Serie: Unser KI-Sommerhit (6/6)Der KI-Sommerhit heisst «The Colors of Summer» und klingt gar nicht mal so gut
Es ist vollbracht: Die künstliche Intelligenz hat uns einen Song produziert. Wie klingt er? Welche Fragen wirft das Experiment auf, und wie sieht die Zukunft des Musikmachens aus? Ein Fazit.
Es ist vollbracht. Der Song, den wir in wochenlanger Arbeit und Recherche von der künstlichen Intelligenz haben erschaffen lassen, ist im Kasten. Letzte Nacht haben wir ihn aus allen Elementen, die uns die KI vorgegeben oder selber kreiert hat, zusammengebosselt. Nun sitzen der beigezogene Computer-Sachverständige Steff und ich vor den Studioboxen und horchen dem Ergebnis. Steff braucht dieses Mal drei Zigaretten in Folge, um das Gebotene zu ertragen: «Klingt irgendwie sonderbar», ist seine erste Einschätzung, «und irgendwie gar nicht mal so gut.»
Den hehren Anspruch, dass daraus der Sommerhit 2023 werden soll, haben wir ja schon länger aufgeben müssen. Die künstliche Intelligenz ist zwar in ihren jungen Jahren zu einem furchtbar schlauen Ding herangereift, doch eigenständig Musik machen kann sie noch nicht so gut. Die vermeintlich KI-generierten Hits von Drake, The Weeknd oder Oasis, die derzeit überall kursieren, wurden ja auch nicht von der KI erschaffen, man hat ihnen bloss von KI-Modellen generierte Stimmen hinzugefügt.
Sexyness hat die KI – trotz wiederholter Aufforderungen unsererseits – keine zu erzeugen vermocht.
In unserem Song stammen immerhin die Idee, der Beat, der Text, die Stimme, der Rap und die Melodien von der höheren Intelligenz. Gewisse Sachen und das Arrangement mussten wir jedoch in einem handelsüblichen Musikprogramm selber einspielen – natürlich nach strenger Vorgabe der KI.
«The Colors of Summer» heisst das entstandene Liedchen, und als Musikkritiker würde ich mit ihm sehr hart ins Gericht gehen: Mag der Refrain sich noch einigermassen wohlig ins Ohr wurmen, klingt das Ganze, als habe sich ein Folk-Sänger mit Ukulele in eine Latin-Disco verirrt und sei dort von sehr muskulösen, aber sehr untalentierten Schurken-Rappern in die Enge getrieben worden.
Sexyness hat die KI – trotz wiederholter Aufforderungen unsererseits – keine zu erzeugen vermocht. Und der Groove vermittelt allerhöchstens ein Ferienfeeling, wie es einen in einem strandnahen Betonbunker beschleicht.
«Fühlst du dich, als hättest du etwas Eigenes erschaffen?», frage ich Steff, nachdem wir uns den Song zunehmend betrübt zum dritten Mal durchhören. «Irgendwie nicht. Und irgendwie doch», antwortet er kryptisch und wird dann nachdenklich: «Ich glaube, dass diese Art der Musikproduktion in Zukunft etwas ganz Normales sein wird.» Früher habe man einen ganzen Instrumentenkeller und eine Horde Kollegen benötigt, um Musik zu machen. Später sei Ähnliches mit einem Computer und einer Klaviatur umsetzbar gewesen. «Bald wird man einem Computer nur noch erklären, was man begehre, und er wird 100 Vorschläge ausspucken, von denen man den besten zur Weiterbearbeitung auswählt», meint Steff.
Damit wären wir ja gar nicht so weit weg von der heutigen Realität: Eine Beyoncé sitzt ja auch längst nicht mehr mit der Holzgitarre auf dem Schlafzimmerbettchen und erfindet einen neuen Song. Sie wählt aus Hunderten von Song-Ideen aus, welche ruhmsüchtige Produzenten nach dem gängigen Hit-Schema kreiert und ihrer Plattenfirma zugeschickt haben. Bestenfalls macht sie dann etwas Eigenes daraus.
Alle werden Musik machen können
Womit wir wieder bei unserem vagen Gefühl wären, hier nichts Originäres erschaffen zu haben. Ein Kollege von mir hat mit der elektronischen Musikproduktion aufgehört, nachdem in den Neunzigerjahren downloadbare Ordner mit Tausenden von Bassdrums herumgereicht wurden. Er, der jeweils Tage damit verbracht hatte, den Gerätschaften genau diesen einen Sound abzutrotzen, der ihm gerade vorschwebte, empfand diese Verfügbarkeit von Klängen bereits als Tod der Kreativität.
Andere feierten genau das als «Demokratisierung der Musik», ein Begriff, der auch in Anbetracht der musikalischen Möglichkeiten der KI wieder öfter gehört wird. Jeder werde künftig Musik machen können, und dies werde das Medium bestimmt weiterbringen, lautet die Meinung der Zukunftsromantiker.
Tatsächlich gingen die bisherigen Musikrevolutionen stets mit technischem Fortschritt einher. Man denke nur an den kreativen Quantensprung, der die allgemeine Verfügbarkeit der Sample-Technik Ende der Achtzigerjahre mit sich brachte. Seither ging es – vor allem in der elektronischen Musik – stets darum, den Weg von einer Song-Idee bis zu deren Umsetzung so direkt wie möglich zu gestalten. Mit dem Ergebnis, dass in Heimstudios auf der ganzen Welt tatsächlich sehr viele Song-Ideen umgesetzt wurden, leider auch die weniger guten.
