Türkei greift Assads Truppen in Idlib an
In der letzten Rebellenregion Syriens geraten Regimekräfte und türkische Truppen aneinander. Nun steht auch das enge Verhältnis zweier Staatschefs auf dem Spiel.
Am Montagmorgen ist der türkische Oberbefehlshaber Recep Tayyip Erdogan auf dem Weg in die Ukraine. Ein offizieller Besuch. Vor dem Abflug in Istanbul aber legt der Präsident auf dem Flughafen noch einen Stopp ein, Zeit für eine Warnung: «Wer die Entschlossenheit der Türkei in Zweifel zieht, wird bald verstehen, dass er einen Fehler gemacht hat.» Das Verteidigungsministerium in Ankara hatte zuvor bekannt gegeben, dass «mindestens vier türkische Soldaten» in der syrischen Provinz Idlib von Regimekräften getötet worden seien, und neun verletzt.
Die Türkei hatte die Soldaten ihren Truppen zu Hilfe geschickt, nachdem mehrere der zwölf Beobachterposten, die sie in Absprache mit Russland in der Provinz Idlib unterhält, unter Beschuss geraten waren. Türkische F-16-Kampfjets würden seit 6.15 Uhr angreifen, sagt Erdogan. 30 bis 35 syrische Regimekräfte habe man ausser Gefecht gesetzt, man werde bei weiteren Angriffen «mit gleicher Münze zurückzahlen». Russland, den Verbündeten des Diktators in Damaskus, fordert Erdogan auf: «Ihr sollt uns nicht im Weg stehen.»
Erdogan ist schon in Kiew gelandet, da meldet das türkische Fernsehen, dass sich die Zahl der gefallenen türkischen Soldaten auf acht erhöht hat. Verteidigungsminister Hulusi Akar macht vor dem Abflug nach Kiew kehrt und eilt zur Grenze.
Es ist der bislang tödlichste Zusammenstoss türkischer und syrischer Truppen. Das Verteidigungsministerium in Ankara erklärt, die türkische Truppenverstärkung sei «koordiniert» gewesen, ohne dies näher zu erläutern. Auch Erdogan sagt, die türkischen Soldaten seien trotz Bekanntgabe der Koordinaten beschossen worden, er nennt die Angriffe «niederträchtig». Das russische Militär dagegen teilt mit, die türkische Seite habe nicht über ihre militärischen Bewegungen informiert. So seien die Türken unter Beschuss geraten, beim Ort Sarakib, 15 Kilometer östlich der Stadt Idlib, wo syrische Kräfte gegen «Terroristen» vorgingen. Idlib ist nach neun Jahren Bürgerkrieg die letzte Rebellenprovinz.
Der neue Konflikt hatte sich seit Tagen abgezeichnet. Erdogan hatte nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats am Freitag in Ankara betont, die Türkei verliere angesichts der Angriffe auf Zivilisten in Idlib «die Geduld». Im Gegenzug erklärte der Kreml, Russland sei tief besorgt wegen Attacken auf syrische Truppen und eine russische Basis. Das klang wie ein indirekter Vorwurf an die Türkei, nach wie vor radikale Milizen in der Region zu unterstützen.
Eigentlich hatten sich Putin und Erdogan auf eine Waffenruhe geeinigt
Wie sich die neue Eskalation auf das Verhältnis der Türkei zu Russland auswirken wird, ist offen. Mit keinem anderen Staatsoberhaupt hatte Erdogan zuletzt mehr Telefon- oder Vier-Augen-Kontakte als mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die BBC zählte allein seit dem Putschversuch vom Juli 2016 bis Oktober letzten Jahres 69 Treffen oder Telefonate. «Die Aussenpolitik der Türkei wird von Putin gemacht», spottete kürzlich Oppositionsführer Kemal K?l?çdaroglu. Das Nato-Land Türkei hat das russische Abwehrsystem S-400 gekauft, zum grossen Ärger der USA. Erdogan deutete sogar an, man könne auch russische Kampfbomber ins eigene Arsenal aufnehmen, sollte Washington Ankara weiter vom F-35-Programm ausschliessen – eine Sanktion für den Kauf der S-400-Raketen.
Nach den Beziehungen zu Washington könne sich nun auch das türkische Verhältnis zu Moskau deutlich abkühlen, warnt der bekannte türkische Journalist Murat Yetkin, und dies könne auch Vereinbarungen mit Russland zu Libyen gefährden. Für Idlib hatten sich Putin und Erdogan am 12. Januar eigentlich auf eine Waffenruhe geeinigt, doch davon ist nichts übrig. Wegen der Kämpfe bewegen sich immer mehr Flüchtlinge auf die türkische Grenze zu. Bisher gehen internationale Schätzungen von 400'000 aus, die türkische Oppositionszeitung Cumhuriyet berichtet am Montag von 520'000 Geflüchteten, Erdogan sogar von einer Million. Das türkische Fernsehen zeigt seit Tagen lange Schlangen von Flüchtenden in vollgepackten Autos, Lastwagen und Minibussen.
Die Türkei betont immer wieder, sie habe bereits gut 3,5 Millionen Syrer aufgenommen. Sie möchte keine weiteren Flüchtlinge über die Grenze lassen. Dabei wendet sie auch robuste Methoden an. Es gibt bereits eine drei Meter hohe Mauer an der Grenze, mit Wärmebildkameras. Die Sperranlagen werden von der Armee bewacht.
Immer wieder berichten Flüchtende auch von Schüssen durch Sicherheitskräfte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte bereits 2016 und 2018 in Interviews mit Geflüchteten sowohl Warnschüsse in die Luft wie auch Todesfälle dokumentiert. Einen neueren Bericht gibt es nicht. Aktuelle Videos im Internet, deren Echtheit sich aber nicht unabhängig überprüfen lässt, zeigen allerdings verletzte und fliehende Menschen. Die türkische Regierung hat indes stets bestritten, dass direkt auf Flüchtende geschossen werde.
Vor dem Abflug nach Kiew erklärt Erdogan am Montag in Istanbul noch, die Türkei betrachte Russlands Annexion der Krim von 2014 nach wie vor als «illegal». So deutlich hat Erdogan das schon lange nicht mehr gesagt.
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