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Verbot rassistischer Symbole
Das Parlament und sein grosser Krampf mit dem Hakenkreuz

HANDOUT - Rechtsextremes Material, das in der Wohnung von acht junge Rechtsextreme gefunden wurde, welche am Donnerstag, 9. August 2007, in Genf drei Afrikaner angegriffen und einen von ihnen verletzt hatten. Sie wurden nach der Tat verhaftet, wie die Genfer Kantonspolizei am Freitag mitteilte. Eine Gruppe Soldaten war im Ausgang in der Nacht auf den (gestrigen) Donnerstag dazugestossen, als die Rechtsextremen die drei Afrikaner rassistisch beleidigten und mit Faustschlaegen und Fusstritten zu traktieren begannen. (KEYSTONE/Kantonspolizei Genf) *** NO SALES, DARF NUR MIT VOLLSTAENDIGER QUELLENANGABE VERWENDET WERDEN ***
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Ein Hakenkreuz, frisch hingesprayt in einer Quartierstrasse am Zürichberg. Ein Hakenkreuz auch in einer Wohnsiedlung in Bern. Ein Transparent an einer Pro-Palästina-Demo auf dem Bundesplatz, auf dem der jüdische Davidstern mit dem nationalsozialistischen Hakenkreuz gleichgestellt wird.

All diese Nazi-Verherrlichungen wurden in den letzten Wochen neu gemalt. In aller Öffentlichkeit. In der Schweiz. Völlig legal. Ebenfalls legal ist, dass ein Brocki im Thurgau im grossen Stil Hitlerbüsten, Hakenkreuzfahnen und Handgranaten der Waffen-SS verkauft, wie die CH-Media-Zeitungen unlängst publik machten.

All dem wollte die Mitte-Politikerin Marianne Binder einen Riegel schieben. Möglichst rasch. In einer Motion forderte sie ein «ausnahmsloses Verbot» von Nazisymbolik im öffentlichen Raum. Der Nationalrat hatte der Forderung schon im Mai klar zugestimmt. Es fehlte nur noch das Einverständnis des Ständerats.

Doch dieser sagte am Mittwochmorgen Nein. Mit 23 zu 16 Stimmen. Die meisten Ja-Stimmen kamen aus Mitte und SP, doch auch diese Fraktionen votierten nicht geschlossen.

Marianne Binder, die ihren Vorstoss noch als Nationalrätin eingereicht hat, neuerdings aber selber im Ständerat sitzt, warb vergeblich um Zustimmung. Der Antisemitismus wachse in der Schweiz, was sich auch an der Verwendung von Nazi-Symbolen zeige, sagte Binder. «Dieser Geschichtslosigkeit, dieser Arroganz den Fakten gegenüber, dieser Verluderung des Denkens», müsse das Parlament einen Riegel schieben.

Grossdemo zu Free-Palestina und gegen Israel, am Samstag 4. November  2023, in Bern. Foto: Marcel Bieri

Eingereicht hatte Binder ihren Vorstoss schon 2021, lange vor dem Gazakrieg also. Der Auslöser war damals die Zunahme von antisemitischen Verschwörungslügen im Zuge der Corona-Pandemie. «Nun kocht die braune Sauce wegen des Gazakriegs noch weiter auf», sagt Binder.

Doch statt ihrem Vorstoss für den raschen Erlass einer Lex Hakenkreuz stimmte der Ständerat einer anderen Motion zu, die seine Rechtskommission als Alternative zu Binders Motion vorgelegt hatte. Die Motion der Rechtskommission will den Fächer öffnen. Sie verlangt ein Gesetz, das nicht nur NS-Symbole unter Strafe stellt, sondern die Verwendung von «rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden Zeichen, Symbolen, Gesten, Parolen, Grussformen, Zeichen und Fahnen» generell verbieten will.

Es gehe nicht an, nur gewisse Symbole zu verbieten und andere zu ignorieren, sagte Céline Vara (Grüne) als Sprecherin der Rechtskommission. Auch Daniel Jositsch (SP), Andrea Caroni (FDP) und Noch-Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider plädierten dafür, die Problematik breiter anzugehen. 

Marianne Binder-Keller, Mitte-AG, hoert einem Votum zu, an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 13. September 2022 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Das heisst: Der Ständerat beschloss, dass er etwas gegen rassistische Symbole tun will – aber einfach nicht ausschliesslich gegen Nazi-Symbole.

