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Ukrainische Rockband im Interview
«Ich habe unsere russischen Fans aus meinem Gedächtnis gelöscht»

Die ukrainische Band Okean Elzy liefert mit ihren Songtexten Parolen für den Widerstand. Sänger Slava (r.) war einst Parlamentsabgeordneter.
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Es ist nicht einfach, Slava von Okean Elzy auf den Bildschirm zu kriegen. Weil die ukrainische Band ihre Pressearbeit in Los Angeles koordinieren lässt, werden Interviewanfragen stark zeitverzögert bearbeitet. Und den ersten Zoom-Termin verpasst Slava dann auch: Er hatte sich in der Zeitzone geirrt.

Als es 24 Stunden später mit dem Interview doch klappt, bricht die Verbindung nach einer halben Stunde plötzlich wieder ab. Sviatoslav Vakarchuk, wie Slava bürgerlich heisst, ist aber flexibel genug, das Gespräch nach einigen bangen Minuten weiterzuführen. Obwohl sich der Musiker in der Heimat sogar an der Kriegsfront engagiert, will er seine Band nicht als politische Band sehen.

Slava, wo erreichen wir Sie gerade?

Ich bin derzeit in ganz Europa unterwegs, weil ich im Rahmen unserer kommenden Tournee eine wohltätige Organisation für die Ukraine auf die Beine stelle. Ich bin gerade ziemlich aufgewühlt.

Weshalb?

Letzte Nacht ist ein russischer Angriff auf meine Heimatstadt Lwiw niedergegangen. Zum Glück haben die Menschen aus meinem näheren Umfeld alle den Angriff überlebt. Als ukrainischer Staatsbürger muss man immer auf das Schlimmste gefasst sein – ohne so weit abzustumpfen, dass man sich mit dem Schrecken des Krieges abfindet.

Wie schaffen Sie es emotional, mit Ihrer Band Okean Elzy im Ausland auf Tournee zu gehen, während in der Heimat Krieg herrscht?

Ich verstehe, dass das gegen aussen merkwürdig wirken muss. Gleichzeitig tue ich mit Okean Elzy etwas, das ich auch tue, wenn ich daheim in der Ukraine bin. Ich gebe den Menschen Hoffnung. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 besuche ich die Soldaten an der Kriegsfront und versuche, ihnen mit meiner Musik Mut zu machen. Parallel dazu arbeite ich mit Okean Elzy an neuen Songs, nehme diese im Studio auf und gehe damit auf Tournee. Die Kreativität ist für mich wichtig, damit ich mich noch als Musiker und auch als Mensch begreifen kann.

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Mitten im Krieg veröffentlichen Sie mit «Lighthouse» Ihr allererstes Album mit englischen Songtexten. Was steckt hinter dieser Entscheidung?

Wer unsere Geschichte kennt, der weiss, dass Okean Elzy schon oft in den USA und Kanada gespielt haben. Mit einem amerikanischen Manager und einer amerikanischen Plattenfirma im Rücken können wir die Menschen in Nordamerika besser erreichen – und sie auch besser darüber aufklären, was sich in der Ukraine abspielt. Da hilft es, wenn wir auch englischsprachige Songs im Repertoire haben. Ohne pathetisch klingen zu wollen: In der Ukraine wird gerade die Zukunft der Demokratie in Europa entschieden. Wir wollen die Menschen in Amerika daran erinnern, dass sie am Fortbestehen dieser Demokratie ein Interesse haben sollten. Und die Ukraine darum weiter unterstützen müssen.

In der Ukraine wurden Okean Elzy 2013 als Symbolträger der Euromaidan-Proteste gefeiert. Sehen Sie sich selber als politische Band?

Nein. Trotz meiner Zeit als Politaktivist und Parlaments­abgeordneter habe ich für politisierte Musik nichts übrig. Vertonte Polemiken wirken schnell plakativ oder belehrend, so soll unsere Musik auf gar keinen Fall herüberkommen. Aber: Sobald wir einen Song in die Freiheit entlassen, gehört er den Menschen, die ihn hören. Von diesem Augenblick an können sie den Text so interpretieren, wie sie wollen.

Stört es Sie, wenn Ihre Lieder im politischen Kontext verwendet werden?

In der Ostukraine werden Sie viele Graffiti mit dem Satz «Ich werde nicht kampflos aufgeben» sehen, das ist ein Zitat aus einem unserer Songs. Dabei handelt der Text von einer Liebesbeziehung und nicht vom Krieg. Ich habe aber nichts dagegen einzuwenden, dass andere Menschen ihm eine politische Konnotation abgewonnen haben.

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Bis 2014 haben Okean Elzy viel in Russland gespielt. Wie blicken sie heute auf diese Zeit zurück?

Ich kann nicht verstehen, wie die Menschen, die damals unsere Konzerte besucht haben, jetzt ihre Waffen auf die Ukraine richten. Darum habe ich unsere russischen Fans ganz zynisch aus meinem Gedächtnis gelöscht. An die tollen Konzerte, die wir früher in Russland gespielt haben, kann ich mich sehr wohl noch erinnern. Ich verspüre aber keinerlei Emotion mehr, wenn ich daran zurückdenke.

Wie steht es um die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung?

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich weiss nur, dass wir Ukrainerinnen und Ukrainer uns nicht von der Hoffnung auf ein Licht am Ende des Tunnels blenden lassen dürfen. Einen Frieden anzustreben, ohne weiterhin den bewaffneten Widerstand gegen Russland zu leisten, ist keine Option. Gewalt ist die einzige Sprache, die Russland versteht. Darum müssen wir weiterkämpfen, damit der Frieden einmal einkehren kann.

Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz in diesem Konflikt?

Ich schätze alles, was die Schweiz bis jetzt für die Ukraine getan hat. Trotz ihres Neutralitätsverständnisses hat sie sich an den wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland beteiligt und erwägt sogar weitere wirtschaftliche und politische Massnahmen in diese Richtung. Ich hoffe, dass Sie einmal auch ein Gesetz verabschieden wird, das es den Ländern ermöglicht, die Kriegsmaterial mit Schweizer Komponenten herstellen, diese Waffen an die Ukraine zu verkaufen. Es ist für unser Überleben essenziell, dass die Schweizer Bevölkerung die Ukraine auch dann weiter unterstützt, wenn die Regierung mehr verspricht, als sie schlussendlich halten kann.

Okean Elzy live: Samstag, 14. September, Halle 622, Zürich