Britischer Minister verrät Details«Unser Vertrag übertrumpft den ihren (…) so einfach ist das»
Warum sind die Briten beim Impfen so viel schneller? Der Gesundheitsminister sagts – und giesst damit im Streit mit der EU nochmals Öl ins Feuer.
Angesichts anhaltender Lieferprobleme bei Corona-Impfstoffen will sich der EU-Gipfel für die Kontrolle von Ausfuhren in Drittstaaten aussprechen. «Wir betonen die Wichtigkeit von Transparenz sowie die Verwendung von Exportgenehmigungen», hiess es im Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen am Donnerstag.
Die Hersteller der Vakzine müssten ihre vertraglichen Liefertermine einhalten, heisst es im Entwurf der Gipfel-Erklärung. Hintergrund ist insbesondere der Streit mit dem britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca. Er sollte laut EU-Kommission im ersten Quartal 120 Millionen Dosen liefern. Nun werden es bestenfalls 30 Millionen Dosen.
EU lieferte schon 21 Millionen Impfdosen an die Briten
Die EU-Kommission hatte wegen des Streits am Mittwoch die EU-Exportregeln deutlich verschärft. Nun sind Ausfuhrverbote möglich, wenn ein Zielland selbst Impfstoff produziert, aber nicht exportiert, oder wenn dessen Bevölkerung bereits weitgehend geimpft ist.
Im Fokus steht vor allem Grossbritannien. Die EU hat den Verdacht, dass Astrazeneca die Briten bevorzugt beliefert – auch mit Impfstoffen, die in der EU produziert werden. Laut EU-Kommission gingen bisher 21 Millionen Dosen ins Vereinigte Königreich. Insgesamt exportierte die EU 77 Millionen Dosen.
«Das nennt man Vertragsrecht»
Dem britischen Gesundheitsminister Matt Hancock zufolge hat sich Grossbritannien beim Impfstoffhersteller Astrazeneca definitiv eine bevorzugte Behandlung gesichert. Der «Financial Times» sagte er: «Unser Vertrag übertrumpft deren. Das nennt sich Vertragsrecht und ist eindeutig.» Die EU habe einen Vertrag, der lediglich «beste Bemühungen» seitens des Impfstoffherstellers zusichere, London habe sich hingegen Exklusivität ausbedungen.
Hancock warnte Brüssel davor, Exportbeschränkungen für Impfstoffe zu verhängen. Das wäre ein schwerer Fehler, so der konservative Politiker. «Ich glaube daran, dass freie Handelsnationen sich an das Vertragsrecht halten». Unternehmen aus dem Bereich der Biowissenschaften würden sich in Zukunft in Grossbritannien niederlassen, nicht in einer protektionistischen EU. «Von Grossbritannien aus können Sie überall in die Welt exportieren – dem werden wir niemals einen Riegel vorschieben».
Auch aus den Reihen der EU-Staaten gab es Warnungen vor Exportverboten. Es sei nicht ratsam, wegen «eines einzelnen schwarzen Schafes» die globalen Wertschöpfungsketten von Impfstoffen zu gefährden, sagte ein EU-Diplomat.
Kurz fordert «Korrekturmechanismus»
Mit Unternehmen wie Biontech/Pfizer und Moderna gebe es schliesslich keine Probleme. Auch ein deutscher Regierungsvertreter hatte am Mittwoch wegen möglicher Vergeltungsaktionen davor gewarnt, «am Ende ein grösseres Problem» zu schaffen.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz will beim Gipfel unterdessen auf eine nachträgliche Umverteilung der über die EU beschafften Impfstoffe dringen. Mitte März hatten Wien und fünf weitere Regierungen einen «Korrekturmechanismus» gefordert, weil sie sich bei der Impfstoffvergabe benachteiligt sehen. Neben Österreich beschwerten sich auch Tschechien, Slowenien, Bulgarien, Kroatien und Lettland.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug daraufhin vor, zehn Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer, die nun vorgezogen im zweiten Quartal geliefert werden, für einen Ausgleich zu nutzen. Bisher erzielten die Mitgliedstaaten in diesem Punkt aber keine Einigung.
Rückstand könnte EU «123 Milliarden Euro» kosten
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verteidigte vor dem Hintergrund des Verteilungsstreits die gemeinsame Impfstoffbeschaffung. Sie wolle sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn einige EU-Staaten Impfstoffe hätten und andere nicht, sagte sie im Bundestag. «Das würde den Binnenmarkt in seinen Grundfesten erschüttern.»
Laut einer Studie des Kreditversicherers Euler Hermes liegt die EU mittlerweile sieben Wochen hinter ihren eigenen Impfzielen und «die Verzögerung verschlimmert sich». Vor einem Monat waren es demnach noch fünf Wochen. «Wenn dies nicht kompensiert wird, könnte das die europäische Wirtschaft im Jahr 2021 (...) fast 123 Milliarden Euro kosten.»
cpm/afp
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