Unerfüllter Kinderwunsch«Überall sehe ich Mütter, Babys, Schwangere»
Jedes sechste Paar hat Mühe, ein Kind zu zeugen. Eine Bernerin erklärt, was das für sie bedeutet – und warum sie eine Selbsthilfegruppe gründen will.
Als Laura M. und ihr Partner aufhörten zu verhüten, nahmen sie sich vor, das Thema Kinderkriegen locker anzugehen. «Wir schauen mal, was passiert», sagten sie sich.
Passiert ist erst mal: nichts. Die ersten Monate zogen vorbei, die Schwangerschaftstests blieben negativ. Beunruhigend fand Laura M. die einsamen Striche auf den Tests noch nicht: Sie dachte, die Hormone seien sich nach dem Absetzen der Pille noch am Einpendeln.
Die Abklärung im Kinderwunschzentrum
Nach einem Jahr war die Verunsicherung gestiegen. «Irgendwie funktioniert es bei uns nicht wie bei anderen», dachte Laura M. In ihrem Umfeld kamen immer mehr Kinder zur Welt, oft hörte sie von befreundeten Paaren: «Es hat schon beim ersten Mal geklappt!» Oder: «Plötzlich war ich einfach schwanger.»
Nach zwei Jahren beschlossen Laura M. und ihr Partner, medizinische Hilfe zu holen. Im Kinderwunschzentrum wurden beide abklärt, die Ursache für die ungewollte Kinderlosigkeit war schnell gefunden: Das Spermiogramm das Partners sah «alles andere als optimal» aus. Nach mehreren erfolglosen Therapien teilte die Ärztin dem Paar mit, dass die Chance, auf natürlichem Wege schwanger zu werden, nahezu gleich null sei.
Ein häufiges Problem
Rund ein Paar von sechs hat wie Laura M. und ihr Partner Mühe, ein Kind zu bekommen. Das sagt Markus Bleichenbacher, Berner Gynäkologe mit einem Schwerpunkt in der Reproduktionsmedizin. Grob gesagt liege der Grund dafür zu 30 Prozent bei der Frau, zu 30 Prozent beim Mann, zu 30 Prozent bei beiden. Bei den restlichen 10 Prozent können keine gesundheitlichen Probleme gefunden werden. «Von Schuldzuweisungen halte ich aber nichts», fügt Bleichenbacher hinzu. «Das bringt niemandem etwas.»
Die Anzahl Paare, die wegen ungewünschter Kinderlosigkeit eine Behandlung suchen, steigt seit Jahren. Die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, werde kleiner, erklärt Bleichenbacher, die Erfolgschance gleichzeitig grösser. Zudem gehe die männliche Fruchtbarkeit seit rund fünfzig Jahren zurück: «Die Anzahl Spermien sinkt, sie sind auch weniger beweglich.» Der wichtigste Grund dafür seien die Umwelteinflüsse, sagt der Gynäkologe. Etwa östrogenartige Stoffe im Wasser.
Die künstliche Befruchtung
Für Laura M. und ihren Partner bedeutete die Diagnose, dass sie auf künstliche Befruchtung setzen müssten, falls sie Kinder haben wollten. Dabei würden in ihrem Fall Spermien ihres Partners im Labor direkt in ihre entnommenen Eizellen injiziert, diese dann in die Gebärmutter eingepflanzt. Kostenpunkt: rund 10’000 Franken pro Versuch.
Weil der Kinderwunsch weiterhin stark war, stimmte das Paar dem Prozedere zu. Vier Jahre nachdem sie erstmals die Verhütung abgesetzt hatte.
«Uns hat diese Situation extrem durchgerüttelt», sagt Laura M. Einerseits, weil plötzlich der gewünschte Lebensplan – feste Partnerschaft, mehrere Kinder – aus den Fugen geriet.
Andererseits, weil das Prozedere der künstlichen Befruchtung für Laura M. enorm anstrengend war: Täglich musste sie sich Hormone spritzen, damit möglichst viele Eizellen reiften, was körperlich bei ihr starke Folgen hatte. Kopfweh, Übelkeit, Schwindel. «Gleichzeitig fand ich es zu intim, die Geschichte bei der Arbeit zu erzählen, weshalb ich dort wie gewohnt funktionieren musste.» Immer neue Ausreden erfand sie für die im Schnitt zwei Arzttermine pro Woche.
Wie viele Versuche?
In dieser Phase hielt sie die ganze Palette an Gefühlen aus: Trauer, Wut, Angst. «Vor allem das Warten darauf, ob die Befruchtung geklappt hat, war schwierig», erinnert sich Laura M. «Ich versuchte mich abzulenken, und trotzdem waren die Gedanken stets präsent.»
