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Leser fragen
Teil von etwas Grossem

Klimastreik-Demonstration in Winterthur im Juli 2019.
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Früher nahm ich an Demonstrationen teil, sang mit abertausend Gleichgesinnten im Lichtermeer die Lieder von Patent Ochsner mit, jubelte mit Kumpanen bei einem Tor unserer Mannschaft und fühlte mich als Mensch unter Menschen. Heute weichen die Leute vor mir zurück oder gehen hinter Plexiglas in Deckung. Meine Lebensfreude befindet sich auf einem absoluten Tiefpunkt. Ich fürchte, ich werde dieses in hohem Mass beglückende und lange anhaltende Gefühl, Teil von etwas Grossem gewesen zu sein, nie mehr erfahren. Was meinen Sie? Soll und muss ich die Andenken in Ehren halten und mich künftig andernorts auf Glückssuche begeben? G. A.

Lieber Herr A.

In diesen Zeiten (*wirft einen Fünfliber ins Corona-Phrasen-Schwein*) haben manche Menschen eine gewisse missionarische Neigung entwickelt, ihr eigenes Erleben der Pandemie zum Massstab dafür zu nehmen, wie «die Zeit danach» aussehen sollte. Menschen, die dem Shutdown durchaus etwas abgewinnen konnten, die also ganz gern zu Hause sitzen und deren Vorstellungen von einer Menschenmenge sich mit dem decken, was das BAG als risikoarme Gruppengrösse empfiehlt; die für jede Ausrede noch so dankbar sind, irgendwo NICHT hinzumüssen; Kulturbanausen, die weder Konzerte noch Museen noch Lesungen vermissen und auch allem Sportlichen sowohl in aktiver wie auch passiver Hinsicht abhold sind.

Wäre ich Verschwörungstheoretiker, würde ich nicht Gates und Merkel für die Pandemie verantwortlich machen, sondern solche «Oblomow»-Gestalten (wie mich). Ihr Mail erinnert daran, dass es da draussen auch Menschen gibt, die unter den Sicherheitsauflagen sehr leiden und deren Vorstellungen von einem glücklichen Leben zurzeit zwar nicht epidemiologisch unbedenklich, aber dennoch legitim und nachvollziehbar sind. Es gibt nicht nur das Ressentiment der Shutdown-Gegner gegen die -Befürworter, sondern auch das gegenteilige. Von Leuten, die sich aus vorübergehenden Massnahmen wegen der Pandemie – soweit sie ihnen gut passen – eine Bestätigung ihres persönlichen Lebenswandels erhoffen.

Was muss man nach der ersten zaghaften Öffnung der Geschäfte gleich vor dem Chanel-Laden Schlange stehen oder mit dem Gedanken spielen, ob man im Herbst nicht vielleicht doch nach Mallorca fliegen kann? Tsssss ... Das Mantra dieser Selbstbestätigung lautet: SO WAS BRAUCHT DOCH NIEMAND. Aber ganz offenbar brauchen Sie Dinge zum Glück, die ich nicht brauche, und ist Ihr Glück nicht meines und meines nicht Ihres, und offenbar haben Sie es in diesen Zeiten (Fünfliber!) wesentlich schwieriger als ich. Aber diese Zeiten (die alle meine Fünfliber fressen) werden sicher nicht ewig dauern, und ich wünsche Ihnen für dann eine gute Zeit auf Demos, Konzerten und beim Fussball.