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Im Gespräch mit Björn Ulvaeus
«Tatsächlich habe ich eine Heidenangst»

Abba ist eine schwedische Pop-Supergroup, die 1972 in Stockholm von Agnetha Fältskog (2.v.r.), Björn Ulvaeus (r.), Benny Andersson und Anni-Frid Lyngstad gegründet wurde. Der Name der Gruppe ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen.
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Da drückt einfach wer auf die Pausentaste. Viruszeit. Auszeit. Zeit zum Lesen. Zeit zum Paddeln, hier, beim Sommerhaus, in den endlos verzweigten Wassern des Stockholmer Schärengartens. Einmal tief durchatmen. Eben noch ist er nach London gehastet, nach Köln, nach New York, und jetzt ist da Zeit, das Paddel aus dem Wasser zu heben, das Kajak gleiten zu lassen, und zu sagen: «Uuh, ist es nicht schön, am Leben zu sein? Ist das nicht Trost genug?» Unausgesprochen: Braucht es da einen Gott?

Björn Ulvaeus, der Mann, der das sagt, unterlegt mit zufriedenem Brummen, hat am 25. April seinen 75. Geburtstag gefeiert. Wie er da sitzt, am anderen Ende der Videoschalte, sonnengebräunt, im Adidas-T-Shirt, da wirkt er um Jahre jünger. Aber er sagt es selbst: «75 Jahre. Risikogruppe.» Bei seiner Frau Lena wurde vor Jahren schon Leukämie diagnostiziert. Sie geht nur mehr Einkaufen mit Maske und Gummihandschuhen. Sie halten Abstand, auch von den Enkeln, die zum Spielen kommen an ihren Strand.

Björn Ulvaeus, Bandmitglied der schwedischen Popgruppe Abba.

In die aufgezwungene Musse schleichen sich nun die Fragen, die kleinen, die nach seinen leer stehenden Hotels und Theatern, und die grossen, die nach dem Tod, und die nach Gott. Die Frage hier: «Woher weisst du, Björn Ulvaeus, dass etwas, das du für wichtig hältst, wirklich wahr ist?» Gute Frage, meint Björn Ulvaeus. Er erinnert sich an seine Zeit als Schüler, da hielt er es eine Zeit lang für wirklich wichtig, einen Abschluss als Bauingenieur zu machen. Er wurde dann Popstar, einer der grössten, die Europa je hervorgebracht hat.

Björn Ulvaeus macht sich Gedanken

Es ist das zweite Gespräch mit Björn Ulvaeus. Beim ersten, noch vor Corona, in seinem Haus in Stockholm, führte er seine Gedanken aus zur Wissenschaft und zu Social Media, zur Demokratie und zu Fake News, zu all den Dingen, die ihn heute umtreiben neben seiner Musik, und ja, zwischendurch ging es auch um Dancing Queen und um Glitzeranzüge, in denen er einst drinsteckte «als sei ich eine Wurst».

Nun, sagt er ein halbes Jahr später, vergehe zwar kaum ein Tag, an dem er nicht an den Tod denke, er tue das aber in grosser Gelassenheit: «Ich habe keine Angst. Wovor? Der Tod ist ein grosses Nichts.» Im vergangenen Monat hat er, in der Heimisolation, zwei Aufsätze geschrieben für die Zeitung «Svenska Dagbladet», über die Frage nach der Religion, und wie um alles in der Welt man Trost finden könne bei einem Gott, der angeblich allmächtig ist und dann doch eine solche Pandemie zulässt. Björn Ulvaeus macht sich Gedanken.

Manche Menschen schaffen es, mit berührender Eleganz zu altern. Man sehe sich hierzu im Internet zwei Videoclips an, zwischen denen 45 Jahre liegen. Der eine ist aufgenommen am 6. April 1974 im «Dome», einem Konzerthaus im britischen Seebad Brighton. Der TV-Moderator kündigt eine Band aus Schweden an, die Band singt und tanzt drei Minuten. In den Geschichtsbüchern der populären Musik sind diese drei Minuten vermerkt als die wichtigsten in der Geschichte des Eurovision Song Contest.

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Abba spielten an diesem Abend «Waterloo». Ganz links auf der Bühne stand Björn Ulvaeus, einer der beiden Männer, die von der Regie gern weggeschnitten wurden, damit man den beiden Frauen in der Mitte länger zusehen konnte. Björn Ulvaeus war das erste B in Abba. Der ohne Bart. Er trug fast kniehohe Plateaustiefel und eine glitzernde Sternenzackengitarre.

Der zweite Videoclip ist vom 4. Oktober vergangenen Jahres, aufgenommen auf einem Laptop in einem Hotelzimmer in London. Ein schmächtiger, älterer Herr, braunes Sakko, Hornbrille, Typ lebenskluger Verleger, spricht zur Kamera. «Das Patriarchat macht sich in die Hosen», sagt er, was erst im Englischen seine alliterative Kraft entfaltet: «The patriarchy is pissing in their pants.» «Aus Angst vor einem 16-jährigen Mädchen mit Superkräften.» Er meint Greta Thunberg, die sich in den Tagen davor böse Tweets und Sprüche eingefangen hatte vom Weltpatriarchat, von Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan. «Ein Segen» sei diese Greta, sagt der Mann im Video, eine Botschafterin für die Wissenschaft.

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Der Clip verbreitete sich schnell. Der feinsinnige Herr darin: Björn Ulvaeus. Musik schreibt er auch mit 75 noch immer, und noch immer ist sein engster Partner dabei Benny Andersson, das zweite B in Abba. Und tatsächlich ist Björn Ulvaeus heute im Nebenberuf Verleger, vor allem aber hat er Angst. Um Europa. Um die Demokratie. Deshalb zieht er in den Kampf, und wie er es sieht, ist es vor allem ein Kampf gegen die Dummheit. «Die Welt ist voller Idioten», sagt er in einem anderen Video, das er vor ein paar Tagen erst aufgenommen hat, über die Kritiker der «Black Lives Matter»-Bewegung.