Alles gut also?

Überhaupt nicht, findet Jonathan Kreutner, der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Kreutner hatte alle Mitglieder des Ständerats am Sonntagabend per E-Mail dringend gebeten, dem Vorstoss von Binder zuzustimmen.

In der offen formulierten Motion, die der Ständerat nun stattdessen angenommen hat, sieht Kreutner «eine Verzögerungstaktik».

Juden fürchten «Verzögerungstaktik»

Denn: Der Vorschlag des Ständerats muss nun erst noch vom Nationalrat angenommen werden. Wie lange wird das dauern (der Nationalrat braucht gewöhnlich sehr lange, bis er Vorstösse behandelt)? Und wird der Nationalrat dem Ständerat (nachdem dieser zuvor den nationalrätlichen Binder-Vorstoss abgeschossen hat) überhaupt zustimmen? Das ist völlig offen.

Nazi-Symbole aus den letzten Wochen, Fotos zvg vom Israelitischen Gemeindebund SIG

Und selbst wenn der Nationalrat zustimmen sollte, geht dann erst das Ringen um einen konkreten Gesetzestext los – vor allem um die Frage, welche Symbole genau verboten werden sollen.

Vielleicht auch Hammer und Sichel, das Wappen der Sowjetunion, die ebenfalls Millionen Menschen auf dem Gewissen hat? Oder die Hamas-Fahne? Und was ist mit dem Z-Symbol, das die Russen in der Ukraine auf ihre Panzer malen? Und ist nicht auch das Totenkopf-Symbol der «Hells Angels» gewaltverherrlichend? Und sollte man nicht auch die Konföderierten-Flagge der amerikanischen Südstaaten verbieten, welche für die Sklaverei stehen? Zu solchen Fragen – und es gibt noch viele Dutzend mehr – gab es im Ständerat am Mittwochmorgen nicht einmal ansatzweise eine Antwort.

Die Motion des Ständerats bringe so viele Auslegungsfragen mit sich, dass die Gefahr riesig sei, dass am Ende das Gesetzgebungsprojekt wieder an den Details scheitern werde, sagt Kreutner. «Das lehrt uns die Erfahrung der letzten 20 Jahre.»

Zurück auf Feld 1

Worauf Kreutner anspielt: Im Parlament wiederholt sich gerade die Geschichte. Vor 20 Jahren war ein Verbot rassistischer Symbole schon einmal sehr weit gediehen. 2003 hatte die eidgenössische Jugendsession ein Verbot gefordert, National- und Ständerat stimmten 2005 zu und der Bundesrat begann mit den Gesetzgebungsarbeiten.

Doch 2011 brachen Bundesrat und Parlament die Übung ab. Es sei unmöglich, eine Gesetzesformulierung zu finden, die genügend konkret und für die Justiz auch umsetzbar sei, schrieb der Bundesrat damals in einem Bericht. Auf Juristendeutsch: Ein allgemeines Verbot rassistischer Symbole verletze das «Bestimmtheitsgebot» im Strafrecht.

Mit anderen Worten: Damals scheiterte das Verbot rassistischer Symbole, weil es zu wenig konkret war. Am Mittwochmorgen nun lehnt der Ständerat Binders Forderung nach einem Verbot ab, weil sie zu konkret war.

Weit über 70 Symbole

Dass ein breites Symbolverbot nicht einfach umzusetzen ist, zeigt auch ein neuerer Bericht des Bundesamts für Justiz von Ende 2022. Dieser listet in einem Anhang weit über 70 Symbole und Codes auf, die potenziell rassistisch und gewaltverherrlichend sind.

Aus diesem Grund, argumentiert Binder, habe sie sich in ihrem Vorstoss auf Nazi-Symbole konzentriert. Ihre Idee war, vorerst nur die gängigsten Symbole und Gesten wie etwa das Hakenkreuz, den Hitlergruss oder die SS-Runen zu verbieten. «Eine Strafnorm allein mit dem Bezug auf den Holocaust ist begründet», sagte Binder. «Der Nationalsozialismus ist als historisch einzigartiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassend beschrieben.» Später, meinte Binder, hätte man das Verbot ja dann immer noch auf andere Symbole und gewaltverherrlichende Ideologien ausweiten können.

Die nächste Folge der unendlichen Serie «Hakenkreuz verbieten» wird nun also im Nationalrat stattfinden. Zeitpunkt: noch offen. Der Ausgang: noch offener.