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Dramatikerin im Interview
«Den Gefallen, dass wir uns selbst abschaffen, möchte ich den Rechten nicht tun»

Dea Loher: «Manchmal gibt es diese pädagogisch-agitierende Tendenz, die finde ich enervierend.»
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Einsamkeit ist eine Epidemie unserer Zeit, unter den Jungen wie unter den Alten, und das quälende Gefühl ist so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag. Wie fragmentiert die Menschen in Grossstädten vor sich hinwursteln, wie gründlich sie einander missverstehen, selbst wenn sie zusammenwohnen, und wie sie dabei unmerklich im Strom der Gegenwartsdiskurse mitschwimmen, erzählt die vielfach ausgezeichnete deutsche Dramatikerin Dea Loher nun im neuen Stück «Frau Yamamoto ist noch da».

Die 60-jährige Wahl-Berlinerin, die schon oft mit Ulrich Khuon, dem Interims­intendanten des Zürcher Schauspielhauses, zusammengearbeitet hat, wuchs in einem Försterhaus in Bayern auf. Sie schreibt über das, was hinter den Fassaden abgeht: über Inzest, Mord und Totschlag, über deutsche Geschichte, aber auch über Alltagsverzweiflungen – und nicht zuletzt über Optimismus.

Am 12. September findet die Uraufführung von «Frau Yamamoto ist noch da» im Pfauen und in Tokio statt; vor Dea Lohers Flug von Zürich in die japanische Kapitale sprachen wir mit der gefeierten Autorin.

Das Stück zeigt die Bewohner eines Mehrfamilienhauses in einer Metropole, ihre Beziehungen und ihre Vereinzelung, ihre Verstrickung in unsere Krisen. Die Titelheldin, eine ältere Dame, lässt zum Beispiel gern ihre Wohnungstür offen, um sich nicht so isoliert zu fühlen. Frau Loher, wie kams zu dieser Versuchsanlage?

Das Stück war ursprünglich ein sehr freier Auftrag von einer japanischen Theatergruppe. Und wenn ich auch weit davon entfernt bin, die japanische Kultur zu verstehen, fiel mir bei meinem mehrwöchigen Aufenthalt in Tokio, Kyoto und Osaka ein grosser Überschneidungspunkt mit allen Metropolen in den westlichen Ländern auf: die wirklich extreme Vereinsamung und die Überalterung. In Tokio ist nicht nur die Überalterung besonders verschärft, sondern auch das Einsamkeitsgefühl, weil sich die Leute da nur einen ganz winzigen Wohnraum leisten können. Sie leben fast in Zellen.

Die Fragmentierung ist quasi räumlich erfahrbar. Sie haben sie auch erzählerisch umgesetzt als Szenenreigen ohne durchgehende Story.

Ich würde mir betrügerisch vorkommen, wenn ich behauptete, dass man heutzutage eine Geschichte so richtig straight von Anfang bis Ende durcherzählen kann. Es steckt eine gewisse Wahrhaftigkeit im Fragmentarischen und eröffnet viele Blickwinkel. Aus der Fantasie rund um die alte, kranke Frau Yamamoto entstand die Idee, dass es solche Menschen immer häufiger gibt: Single-Wohnungen nehmen überall zu. Und mich beschäftigt, wie wir diesen Fakt in unseren Städten produktiver gestalten können, in Mehrgenerationenhäusern oder sonst wie. Eine Lösung habe ich auch nicht. In dem Mehrfamilienhaus in Berlin, in dem wir seit langem wohnen, ist die Situation ähnlich: Man kennt sich, ist freundlich, bleibt aber für sich.

War es gewagt, dass die verschiedenen Figuren über die Sterblichkeit nachdenken, sie die grossen Fragen stellen zu lassen im Kleinen?

Ich schreibe grundsätzlich nur, wenn ich etwas zu sagen habe; mein letztes Theaterstück für Erwachsene wurde 2015 uraufgeführt, seither gab es allerdings Opernlibretti und auch ein Kinderstück. Eine Frage, die mich umtreibt, ist: Wie geht man mit der Sterblichkeit um, vor allem, wenn man nicht gläubig ist, nicht aufgehoben ist in dem, was Religion anbietet? Was fängt man dann an mit dem Tod? Ich weiss es auch nicht. Er ist vollkommen unbegreiflich – und wir verdrängen ihn ständig. Diesseits von irgendwelchen esoterischen oder merkwürdigen spirituellen Haltegriffen haben wir keine «normale» Auseinandersetzung mit dem Tod. Also, der Mensch ist einfach wahnsinnig dumm. Mir war wichtig, davon zu erzählen, wie der Tod ins Leben integriert ist.

