Bemühungen zu Ukraine-Krieg Friedensgipfel in der Schweiz – USA zeigen wenig Interesse
Grosse Ankündigung, schleppende Organisation: Die Schweiz hat sich hohe Ziele gesteckt, um auf einen Frieden in der Ukraine hinzuarbeiten. Von wichtigen Staaten kommen aber kaum positive Signale.
Ein Friedensgipfel, in der Schweiz – und mit der Ukraine als Co-Organisatorin: Mit dieser Nachricht überraschte Bundespräsidentin Viola Amherd die Welt Mitte Januar beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in Bern. Russland reagierte sofort ablehnend. Der Plan von Amherd und Aussenminister Ignazio Cassis ist deshalb, russlandnahe Staaten für die Idee zu gewinnen.
Am Mittwoch hat Cassis den Bundesrat über den Stand der Planungen orientiert. «Der Bundesrat hat sich über die laufenden Arbeiten informieren lassen», sagte Bundesratssprecher André Simonazzi. Er werde zu gegebenem Zeitpunkt informieren, wenn weitere Details bekannt seien.
Vieles ist noch offen. «Im flow», wie es im Aussendepartement heisst. Offiziell äussert sich dort niemand zum Gipfel. Derzeit seien viele Gespräche im Gang, heisst es. Bis jetzt steht offenbar weder das Datum noch der Ort der Konferenz fest – auch wenn schon früh die Rede davon war, dass Genf favorisiert werde. Es gibt aber Stimmen, die sagen, die Ukraine wünsche eine rasche Durchführung. Eine Teilnehmerliste gibt es auch noch nicht. Klar ist aber: Die Schweiz steht viel mehr unter Druck als bisher bekannt.
Die USA sind nicht das einzige Problem
Das derzeit grösste Problem: Vor allem die USA zeigen bis anhin wenig Interesse am Gipfel, wie diese Redaktion von drei gut informierten Quellen erfahren hat. Die US-Botschaft in Bern schreibt auf Anfrage «no comment». Eine formelle Absage liegt denn laut bundesratsnahen Personen auch noch nicht vor. Die offiziellen Einladungen wurden noch nicht verschickt. Laut Insidern sehen die USA gegenwärtig wenig Sinn in einer solchen Konferenz. Ein Kritikpunkt soll lauten, dass der Zeitpunkt noch nicht reif sei dafür.
Auch der innenpolitische Kontext der USA könnte hier eine Rolle spielen: Im Herbst sind Wahlen, die Regierung Biden ist unter Druck. Die USA haben Lieferungen von Waffen an die Ukraine eingestellt, erst kürzlich haben die Republikaner erneut ein Milliarden-Hilfspaket blockiert. Jenseits des Atlantiks scheint der Fokus derzeit stärker auf dem Nahen Osten zu liegen als auf der Ukraine.
Und die USA sind nicht das einzige Problem. Auch die sogenannten Brics-Staaten zeigen wenig Interesse an dem Gipfel. Die Brics sind die grössten Schwellenländer der Welt, zu ihnen zählen neben Russland auch Brasilien, Indien, China und Südafrika. Ihre Teilnahme am sogenannten Friedensgipfel wäre wichtig, damit dieser nicht zur rein europäischen Veranstaltung absinkt.
Nun versucht der Bundesrat, zu retten, was zu retten ist. «Man probiert weiterhin alles, damit die Konferenz ein Erfolg wird», sagt eine bundesratsnahe Person. Gemäss mehreren Quellen sind alle Bundesratsmitglieder derzeit angehalten, bei ihren internationalen Kontakten die Konferenz anzusprechen.
Cassis hält sich zurück
So war der Friedensgipfel etwa auch letzte Woche beim Besuch von Wirtschaftsminister Guy Parmelin in Katar und Saudiarabien ein Thema. Dort soll die Information zur Kenntnis genommen worden sein. Eines der bisherigen vier «Friedensformel»-Treffen auf technischer Ebene hatte in Saudiarabien stattgefunden.
Cassis hat sich im Januar bei der UNO in New York zu einem Gespräch mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow getroffen. Vor den Medien sagte er danach, das Treffen habe zum Ziel gehabt, einen Dialog zu starten, der weitergehen werde. Zudem ist der Aussenminister Anfang Februar in die Brics-Staaten China und Indien gereist. Cassis sagte bereits kurz nach der Ankündigung des Gipfels, dass die Teilnahme dieser Länder wichtig wäre.
Die Brics-Staaten könnten indirekt russische Interessen repräsentieren, wodurch die Konferenz als weniger einseitig angesehen würde. Und Chinas Staatschef Xi Jinping wäre möglicherweise in der Lage, Einfluss auf Putin zu nehmen, damit sich dieser künftig auf Gespräche einlässt. Cassis bilanzierte nach seiner Reise gegenüber der NZZ: «Zeichen sind da, einen Beitrag zu leisten.» Mehr würden «die nächsten Tage» zeigen. Seither hat sich Cassis nicht mehr öffentlich dazu geäussert.
Kritik am Vorgehen von Amherd und Cassis
Der Kriegsverlauf dürfte den Schweizer Bemühungen nicht helfen: Die Ukraine ist in den letzten Wochen vermehrt unter Druck geraten. Es fehlt ihr insbesondere an Munition. Die EU-Staaten kompensieren bis jetzt den Ausfall der Lieferungen aus den USA nicht. In dieser Lage, so mutmasst ein hochrangiger Bundesbeamter, dürften viele Staaten ausserhalb Europas erst recht vorsichtig sein, sich auf die Seite der Ukraine zu schlagen – und so könnte eine Teilnahme am Gipfel interpretiert werden.
Sollten sowohl die USA als auch die Brics-Staaten tatsächlich eine Teilnahme verweigern, wäre der Nutzen der Konferenz fragwürdig. Bisher haben offenbar vor allem europäische Staaten ihre Unterstützung zugesichert. Öffentlich tat dies etwa Österreich, nach einem Besuch von Bundespräsidentin Amherd. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron sagte bereits am Weltwirtschaftsforum in Davos, er finde das «Szenario eines Friedensgipfels in der Schweiz nützlich».
Bisher fanden die Gespräche zur sogenannten Friedensformel, die Selenski initiiert hatte, auf technischer Ebene statt – zuletzt in Davos. Nun soll die politische Ebene folgen. Cassis versuchte zwar von Beginn an, die Erwartungen zu dämpfen. Er stellte klar, dass es um kleine Schritte gehe. Amherd sagte, es wäre schon viel erreicht, wenn mit der Konferenz ein Friedensprozess eingeleitet werden könnte. Gleichzeitig sprach sie aber von Anfang an von einem «Gipfel» mit «hochrangigen» Teilnehmenden.
In mehreren Departementen wird nun hinter den Kulissen Kritik am Vorgehen der Bundespräsidentin und auch des Aussenministers laut. So heisst es etwa, der Gipfel sei handwerklich nicht geschickt aufgegleist worden. Üblicherweise würden solche Pläne erst öffentlich gemacht, wenn sie möglichst konkret seien – und wichtige Staaten ihre Teilnahme bereits zugesichert hätten. Gleichzeitig anerkennen aber auch Kritiker, dass es politisch verdienstvoll, ja sogar mutig gewesen sei von Amherd und Cassis, für eine mögliche Friedenslösung in der Ukraine etwas zu riskieren.
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