Wahlkampf in Israel«Terrorunterstützer» sollen Netanyahu nun den Sieg sichern
Bisher hat sich Israels Premier nicht um die arabischen Wähler geschert oder sie in die Nähe von Betrügern und Terroristen gerückt. Doch nun ist das Rennen so eng, dass er ihre Stimmen braucht.
In Tira und in Umm al-Fahm, zwei Städtchen im Norden Israels mit arabischer Einwohnerschaft, ist in diesen Tagen ein seltener und unerwarteter Besucher aufgetaucht: Premierminister Benjamin Netanyahu. Er war gekommen, um die eher skeptische Bevölkerungsgruppe vom Segen der Corona-Impfkampagne seiner Regierung zu überzeugen. Doch unter der coronabedingten Maskierung hat er dort nicht nur für das Vakzin geworben, sondern auch um Stimmen bei der anstehenden Parlamentswahl am 23. März.
Bei dieser vierten Neuwahl in nicht einmal zwei Jahren droht es so knapp zu werden für Netanyahu, dass er nun auch die arabischen Wähler für sich entdeckt, die immerhin ein Fünftel der Gesamtklientel ausmachen. Manche halten das für zynisch und verlogen. In jedem Fall ist es eine rasante Kehrtwende. Doch sie entspringt einem kühlen politischen Kalkül.
Den arabischen Wählern Betrug unterstellt
Bislang war Netanyahu in Wahlkämpfen eher dadurch aufgefallen, dass er harte Kante zeigte gegenüber der arabischen Bevölkerung. Als im März 2020 die arabische Vereinigte Liste 15 der insgesamt 120 Knesset-Sitze gewann, warf er deren Wählern vor, für «Terrorunterstützer» gestimmt zu haben. Bei der Wahl 2019 platzierte seine Likud-Partei «Beobachter» mit versteckten Kameras in arabischen Wahllokalen, um angebliche Betrügereien zu dokumentieren. Am Wahltag 2015 schliesslich versetzte Netanyahu seine Anhänger in Alarmstimmung mit der Videobotschaft, dass die «arabischen Wähler in Scharen in die Wahllokale drängen».
Dass er diese Scharen nun zum Likud umleiten möchte, hat er übereinstimmenden israelischen Medienberichten zufolge hinter verschlossenen Türen damit begründet, dass dort mindestens zwei Sitze zu gewinnen seien. Dafür könnte, so liess er durchsickern, ein arabischer Bewerber auf einen vorderen Likud-Listenplatz gehievt und womöglich später sogar mit einem Ministeramt belohnt werden.
Ein wenig fremd allerdings ist ihm und seinen Beratern das neue Spielfeld doch noch. Belegt wird dies durch eine PR-Panne beim Auftritt in Umm al-Fahm, wo sich Netanyahu vor den Kameras stolz mit jenem arabischen Bewohner zeigt, der gerade als einmillionster Israeli die Corona-Impfung erhalten hatte. Später dann stellte sich heraus, dass dieser Mann nicht gerade zum Posterboy der Likud-Kampagne taugt, weil er wegen Totschlags und anderer Gewaltdelikte 14 Jahre im Gefängnis gesessen hatte.
Allerdings gibt es auch einen aktuellen Anknüpfungspunkt, mit dem Netanyahu um arabische Wähler werben kann: die Normalisierungsabkommen zwischen Israel und vier arabischen Staaten. Umfragen zufolge werden die von fast zwei Dritteln der israelischen Araber sehr positiv gesehen – nicht zuletzt, weil sich speziell für sie Chancen ergeben könnten aus den verbesserten wirtschaftlichen Beziehungen. Die arabische Vereinigte Liste stimmte jedoch im Parlament geschlossen gegen diese Abkommen.
Vertreter der arabischen Israelis reagierten mit Wut oder auch Spott auf Netanyahus Wende.
Netanyahu könnte also die Chance wittern, einen Keil zwischen die arabischen Wähler und ihre politischen Repräsentanten zu treiben. Ohnehin ist die Vereinigte Liste ein fragiles und höchst heterogenes Gebilde, das Islamisten und Feministen, Kommunisten und Nationalisten umfasst. Interner Unfrieden war hier schon vor Wochen gesät worden, als der arabische Abgeordnete Mansour Abbas plötzlich eine Nähe zu Netanyahu erkennen liess und erklärte, die arabische Minderheit dürfe sich nicht länger von Israels Linker vereinnahmen lassen. Der Abgeordnete Abbas kommentierte nun auch mit einiger Zufriedenheit Netanyahus neue Aufmerksamkeit.
Andere Vertreter der arabischen Israelis reagierten dagegen mit Wut oder auch Spott auf diese Wende. Er könne von nun an bis zur Wahl ein knöchellanges Gewand tragen und sich selbst Abu Yair nennen, sagte der Abgeordnete Ahmed Tibi mit Blick auf den Namen von Netanyahus ältestem Sohn Yair. «Wer immer ihm das glaubt, der verdient ihn auch.»
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