06071 – Nikola Weisse als Frau Yamamoto

Integriert?

Genau darum sollte Frau Yamamotos Tod kein dramatischer oder tragischer Höhepunkt des Dramas sein, sondern so schrecklich und gleichzeitig so normal, wie Sterben eben ist. Er findet deshalb auch in der Mitte des Stücks statt.

Fast im Nebenbei kommen zudem die brennenden Themen der Zeit aufs Tapet, etwa die Verfolgung von Minderheiten, die Umwelt­verschmutzung. Muss Theater politisch sein?

Theater ist im Grunde immer politisch. Früher wurde mir stets vorgeworfen, dass meine Stücke so politisch seien, und ich dachte: «Ja, aber deswegen mache ich das doch! Was wäre denn ein unpolitisches Theaterstück?» Beim diesjährigen Berliner Theatertreffen habe ich zum Beispiel eine grossartige Tschechow-Umsetzung der Regisseurin Jette Steckel gesehen: Sie hat auf wirklich gute Art das alte Stück inszeniert und gleichzeitig eine Diskussion über die Gegenwart geführt. Darum geht es beim Theater. Manchmal gibt es diese pädagogisch-agitierende Tendenz, diese finde ich enervierend. Ich möchte gerne die Menschen in ihrem täglichen Leben begleiten – und damit viele Anknüpfungspunkte und Wiedererkennungsmöglichkeiten für die Zuschauer bieten.

Wiedererkennungsmöglichkeiten?

Wir leben doch alle mit dem Bewusstsein der Sterblichkeit und wissen auch um die Umweltkatastrophen, der politischen Schwierigkeiten und wirtschaftlichen Verwerfungen, ohne dass wir jeden Tag darüber nachgrübeln oder gar etwas unternehmen deshalb. Wenn in Italien 100’000 Tonnen toter Fisch angespült werden, ist die Existenz der Leute dort unmittelbar betroffen, wir aber nur sehr indirekt. Und ich wollte gerne dieses Indirekte beschreiben und hoffe, dass die Themen einem so viel näher rücken als das etwa bei einem monothematischen, pädagogischen Doktheater der Fall wäre.

«Die vielen jungen AfD-Wähler sind nicht der Begeisterung für die AfD geschuldet.»

Auch den Rechtsrutsch in der Gesellschaft sprechen Sie mehrfach auf diese indirekte Weise an. Haben Sie Angst vor den Entwicklungen in Deutschland?

Auf Bundesebene wird eine AfD-Regierung nicht so schnell kommen, aber in bestimmten Landkreisen gibt es ja schon mindestens AfD-Bürgermeister oder -Stadträte. Die zahlreichen jungen AfD-Wähler jetzt in Thüringen und Sachsen sind, so glaube ich als Laie, nicht der Begeisterung für die AfD geschuldet. Sondern vermutlich erreicht die AfD die junge Generation über soziale Medien und Tiktok – und die etablierten Parteien haben den Schuss diesbezüglich noch nicht gehört. Das ist fatal. Ich weiss nicht, wie man das wieder aufholen kann.

Vielleicht durch Theater?

Nein, da bin ich total fatalistisch: Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass man darüber das Bewusstsein von jemandem ändern kann. Theater erreicht von Haus aus bloss die Theaterbubble. Da muss man sich überhaupt nichts vormachen. Aber: Man muss natürlich trotzdem Theater machen.

Warum muss man das?

Das ist ein ganz rohes, Camus’sches, existenzialistisches Trotzdem. Den Gefallen, dass wir uns selbst abschaffen, möchte ich den Rechten nicht tun. Für mich ist Kultur der Kern: das, was uns Menschen ausmacht. Und ein Trost angesichts der eigenen Endlichkeit, die ich vorher angesprochen habe. Im Grunde der einzige Trost.

«Frau Yamamoto ist noch da», Premiere am 12.9. im Pfauen, Zürich (20 Uhr).