Wenn man Björn Ulvaeus besucht, in seinem gelb gestrichenen Schwedenhaus in Stockholm, dann kann man vorher den Umweg über das Abba-Museum auf der Insel Djurgarden nehmen. Dort wird einem noch mal klar, wie verdammt gross diese Band war. Und wie präsent sie noch immer ist, weil die Songs, die Björn Ulvaeus und Benny Andersson geschrieben haben, moderne Klassiker geworden sind.

No Sex, no Drugs, no Rock ’n’ Roll

Es ist kalt am Tag des ersten Gesprächs, einem Wintermonat, noch kennt hier in Europa keiner das Coronavirus. Im Wasser tritt die Silhouette eines Felsens aus dem Winterdunkel, die kleine Insel Vagaskär, mit dem Festland über eine Brücke verbunden. Man klingelt, und noch bevor man die Brücke überquert hat, öffnet sich die Tür: Im Türrahmen des Hauses steht Björn Ulvaeus, im Arm trägt er einen Picknickkorb, aus dem eine Thermoskanne voller Kaffee hervorlugt. «Hallo», ruft er, und dass er vorschlage, in die kleine Hütte hinter dem Haus zu gehen, dort lasse sich wunderbar das Befinden der Menschheit erörtern. «Oh ja, ich mache mir Sorgen», sagt er noch im Gehen. «Tatsächlich habe ich eine Heidenangst.»

Björn Ulvaeus war immer der inoffizielle Sprecher von Abba. Er tritt auf als die sehr schwedische Ausgabe eines Stars: bescheiden, interessiert, selbstironisch. Er führt zu einer Hütte aus einfachem Holz. Ein blau-weiss gestreiftes Stoffsofa, ein paar Sessel und vor den Fenstern: das Meer. Er rückt den Stuhl zurecht, packt den Picknickkorb aus, dann bricht es gleich aus ihm heraus: Die Rede des Komikers Sacha Baron Cohen – «Gesehen? Brillant!» Cohen hatte kurz zuvor die sozialen Medien als grösste Propagandamaschine der Geschichte bezeichnet und den Facebook-Managern vorgeworfen, sie hätten auch Adolf Hitler erlaubt, Werbeclips über die Endlösung des Judenproblems zu posten.

«Wir wollten unterhalten, mehr nicht.»

Björn Ulvaeus, das erste B in Abba

Björn Ulvaeus wird an diesem Abend viel über die Tage in Brighton 1974 sprechen. Was die Kritiker Abba damals übel nahmen, war zum einen die pure Lust am Entertainment, zum anderen das Image: eine Band wie gecastet für die Familienunterhaltung. Anni-Frid Lyngstad und Agnetha Fältskog wurden von der Presse in die Rolle der Sexsymbole gedrängt. Dabei waren die beiden Frauen schon vor Abba gestandene Musikerinnen, hatten selbst komponiert und auf der Bühne gestanden. Und die traute Viersamkeit war, eine Zeit lang zumindest, nicht gespielt: Die zwei Bs und die zwei As heirateten und kauften sich Häuser nebeneinander, Vorstadtpaare mit schwedischer Wirtschaftswundermittelstandsbiografie. No Sex, no Drugs, no Rock ’n’ Roll. Und schon gar keine Rebellion. «Wir wollten unterhalten, mehr nicht», sagt Ulvaeus, der die Liedtexte schrieb.

Dabei hielt er sich selbst schon früh für einen politischen Menschen. Es war die Zeit des Kalten Kriegs, Schweden war Frontstaat. Auf den letzten Abba-Platten erst gibt es den einen oder anderen politisch inspirierten Song. «The Visitors» von 1981 zum Beispiel, der einen Dissidenten besingt, an dessen Wohnungstür der KGB klopft. Die beiden Paare hatten sich zu dem Zeitpunkt schon auseinandergelebt, kurz danach trennten sich Abba auch als Band.

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Mit dem Alter kam Freiheit. Nach Abba produzierte Björn Ulvaeus Musik, schrieb Musicals, machte Filme. Er eröffnete Hotels, Restaurants, Theater. Eine Wirtschaftszeitung schätzte sein Vermögen 2019 auf umgerechnet 160 Millionen Franken.

«Warum länger still sein? Warum nicht die Stimme erheben, für die liberale und säkulare Demokratie?»

Björn Ulvaeus

Ein hungriger Leser, sagt Björn Ulvaeus, sei er sein Leben lang gewesen. In den frühen 2000er-Jahren dann, im Gefolge der Anschläge vom 11. September 2001, habe er zum ersten Mal gedacht: «Warum länger still sein? Warum nicht die Stimme erheben, für die liberale und säkulare Demokratie?»

Am Anfang stand die Religion, damals schon. Ihre Wiederkehr nach den Anschlägen von New York. «Ich dachte, wir hätten Religion hinter uns gelassen», sagt Björn Ulvaeus. «Und mit einem Mal schickte sie sich wieder an, unser Leben zu diktieren?» Ulvaeus begann, erste Artikel zu schreiben. Er ist Mitglied eines Humanistenverbands.

Acht Enkelkinder hat Björn Ulvaeus, das jüngste noch kein Jahr, das älteste 18. Er sagt, er fürchte um die Welt, in die seine Enkel hineinwachsen. «Desinformation ist die Natur von Diktaturen. Ich dachte immer, wir hier in den klassischen liberalen Demokratien des Westens seien immun. Und nun sieht es so aus, als könnten wir alles verlieren. Wir sind verletzlich.»