doch das Bundesgericht sagt nun, dieser Schluss könne aus dem damaligen Urteil nicht gezogen werden. Es hat die Beschwerde des Täters abgewiesen. 

Zwar habe es im Basler Fall tatsächlich festgehalten, es sei bundesrechtkonform, die «im Vergleich relativ kurze Dauer» der Vergewaltigung zu berücksichtigen, schreibt das Bundesgericht. Die Frage der Tatdauer sei beim Entscheid aber nicht weiter behandelt worden. Die Bezeichnung «Vergewaltigung von kurzer Dauer» sei «Nonsens», zumal die Verletzung des geschützten Rechtsguts ab dem ersten Moment der sexuellen Handlung erfolge.

Opfer traumatisiert

Das Walliser Kantonsgericht stufte die Tat des 51-Jährigen als schwer ein. Die Frau sei durch den Übergriff – während dem sie um ihr Leben gefürchtet habe – dauerhaft gezeichnet, hielt es fest. Sie habe an einer posttraumatischen Störung gelitten. 

Die Frau hatte den späteren Täter und einen weiteren Mann vor einer Bar kennen gelernt, während sie eine Zigarette rauchte. Später bezahlte sie den beiden einen Drink und tanzte mit ihnen. Als die Bar gegen 2 Uhr morgens schloss, verliess die Frau die Bar und trat den Heimweg an. 

Der Täter bot an, sie zu begleiten, was sie ablehnte. Er folgte ihr trotzdem. In der Nähe ihrer Wohnung versuchte er, sie zu küssen. Sie stiess ihn zurück. Daraufhin drückte er sie zu Boden und vergewaltigte sie, wobei er ihr den Mund zuhielt. Nach einigen Minuten gelang es ihr, um Hilfe zu rufen, worauf er flüchtete.

Urteil 6B_612/2024