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«Unsere Tochter ist mutig, ich gebe ihr eine Kalaschnikow»

Sie besucht jede Gerichtsverhandlung in New York: Chapos Frau Emma Coronel Guzmán.
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Sie ist immer da. Am 5. November 2018 hat in New York der Prozess gegen Chapo Guzmán begonnen, den mutmasslichen Chef des Drogenkartells von Sinaloa. Seine Ehefrau Emma Coronel Guzmán hat keinen einzigen Verhandlungstag verpasst.

In einem Interview mit dem spanischsprachigen US-Sender Telemundo sagte die 29-jährige ehemalige Schönheitskönigin (sie war im Bundesstaat Sinaloa «Miss Guayave und Kaffee»), sie glaube fest an Chapo Guzmáns Unschuld. Nein, er sei nicht das Monster, als das ihn die Zeugen der Anklage darstellen. Und nein, sie habe nicht genau gewusst, womit ihr 32 Jahre älterer Gatte sein vieles Geld verdiene. Als die mexikanischen Behörden Chapo Guzmán im Januar 2017 an die US-Justiz auslieferten, schrieb Emma Coronel auf Twitter: «Egal, was passiert, ich habe dir versprochen, immer für dich da zu sein, und hier bin ich.»

Die in Kalifornien geborene, aber in den Bergen von Sinaloa aufgewachsene junge Frau ist die personifizierte Treue. Oder der Inbegriff blinder Hörigkeit. Oder ein Beispiel für skrupellosen Opportunismus. Selbst nach dem ausführlichen Interview mit Telemundo bleibt Coronel ein Rätsel. Undurchschaubar war sie auch, als diese Woche beim Prozess plötzlich ihre Beziehung zum mutmasslichen Chef des Sinaloa-Kartells ins Zentrum des Interesses rückte.

Einmal bittet Chapo Guzmán seine Ehefrau um ein Färbemittel für seinen Schnauz.

Ein FBI-Agent namens Stephen Marston las vor Gericht private Nachrichten vor, die Emma Coronel und Chapo Guzmán während dessen jahrelanger Flucht ausgetauscht hatten. Sie beweisen, dass die junge Frau, die bisher weder angeklagt noch als Zeugin geladen wurde, viel mehr über das wahre Leben des Chapo Guzmán wusste, als sie öffentlich behauptet. Einmal schildert ihr Chapo, wie er im Touristenort Los Cabos Ende Februar 2012 beinahe verhaftet worden wäre. Er habe im letzten Moment aus dem Fenster springen und flüchten können. «Ich habe mir einige Kratzer geholt, aber Gott sei Dank geht es mir gut», schreibt Guzmán, worauf seine Gattin antwortet: «Oh, mein Lieber, das ist ja schrecklich.»

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Staatsanwalt Richard Donoghue, Ankläger im Prozess gegen Joaquín Guzmán.
«El Chapo» wurde im Januar 2017 von Mexiko an die USA ausgeliefert, wo ihm jetzt der Prozess gemacht wird.
Drogenboss Joaquín «El Chapo» Guzmán – hier in einer Gerichtszeichnung in der Mitte – droht eine lebenslange Haftstrafe im New Yorker Prozess, der seit November 2018 läuft.

In einer anderen Nachricht bittet Chapo Guzmán seine Frau, sie solle ihm Färbemittel für seinen Schnauz, Shampoo, Rasierwasser und frische Unterwäsche schicken. Rätselhaft bleibt dabei, weshalb einer der reichsten und mächtigsten Verbrecher der Gegenwart nicht einen Leibwächter losschicken kann, um ihm die Dinge zu besorgen.

Einmal befürchtet Emma Coronel, die Polizei könnte ihr Zuhause durchsuchen. «Hast du eine Waffe?» fragt Guzmán. «Ja, eine, die du mir gegeben hast», ist die Antwort. Darauf bittet Guzmán darum, das kompromittierende Objekt an einem sicheren Ort zu verstecken. In einem weiteren Gespräch geht es um Kartellmitglieder, die bei einer Schiesserei getötet wurden – auch dies ein Beweis dafür, was der gesunde Menschenverstand ohnehin gebietet: dass Coronel sehr wohl wusste, wen sie 2007 geheiratet hatte.