In ein paar Jahren wird die KI im Musikbereich ein unablässig fliessender, denkender und abzapfbarer Strom von musikalischen Gedanken und Ideen sein.
Mit KI-generierter Musik wird das ähnlich sein. Sind die Grundidee und die künstlerische Disposition des Befehlsgebers oder der Befehlsgeberin ungünstig, wird die künstliche Intelligenz auch keine gute Musik ausspucken. Ist die Idee indes brillant und das Programm gut trainiert, dann könnte die KI zu einem wunderbaren Hilfsmittel werden.
Steff und ich beginnen uns in die Zukunft zu fantasieren und bleiben bei folgender Vision hängen: In ein paar Jahren kann man sich die KI im Musikbereich als einen unablässig fliessenden, denkenden und abzapfbaren Strom von musikalischen Gedanken und Ideen vorstellen. Als Musiker oder Musikerin wird es nur noch darum gehen, die richtige Idee aufzugreifen und diese in den Dienst der eigenen musikalischen Vision zu sellen. Nicht die Virtuosität bestimmt, ob ein Lied gut oder schlecht ist, sondern die Intuition. Musik machen wird – in dieser Weltenblase – kein schöpferischer Akt mehr sein, sondern die Summe möglichst richtiger Entscheidungen.
Die grosse Urheberfrage
Steff ist dabei auch urheberrechtlich relativ pragmatisch eingestellt und plädiert für die sofortige Freigabe aller Musik zu Trainingszwecken: «Ob sich nun ein Künstler unterbewusst auf seinen Geschmack und auf seine Musiksammlung stützt, um neue Musik zu kreieren, oder ob wir uns bei der KI den letzten kreativen Kick holen, ist doch letztlich einerlei», sagt er und rührt energisch in seinem Morgenkaffee. Solange die KI nicht offensichtlich zu klauen beginne, sondern bloss homöopathisch, werde das keiner Künstlerseele schaden. «Die heutige Popmusik wird doch eh in Hitfabriken nach irgendwelchen Zeitgeist-Schablonen ersonnen. Das wird die KI sehr bald besser draufhaben.»
Ich halte ihm entgegen, dass die Musikindustrie gerade wegen ihrer Verweigerungshaltung verhindert habe, dass den Tonkünstlerinnen und -künstlern bereits eine unheimliche und unkontrollierbare Monster-Konkurrenz erwachsen sei, wie beispielsweise den Grafikern oder den Übersetzerinnen.
Steff mustert mich ungläubig und spricht den Satz, der in Diskussionen um die KI immer fällt: «Das Ding ist ohnehin nicht mehr zu stoppen!» und ergänzt: «Denkst du wirklich, dass irgendwo in China oder in anderen Ländern, in denen das Urheberrecht eher locker ausgelegt wird, nicht längst Musikgeneratoren mit massenhaft Liedgut gefüttert werden? Da werden bald Dinge auf den Markt kommen, welche die KI-Gegenwart als lächerlich erscheinen lassen und denen niemand die Verletzung von Autorenrechten nachweisen kann.» Vermutlich hat er recht.
Zuerst dürfte es die Elektro-Produzenten und -Produzentinnen treffen. Ihnen ist die KI bereits auf den Fersen.
Muss man sich denn nun fürchten vor dieser KI? Wird sie jemandem etwas wegnehmen? Wird sie ein schöpferisches Feuerwerk auslösen oder die Kreativität abtöten, so wie das Internet den weltweiten IQ dezimiert hat? Wann darf ein Werk, das mithilfe der KI geschrieben wurde, als geistiges Eigentum verbucht werden? Und wo wird das Geld hinfliessen, das mit dieser Technologie verdient werden wird? Wird es Pauschalabgaben geben müssen, an alle, welche die KI mit ihrer Musik potenziell trainiert haben? Wird die Musikindustrie die Entwicklung dieser Technologie einmal mehr mit Verboten hemmen, um die Kontrolle letztlich dann doch zu verlieren?
Und die Musikfans?
All diese Fragen werden bald beantwortet werden müssen. Auf zwei können Steff und ich bereits eingehen: Nein, das Ding ist auch mit Verboten nicht zu stoppen. Es herrscht regelrechte Goldgräberstimmung im kreativen KI-Zweig, neue Tools erscheinen derzeit im Wochentakt. Und Angst muss man als Musikus vor der KI im Moment noch nicht haben. Aber schon in einem Jahr wird sie Dinge können, welche die Fähigkeiten vieler Musikschaffenden übersteigen wird.
Zuerst dürfte es die Elektro-Produzenten und -Produzentinnen treffen. Ihnen ist die KI bereits auf den Fersen. Dann sind die Hip-Hopper mit einer Vorliebe für den artifiziellen Autotune-Effekt dran – auch das schafft die KI schon ganz passabel. Danach die Reissbrett-Produzenten aus den Hitfabriken. Was sie tun, wird die KI bald besser können.
Und dann wird er also losgehen, der grosse Wettbewerb der künstlich und menschlich entwickelten Ideen. Und die Konsumentinnen und Konsumenten? Sie werden womöglich Poster von singenden Avataren wie Kevin (siehe Folge 5/6) übers Bett hängen. Und da die KI ganz einfach ihrem Wesen folgt und nach den naheliegendsten und statistisch wahrscheinlichsten Mustern fahndet, wird die gemeine Hörerschaft mit sehr viel durchschnittlicher Musik bombardiert werden. Oder wie es Steff so schön sagt: «Für sie wird sich kaum etwas ändern.»
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