Eröffnung der WM 2022Und zur Pause verlassen die Katarer bereits das Stadion
Das Eröffnungsspiel der Fussball-WM bietet ein unwürdiges Bild. Weil ihr Team zurückliegt, verlassen viele katarische Anhänger schon zur Pause das Stadion, am Ende ist das Al-Bayt fast leer.
Fast zwölf Jahre hat Katar auf diesen Moment hingearbeitet. Mehrere Hundert Milliarden Franken ausgegeben. Millionen von Kindern in 17 Ländern gescoutet. Alles, um an der WM 2022 ein Team auf den Rasen zu bringen, das mit den Besten der Welt mithalten kann. Das Projekt scheitert im Auftaktspiel gegen Ecuador krachend.
Am Ende muss das Heimteam sogar vor einem fast leeren Stadion spielen, weil die Heimzuschauer alle schon auf dem Heimweg sind. Es ist ein durch und durch trauriges Bild, das der WM-Gastgeber abgibt.
Schon die Eröffnungszeremonie ist inhaltlich schwere Kost. Nicht wegen der Leuchtsäbeltänzer. Sondern weil da der 85-jährige Schauspieler Morgan Freeman mit seiner sonoren Stimme bedeutungsschwanger einen Text rezitiert, der auf Deutsch zusammengefasst in etwa lautet: Wer Katar für seine Intoleranz kritisiert, ist intolerant.
Die Gratulation von Infantino
Danach redet der Emir von Katar noch kurz von Diversität. Fifa-Präsident Gianni Infantino stellt sein sehr gutes Arabisch unter Beweis und gratuliert Katar zur WM. Anschliessend sitzt er zwischen dem Emir von Katar und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, mit dem sich der Schweizer immer sehr gerne zeigt.
Das Bild von Emir und Kronprinz ist aber vor allem wichtig für die politische Situation in der Region. Erst 2021 hat Saudiarabien eine Blockade gegen seinen kleinen Nachbarn aufgehoben. Sowieso nutzt Katar das Eröffnungsspiel für ein Treffen der regionalen Könige und Emire. Auch Jordaniens König Abdullah II. darf die Rampe hochfahren, die die very, very important persons direkt auf die Höhe ihrer Tribüne bringt, ohne dass sie ihre Limousinen verlassen müssen.
Während Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani und Infantino reden, ist ein Block des Al-Bayt-Stadions überraschend leer. Erst rund eine halbe Stunde vor dem Spiel füllt er sich schlagartig. Es ist der extrem gut organisierte Fanclub der Katarer. Die Männer hüpfen, sie singen, sie trommeln – sie sind auffallend gut im Takt. Und sie wirken so authentisch wie das neue Bling-Bling-Quartier, das zwei Tage vor WM-Beginn im alten Hafen von Doha eröffnet wurde.
Das ist das Problem dieser WM: Alles hat den Ruch des Falschen. Und alles zieht sofort den Verdacht nach sich, dass etwas oder jemand gekauft worden ist. Die WM selber. Die klatschenden Fans. Oder der Video-Assistent.
Der ist in Katar mit einem von der Fifa «halbautomatisch» genannten System am Start. Und erlebt in der dritten Minute schon seinen ersten Test, den er inhaltlich besteht. Aber nicht von der Kommunikation her. Im Stadion wird nicht einmal mit den Bildern, die auf den Medienplätzen gezeigt werden, klar, warum das frühe Tor von Enner Valencia aberkannt wird. Erst in der Pause wird ein Computerbild gezeigt, auf dem zu sehen ist, dass Michael Estrada wirklich im Abseits stand.
Immer leiser wird es im Stadion
Schon da ist klar, dass es kein schöner Abend werden wird für Katars Nationalteam. Goalie Saad Alsheeb irrt durch seinen Strafraum wie die Bewohner von Katar, die erstmals eine U-Bahn-Station besuchen. Und seine Vorderleute sind mental entweder komplett blockiert durch den Anlass. Oder sie sind tatsächlich nicht besser. Dann wird das eine deprimierende WM für den Gastgeber.
Das gilt auch für die Atmosphäre. Der Jubel ist gross, als der Emir das Stadion betritt und kurz in die Menge winkt. Danach wird es immer leiser. Irgendwann mögen nicht einmal mehr die Fans von Ecuador einer Partie ihren Gesang widmen, die rasch auf das Niveau des 0:0 zwischen der Schweiz und der Ukraine an der WM 2006 absinkt.
Vorher schiesst Enner Valencia zwei Tore, die nicht aberkannt werden. In der 16. Minute mit einem Elfmeter, vor dem er selber vom bedauernswert tollpatschigen Alsheeb gefoult wird. Eine Viertelstunde später mit einem sehenswerten Kopfball. Damit könnte die Partie eigentlich abgepfiffen werden.
Das finden offenbar auch viele der einheimischen Zuschauerinnen und Zuschauer. Während in der Pause Coldplay durch das Soundsystem geblasen wird, brüllt ein Einheizer schon fast verzweifelt: «Come on, Qatar – make some noise!» Aber das anwesende Katar sitzt lieber einfach da. Oder ist gerade in seinen Logen. Oder schon gar nicht mehr im Stadion.
Das Verhalten des Publikums ist respektlos
Rund ein Viertel der Heimzuschauer lässt bereits die zweite Halbzeit aus. Kommen einfach nicht mehr zurück, als wieder angepfiffen wird. Danach gehen immer mehr. In der einzigen Szene, in der Katars Mannschaft einen kleinen Hinweis darauf gibt, warum sie 2019 Asien-Meister geworden ist, ist das Stadion bereits zur Hälfte leer. Beim Abpfiff sind eigentlich nur noch Ecuadorianer und Neutrale da. Und der Katar-Fanclub natürlich. Aber selbst der hat schon länger nicht mehr gesungen.
Es ist nicht nur ein absolut trister Anblick. Es ist auch respektlos. Respektlos dem eigenen Team gegenüber. Und allen anderen, die vielleicht auch gerne einmal ein Eröffnungsspiel einer Weltmeisterschaft erleben möchten.
Das ist das Bild, das von diesem Abend bleibt: ein Land, das diese WM mit aller Macht gewollt hat, das keine Kniffe und Kosten gescheut hat, mag seiner Niederlage nicht zuschauen. Welch ein Auftakt für dieses Turnier, das laut Gianni Infantino «die beste WM aller Zeiten» wird.
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