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Verhältnis Schweiz – EU
Gewerkschaft wagt Tabubruch beim Lohnschutz

Nach langen Verhandlungen scheiterte das Rahmenabkommen mit der EU vor gut einem Jahr. 
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Vor gut einem Jahr wurde das Rahmenabkommen mit der EU beerdigt. Schuld daran, so kritisierte etwa die FDP, seien in erster Linie die linken Parteien und die Gewerkschaften gewesen. Diese waren nicht bereit, unter anderem beim Lohnschutz Konzessionen zu machen. Sie fürchteten Lohndumping, da die Löhne und Lebenskosten in der Schweiz höher sind als im EU-Durchschnitt.

Nun zeigt sich der Gewerkschaftsverband Travailsuisse, die mit 150’000 Mitgliedern zweitgrösste Dachorganisation der Arbeitnehmenden, offen für Lockerungen. Travailsuisse-Chef Adrian Wüthrich sagt im «Blick»-Interview: «Wir sind bereit, über die 8-Tage-Regel für europäische Firmen zu reden.» Diese von den Gewerkschaften bisher vehement verteidigte Frist könne verkürzt werden.

Bei dieser Regel geht es konkret um eine Meldepflicht für ausländische Firmen: Führt ein Unternehmen mit Sitz im Ausland eine Arbeit oder Dienstleistung in der Schweiz aus, so muss es einige Auflagen erfüllen. Zuallererst muss es den Auftrag in der Schweiz acht Tage vor Beginn der Arbeit anmelden. Ziel dieser Massnahmen ist es, Schwarzarbeit und Lohndumping zu unterbinden und unlauteren Wettbewerb gegenüber Schweizer Firmen zu verhindern.

Travailsuisse habe immer signalisiert, dass sie zu Konzessionen bereit sei, solange nicht am heutigen Lohnschutzniveau gerüttelt werde, sagt Wüthrich. Der Bund sei daran, die technische Voraussetzung zu schaffen, um die Kontrollen in kürzerer Frist zu ermöglichen. «Es können auch fünf Tage sein, wenn das System sich bewährt.»

Travailsuisse einig mit Mitte-Präsident Pfister

Mitte-Präsident Gerhard Pfister kritisierte unlängst im Gespräch mit der NZZ, dass der Bundesrat nach den abgebrochenen Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU gleichzeitig in Brüssel und im Inland sondiere. Das habe bereits einmal in die Sackgasse geführt. Statt die strittigen Punkte im Inland zu klären, bevor die Schweiz wieder in Brüssel vorstellig werde, habe sich der Bundesrat anders entschieden, sagte Pfister. Er gehe die Lösung nicht vereint an. Die flankierenden Massnahmen für den Lohnschutz seien in gewissen Punkten umstritten. Jetzt gelte es, Alternativen aufzuzeigen, die den Lohnschutz mindestens halten und im Inland auf Akzeptanz stossen.

Travailsuisse-Chef Wüthrich teilt Pfisters Kritik. Er sagt: «Ich würde mir wünschen, dass die Landesregierung vereint und energisch darauf drängte, dass wir uns im Inland auf tragfähige Lösungen verständigen, die wir in Brüssel präsentieren können.» Pfister war für eine Stellungnahme nicht erreichbar; der Mitte-Präsident weilt im Ausland.

Ein weiterer strittiger Punkt beim Rahmenabkommen war die Unionsbürgerrichtlinie. Diese sah vor, dass EU-Bürgerinnen in der Schweiz gleiches Anrecht auf Sozialhilfe wie die Schweizer haben. Die Gegner befürchteten eine «Einwanderung in der Sozialhilfe». Das dürfe nicht sein, findet auch Travailsuisse-Chef Wüthrich. «Aber wer hier arbeitet, soll auch geschützt sein.»

Es sei falsch gewesen, die Unionsbürgerschaft beim gescheiterten Rahmenabkommen aussen vor zu lassen. So habe die Gefahr bestanden, dass die Schweiz sie schleichend übernehmen müsse. Mit der Begrenzung des Geltungsbereichs auf Arbeitskräfte bestünde das Risiko nicht mehr. Und es gäbe eine Chance auf eine Mehrheit beim Volk. Für eine Lösung müssten sich aber beide Seiten entgegenkommen.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund zeigt sich bereit, über den Vollzug der flankierenden Massnahmen zu sprechen, wie Chefökonom Daniel Lampart sagt. Bei «der wichtigsten roten Linie» sei man sich einig: «Unser Lohnschutz muss autonom und geschützt bleiben.» Der Gerichtshof der EU dürfe also nicht einseitig den Lohnschutz zugunsten der Unternehmen abbauen. 

Lampart weist aber darauf hin, dass die Kürzung der Voranmeldefrist für EU-Unternehmen auf fünf Tage auch Risiken bei der Lohnkontrolle bergen könne. «Die Kontrollqualität könnte leiden.» Denn bei kurzen Meldefristen werde es schwieriger, rechtzeitig Firmen zu kontrollieren, die falsche oder irreführende Angaben in der Meldung machten und die häufiger schlechte Arbeitsbedingungen hätten oder zu tiefe Löhne zahlten.

Auch der SP geht es beim Lohnschutz darum, mit den flankierenden Massnahmen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu garantieren. Das sei für die Akzeptanz der europäischen  Integration im Inland fundamental, sagt Co-Parteipräsident Cédric Wermuth. Es sei nun Aufgabe der Bundesräte Ignazio Cassis und Guy Parmelin, gemeinsam mit den Sozialpartnern geeignete Lösungen zu finden. Die SP setze sich für enge Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU ein, sagt Wermuth und verweist auf das Europa-Papier. Darin habe die SP in einem mehrstufigen Plan aufzeigt, wie die Schweiz aus der Sackgasse komme. «Damit das funktioniert, muss das durch den Bundesrat zerstörte Vertrauen mit den Sozialpartnern rasch wieder hergestellt werden.»

Wirtschaft reagiert positiv

Bei Economiesuisse kommt der Vorschlag von Travailsuisse gut an. Chefökonom Rudolf Minsch sagt: «Endlich kommt etwas Bewegung in diese festgefahrene Situation. Wir hoffen, dass jetzt konstruktive Verhandlungen in Gang kommen. Damit wird ein wichtiges Signal ausgesendet, dass man nicht mehr auf stur stellt.» 

Ähnlich tönt es beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. «Grundsätzlich sind wir sehr erfreut, dass sich die Gewerkschaften bewegen», sagt Kommunikationschef Andy Müller. Man sei schon immer der Meinung gewesen, dass sich das Anmeldeprozedere digital lösen lasse – dann spielten die Anzahl Tage auch keine Rolle mehr. «Wir fordern aber eine Garantie, dass wir das Lohnschutzniveau in der Schweiz halten können.» Das sei aber kaum möglich, wenn die Gewerkschaften den Lohnschutz aus den institutionellen Fragen ausklammerten. «Das wird die EU nicht akzeptieren», sagt Müller. 

Der Schweizerische Gewerbeverband reagiert ebenfalls positiv. «Wir haben schon immer gesagt, dass technische Anpassungen unproblematisch sind», sagt der Direktor Hans-Ulrich Bigler. Allerdings glaube er nicht, dass es dadurch zu grossen Veränderungen kommen werde. «Es kommt darauf an, was der Bundesrat damit macht.»