Funktioniert hat die erste künstliche Befruchtung nicht, aktuell plant das Paar einen zweiten Versuch. Vor einem allfälligen dritten, sagt Laura M., würden sie eine Pause einlegen, da das Prozedere emotional und körperlich sehr anstrengend sei.
Die Chance, dass eine künstliche Befruchtung klappt, liegt bei rund 50 Prozent, erklärt Markus Bleichenbacher. Wenn kein grundsätzliches Problem bestehe, wie eine zerstörte Schleimhaut in der Gebärmutter, komme ein Paar mit mehreren Zyklen meist zum Erfolg. «Aber natürlich gibt es Fälle, wo die Paare statistisches Pech haben», sagt der Gynäkologe. «Zudem haben verständlicherweise nicht alle die Geduld, die emotionale Ausdauer und das Geld, um jahrelang durchzuhalten und immer neue Versuche zu starten.»
Die Reaktionen vom Umfeld
Laut Bleichenbacher ist es stets unterschiedlich, wie Paare mit der Belastung umgehen. Die aktuelle Kinderlosigkeit und die Unsicherheit, was kommen wird, bleiben für Laura M. bis heute psychisch anstrengend. Insbesondere, sagt sie, weil sie dem Thema nicht ausweichen kann: Überall sieht sie Mütter, Babys, Schwangere, Eltern mit Kinderwagen. «Es gab Zeiten, in denen mir jede schwangere Frau auf der Strasse einen Stich ins Herz versetzt hat.»
Auch in ihrem Umfeld – Laura M. ist Anfang 30 – kommen immer mehr Babys zur Welt. Sie freut sich zwar, ihre Freundinnen mit deren Kindern zu sehen. «Gleichzeitig büsse ich jedes Mal für diese Treffen, weil die Trauer in mir hochsteigt. Ich habe direkt vor der Nase, wonach ich mich so stark sehne, was ich aber möglicherweise nie werde haben können.»
Verständnis für ihren Schmerz erhalte sie nur bedingt, sagt sie, teilweise seien ihre Freundschaften dadurch auch belastet. Sagt sie ein Treffen mit einer Freundin ab, weil sie es an diesem Tag nicht aushält, deren Kinder zu sehen, erntet sie oft Unverständnis. Auch dann, wenn ein weiteres Paar von ihrer Schwangerschaft erzählt und sie ihren Schmerz nicht ganz verstecken kann.
Fragen zur Kinderlosigkeit
Von ihrem Umfeld fühlt sie sich nicht immer ernst genommen. Oft erhält Laura M. ähnliche Reaktionen, wenn sie sagt, dass sie möglicherweise keine Kinder wird haben können: «Man kann ja gut auch ohne leben.» Oder: «Sonst könnt ihr ja einfach adoptieren.» Oder: «Das klappt sicher noch, einfach weiterprobieren.»
Immer wieder werde ihr auch die gleiche Frage von Leuten gestellt, die nichts von den reproduktiven Schwierigkeiten wüssten: «Und, wann ists bei euch endlich so weit?»
Laura M. ist überzeugt, dass die Gesellschaft hier Sensibilisierungsarbeit braucht. Es sei unangebracht, andere zu der Familienplanung zu befragen, so die junge Frau. Zudem sei es wichtig, dass der Schmerz von Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch Raum erhalte. «Dass das Leid nicht einfach beiseitegewischt wird.»
Die Selbsthilfegruppe
Laura M. kennt aktuell keine anderen Paare, die in der gleichen Situation wie sie sind. Wohl, weil das Thema immer noch tabuisiert sei, glaubt sie, und darüber geschwiegen werde. Zunehmend fühlt sie sich mit dieser Situation einsam, sehnt sich nach Austausch mit anderen. Deshalb hat sich Laura M. entschieden, eine Selbsthilfegruppe in der Stadt Bern zu gründen. Aktuell ist die Gruppe in Zusammenarbeit mit dem Verein Selbsthilfe BE im Aufbau.
Letzte Frage: Glaubt Laura M., dass sie auch ohne Kinder glücklich sein könnte? Sie zögert, bevor sie antwortet – mit dieser Frage habe sie sich in den letzten Monaten oft auseinandergesetzt. «Mittlerweile denke ich, dass ich einen Weg finden könnte, der okay wäre.»
Gleichzeitig glaubt sie, dass sie ein Leben lang daran zu kauen hätte. «Nicht, dass ich verbittert würde», fügt sie hinzu. «Aber ich kann mir vorstellen, dass der Schmerz der Kinderlosigkeit nie ganz verschwinden würde.»
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