«Der Bastard kann mich sicher lokalisieren»

Oft drehen sich die Gespräche um die Zwillingsmädchen Emalí Guadalupe und María Joaquina, die im August 2011 in Kalifornien zur Welt gekommen sind. Für Momente gebärden sich Guzmán und seine Frau wie die normalen Eltern einer normalen Familie, doch es ist der Drogenboss selber, der diese erzwungene Normalität an einem makaberen Witz zerschellen lässt. «Unsere Kiki ist mutig», schreibt er über seine heute siebenjährige Tochter María Joaquina. «Ich werde ihr eine Kalaschnikow geben, damit sie mich begleiten kann.»

Prozessbeobachter berichten, dass Chapo Guzmán seiner Frau jedes Mal zuwinkt, wenn er in den Gerichtssaal geführt wird, und dass er häufig Blickkontakt zu ihr sucht. Als die privaten Chats verlesen wurden, sei er unruhig hin und her gerutscht, und besonders fieberhaft habe er gewirkt, als dann auch noch Gespräche mit seiner Geliebten öffentlich wurden. Agustina Cabanillas Acosta alias «La Fiera» (das Raubtier) wurde im Februar 2012 in Los Cabos verhaftet, bei jener Polizeiaktion, vor der sich Chapo Guzmán durch einen Sprung aus dem Fenster rettete.

«Die Drogenverkäufe laufen unaufhaltsam, mi amor»: Chapos Geliebte Agustina Cabanillas, genannt «das Raubtier».

Mit Acosta, die Emma Coronel auffallend ähnlich sieht, spricht Guzmán über den Schmuggel von Drogen in die USA. Einmal fragt er, wie die Verkäufe laufen, worauf sie antwortet: «Unaufhaltsam, mi amor.» Sie schreibt, er sei «der wichtigste Mensch in meinem Leben». Gegenüber ihren Freundinnen beklagt sich Acosta allerdings über den Geliebten: «Ich traue diesen Blackberrys, die er mir gegeben hat, einfach nicht. Der Bastard kann mich damit sicher lokalisieren.»

Ein regungsloses Gesicht hinter riesiger Sonnenbrille

Mit ihrer Vermutung hatte die junge Frau absolut recht. Denn das FBI konnte die privaten Gespräche des mutmasslichen Capos vor Gericht präsentieren, weil es amerikanischen Agenten gelungen war, den IT-Spezialisten des Sinaloa-Kartells als Spitzel anzuwerben. Im Zeugenstand schilderte der Kolumbianer Christian Rodríguez, wie er sämtliche Blackberrys, die Guzmán später an seine Geliebten und seine engsten Gefolgsleute verteilte, mit der Schnüffelsoftware Flexi-Spy ausstattete. So konnte der Chef des Sinaloa-Kartells auf einem Bildschirm überwachen, wer sich wo aufhielt, und er habe sämtliche Chats seiner Frau, seiner Geliebten und seiner wichtigsten Komplizen mitgelesen.

Rodríguez, laut dem Beobachter der spanischen Zeitung «El País» ein Mann «mit kindlichem Gesicht und blauem Anzug», sagte ferner aus, irgendwann habe ihn Chapo darum gebeten, die Handys so auszustatten, dass er sie wie eine Wanze benutzen konnte. Er habe dann häufig jemanden angerufen und nach dem Gespräch aus der Ferne das Mikrofon des Handys eingeschaltet, um zu hören, was über ihn gesagt wurde.

Als Emma Coronel im Gerichtssaal vernahm, wie sie ihr Ehemann betrog und ausspionierte, blieb sie laut Beobachtern äusserlich regungslos. Ihre überdimensionierte Sonnenbrille habe sie während der Zeugenaussagen nicht ein einziges Mal abgenommen.