Analyse zu Spannungen USA - ChinaTrump spielt China in die Hände
In Washington spricht man von einem neuen kalten Krieg. Peking ist bereit dafür, weil man viel von Amerika gelernt hat.
Wenn es um China geht, werden die Töne schriller, die aus Washington kommen. Bereits ist die Rede von einem neuen kalten Krieg. Nicht nur wegen der «Seuche aus China», wie Donald Trump das Coronavirus nennt. Gestritten wird auch wegen Pekings territorialen Ansprüchen oder dem Einsatz der 5G-Technologie. Tatsächlich tritt China seit einiger Zeit mit dem Selbstverständnis einer Supermacht auf und verbittet sich jede Einmischung, wenn es um die Uiguren oder wie aktuell um Hongkong geht. So haben die USA nach eigenen Angaben erfolglos eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrats wegen des umstrittenen chinesischen Sicherheitsgesetzes für Hongkong beantragt. China habe den Vorschlag aber blockiert.
Geschichtsklitterung wie beim Tiananmen-Massaker
Dazu passt auch, dass das Regime in Peking bestreitet, die Gefahr einer Corona-Pandemie geleugnet zu haben. Das ist Geschichtsklitterung, wie wir sie vom Umgang mit dem Tiananmen-Massaker her kennen. Tatsächlich hat die kommunistische Führung mit ihrer Vertuschungspolitik wesentlich dazu beigetragen, dass sich das Virus überhaupt global ausbreiten konnte. Staatschef Xi Jinping könnte sich deshalb nicht beklagen, wenn er Rechnungen aus aller Welt erhalten würde, um für die wirtschaftlichen Folgeschäden aufzukommen.
Inhaltlich ist Trumps Kritik an China deshalb berechtigt. Problematisch sind jedoch ihre penetrante Wiederholung und die aggressive Art, wie er sie formuliert. Die US-Regierung scheint sich gerade rhetorisch auf China einzuschiessen. Mit der Pflege dieses Feindbilds möchte der amerikanische Präsident offenbar seine Wiederwahl sichern. Das ist jedoch kontraproduktiv und gefährlich, entspricht aber Trumps Sündenbock-Politik.
Dazu gehört auch, dass der US-Präsident damit droht, die Weltgesundheitsorganisation zu verlassen. Bei aller berechtigten Kritik am blauäugigen Umgang der WHO mit China: Die Amerikaner sind schlecht beraten, als grösster Geldgeber ihre Vormachtstellung ohne Not aufzugeben. Die UNO-Organisation hat 194 Mitglieder, wovon nur einzelne den USA folgen dürften. Schon gar nicht während einer Pandemie, die nicht national besiegt werden kann, sondern eine internationale Reaktion erfordert. Dabei vergeben sich die USA die Möglichkeit, einen solchen Effort anzuführen. Wenn Trump Amerikas Position in der WHO aufgibt, trägt das kaum dazu bei, das aufstrebende China in Schach zu halten. Im Gegenteil, wie bereits der Rückzug aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), einem Handelsabkommen der Pazifikanrainer, zu Beginn von Trumps Amtszeit gezeigt hat.
Abkommen sind nie perfekt, aber trotzdem nützlich
Washington hat seinen Einfluss stets nicht nur mittels Militärallianzen, sondern auch über internationale Organisationen wie die WHO, die UNO oder die Weltbank ausgeübt. Dieses weltweit geknüpfte Netz hat wesentlich zum amerikanischen Erfolg im Kalten Krieg beigetragen. Davon will Donald Trump nichts mehr wissen, er schwächt eine internationale Institution nach der anderen, nun will er sich aus dem Open-Skies-Vertrag zur Luftüberwachung ausländischer Territorien zurückziehen. Auch wenn Abkommen wie jenes über den offenen Himmel gar nicht perfekt sein können, haben sie doch die Gefahr eines Kriegs vermindert und gleichzeitig den USA ermöglicht, ihre Dominanz auszuüben.
Die chinesische Führung imitiert die Strategie des Westens im Kalten Krieg.
Ungeachtet der Pöbeleien aus dem Weissen Haus kann Peking deshalb sehr gut leben mit der aktuellen US-Aussenpolitik. Denn sie bietet China die unerwartete Chance, das weltpolitische Vakuum auszufüllen, das die Regierung Trump hinterlässt. Die Chinesen sind Weltmeister im Abkupfern, auf technischen Geräten gilt «Made in China» als Siegel einer guten Kopie. Da überrascht es wenig, dass die chinesische Führung auch die Strategie des Westens im Kalten Krieg imitiert.
Vorbilder Marshallplan und Tsunamihilfe
Beispiele dafür sind die Charmeoffensive, mit der China das machtpolitische Grossprojekt der neuen Seidenstrasse forciert. Oder die scheinbar selbstlosen Hilfeleistungen während der Corona-Krise. Da inszeniert sich eine Diktatur als wohlwollende Supermacht. Als Vorbild dienen offensichtlich die USA vom Marshallplan bis zur Tsunamihilfe. Und Chinas propagandistische Avancen verfangen, zumal Trump dem Antiamerikanismus neuen Schub verliehen hat. Selbst in europäischen Demokratien heisst es nun zuweilen: «Seht her, die Chinesen machen es besser.»
Washington fühlt sich deshalb herausgefordert und sieht den Konflikt mit China als Machtkampf zwischen der Supermacht, die das 20. Jahrhundert dominiert hat, und jener, die das 21. dominieren will. Die Diagnose ist richtig: Stets wenn eine neue Grossmacht nach vorne drängt und die bestehende Ordnung nicht mehr respektiert, kommt es zu tektonischen Verschiebungen. Die politischen Spannungen, die sie auslösen, können sich militärisch entladen, am ehesten an alten Bruchstellen. In diesem Fall in der Strasse von Taiwan oder im Südchinesischen Meer.
Schon Kennan warnte vor «grossem Geschrei»
Das alles erinnert an die späten 1940er-Jahre, als sich der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion abzeichnete. Damals empfahl George F. Kennan (1904–2005), Chefplaner im US-Aussenministerium, eine zurückhaltende, aber standfeste Position gegenüber dem kommunistischen Gegner: «Das Hauptelement jeder Politik der USA gegenüber der Sowjetunion muss die langfristige, geduldige, aber feste und wachsame Eindämmung der russischen expansiven Tendenzen sein.» Wobei der Diplomat präzisierte, dass dies nichts zu tun habe «mit Drohungen, einem grossen Geschrei, überflüssigen Gesten oder demonstrativer Härte». Das wäre heute eine angemessene Haltung im Umgang mit China.
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