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Romandebüt von Toxische Pommes
Integriert, bis es wehtut

Für dieses präparierte Lamm fuhr Irina aka Toxische Pommes durch halb Österreich. Vielleicht steht es für das Opfer, welches die Integration von der Erzählerin einforderte.
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Der Vater kauft der Tochter nach langem Betteln endlich eine E-Gitarre. Beim Auspacken stellt er fest, dass die Tochter ja gar nicht Gitarre spielen kann. Das ist nur eine der Szenen, die Irina (ihr Nachname und ihr Alter bleiben geheim) mit dem Künstlernamen Toxische Pommes in ihrem Debütroman «Ein schönes Ausländerkind» erzählt und die mit einer Melange von Komik und Schmerz begeistern.

Seit der Pandemie folgen der promovierten Juristin und Satirikerin Hunderttausende auf Instagram und Tiktok. Ihre Videos im Greenscreenlook, der verwendet wird, um später visuelle Effekte zu platzieren, dauern etwa 30 Sekunden und kommentieren entweder die Politik Österreichs oder die Wiener Bourgeoisie. Toxische Pommes schlüpft auch in die Rolle des verschwurbelten Balkanonkels oder parodiert überhebliche linke Feministinnen.

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Mit einem Kajal-Schnauz ist sie irgendein Lorenz, der Miete von seiner Freundin will, obwohl er die gemeinsame Wohnung geerbt hat. Grossartig entlarvend sind die Therapiesitzungen, in denen die Satirikerin sowohl Therapeutin als auch Patienten spielt. Früher oder später rechtfertigen dann alle ihr toxisches Beziehungsverhalten mit der Scheidung der Eltern.

Ein Talent für schnelle Pointen hat sie unbestritten. Aber man durfte aus guten Gründen misstrauisch werden, als das literarisches Debüt von Toxische Pommes angekündigt wurde. Weil leider zu viele im Internet erfolgreiche Leute denken, ihre Kunst funktioniere auch in der analogen Welt. Dass unterdessen immer mehr Verlage reichweitenstarke Personen zum Schreiben ermutigen, macht es auch nicht besser. Es gelingt in den wenigsten Fällen.

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Das Debüt von Toxische Pommes ist hingegen eine eigenständige und verdichtete Erzählung, ein autofiktionaler Roman, der trotzdem nicht an der eigenen Biografie kleben bleibt, sondern durch ein bemerkenswertes Gespür für Tempo und Tonalität besticht.

Eine namenlose Familie flieht Anfang der 90er-Jahre vor dem Jugoslawienkrieg in die Wiener Neustadt. Der Vater nennt seine Tochter konsequent Sohn, was am Balkan völlig normal sei, alle Kinder so zu nennen. In Wien versucht die Familie, Tritt zu fassen. Die Eltern, beide studiert, kommen sich abhanden, weil nur die Mutter arbeiten darf und der Vater bis zum Schluss keine Arbeitserlaubnis bekommt.

Die Erzählerin baut sich als erwachsene Frau an einem schwülen Freitagnachmittag ein Bett unter ihrem Schreibtisch und stellt fest: «Ich hatte den Ausländer in mir erfolgreich wegintegriert.» Sie sei weiss, christlich und esse gerne Schweinefleisch. Zahle in Frieden ihre Steuern und habe besser keine Meinung. Sie möchte ihre Zeit nutzen, um zu beweisen, dass sie es auch wirklich verdient habe, in Österreich zu leben. Dieser Kraftakt der Erzählerin, die «Vorzeige-Migrantin» zu werden, kostet sie schlussendlich die Beziehung zum Vater.

Das Leben im Gutgemeinten

Anfangs verbringen der Vater und die Tochter noch viel Zeit zusammen. Er putzt und kocht und schreibt mit der Tochter alle Markennamen von Verpackungen, um Deutsch zu lernen. Nach dem Grossbrand eines Spielwarengeschäfts kauft er ihr zum Spottpreis diverse Barbiepuppen, die ihren Dieselgeruch nie ganz loswerden. Und er fährt sie ins Schwimmtraining.

Während die Mutter bis zur Erschöpfung arbeitet bei der Familie Hell. Renate Hell sieht sich gerne als Frau, die dieser Familie zu einem besseren Leben verhilft. Sie besteht aus Unbeholfenheit, Schulterpolstern und Marlboro-Gold-Zigaretten. Die raucht sie im Keller und nimmt die Mutter der Erzählerin dazu mit. Später steht Renate nach den offiziellen Arbeitszeiten wieder in der Küche der Mutter. Viel Privatsphäre gibt es für die namenlose Familie nicht in diesem Leben des Gutgemeinten.

Nie wehleidig oder pathetisch

Die Hells spannen die Mutter für alles ein, während der Vater seiner Tochter erklärt, dass man als Ausländer immer mehr leisten müsse, um eine Chance zu haben. Die Tochter lernt in ihrer Freizeit zu Hause. Auch wenn sie Klassenbeste werde, sagt Lehrerin Pichler zur Mutter, Ausländer würden bei ihr nie Einser bekommen. Worauf die Mutter fragte, wie es Frau Pichler denn fände, wenn sie von ihr in der Apotheke falsche Medikamente bekommen würde, weil sie der Mutter einfach nicht so sympathisch sei.

Die Familie findet zum Glück eine eigene Wohnung; die Mutter kann irgendwann doch als Pharmazeutin arbeiten. Der Vater teilt sich den Computer mit Internetanschluss erst mit der Tochter, die dann weicht und ihn ihm überlässt. Er spielt die ganze Nacht online Schach und lädt sich alles runter, was ihn musikalisch interessiert. Mutter und Tochter fahren auf Dienstreise und essen Steak mit Trüffelpommes, während der Vater die Mutter einer Affäre verdächtigt und zusehends verstummt, weil er den Anschluss bei den Integrationsbemühungen von Frau und Tochter verliert.

Bis zum Schluss bleibt ungewiss, ob die Familie die österreichische Staatsbürgerschaft erhält. Als die zwei Frauen die Formulare für den Antrag ausfüllen, verliert die Mutter die Geduld und lässt sich nicht mehr mit «wir sehen uns in zwei Jahren» vertrösten. Sie ruft direkt beim Innenministerium an. Und bekommt von Freunden aus Wien den Tipp, unbedingt zu behaupten, dass man a) Bekannte bei der «Kronen Zeitung» habe und b) rechtsschutzversichert sei.

Die letzten drei Zeilen von «Ein schönes Ausländerkind» treffen einen unvermittelt ins Herz. Jetzt steht irgendwo in Österreich eine Frau mit einem ausgestopften Lamm in den Armen und hat ein beeindruckendes Buch darüber geschrieben, was es eine Familie kostet, integriert zu werden. Dieser Roman ist ein Glück. Das lakonische Erzählen, nie wehleidig oder pathetisch, ist rührend – mit Haltung.

Toxische Pommes: Ein schönes Ausländerkind. Zsolnay, 208 S., ca. 33 Fr.