Der Weg zum KI-Sommerhit (4/6)Tag 4: Die KI dichtet, und wir bekommen Zweifel
Auf dem Weg zum KI-Sommerhit steht das nächste Hindernis bevor: die Poesie. «Ich kann das», behauptet die höhere Intelligenz und produziert Reime, die unseren Wortschatz erweitern.
Unsere Laune ist gedrückt. Computersachkenner Steff und ich sind zuletzt resigniert zur Erkenntnis gelangt, dass die KI noch nicht im Stand ist, unsere Befehle eigenständig in brauchbare Musik umzumünzen. Dennoch sind wir der Überzeugung, dass wir gerade dem Anfang von etwas Grossem beiwohnen, etwas, was das Musikmachen in neue Dimensionen bugsieren und Fragen nach Schöpfertum und Kreativität in neue Bahnen lenken wird.
Wir träumen kurz von den Verheissungen der Zukunft und werden umgehend wieder in die Niederungen der aktuellen KI-Sommerhit-Realität zurückkatapultiert. Und die sieht einigermassen trist aus: Bisher hat uns die KI noch kaum verwertbares Sommerhit-Tonmaterial geliefert. Also werden die Computer gestartet, und wir machen uns daran, aus den Trümmern, die uns die höhere Intelligenz bisher ausgespuckt hat, unseren Sommersong zusammenzubosseln – ahnend, dass das, was da entstehen wird, keinen Eintrag in den Hit-Annalen finden dürfte. Obschon Grossbetriebe wie Meta und Google vermutlich ganze Heerscharen an Spezialistinnen und Spezialisten ins Projekt Musikgenerator eingeschleust haben.
Und was die KI ausspuckt, ist so schlecht, dass Steff findet, man könnte solche Gedichte künftig als Foltermethode in geheimen Gefängnissen zum Einsatz bringen.
«Hat Google nicht kürzlich als Konzernziel angekündigt, den Tod überwinden zu wollen?», frage ich Steff, der sich gerade die Bedienungsanleitung einer Ukulele herunterlädt. «Ja. Und?», antwortet er geistesabwesend. «Es scheint mir, als ob die Aufgabe, einen tauglichen Musikerzeuger zu kreieren, ein ähnlich komplexes Unterfangen sei wie das Ausschalten von Gevatter Tod.» Steff, der – wie Sie vielleicht schon bemerkt haben – der eher Fortschrittsgläubigere von uns beiden ist, spielt mit der rechten Hand auf seinem Keyboard eine virtuelle Ukulele und meint: «Irgendwo muss man ja beginnen.» Es sei nun an uns, der KI ein bisschen unter die Arme zu greifen. Also los.
Im Umgang mit der KI stellt sich immer die Frage, ob man höflich fragen oder ob man befehlen soll.
Da uns Chat-GPT den Einsatz einer ebensolchen Ukulele angeraten hat und die momentan erhältlichen Generatoren dieses Instrument noch nicht so gut kennen, schaffen wir mit einer virtuellen Plug-in-Ukulele auf unserem Produktionsprogramm einen melodiösen Boden in der Harmoniefolge des Kate-Bush-Hits «Running Up That Hill». Diesen hatte uns die KI nahelegt, weil er die Sommerhitparaden des letzten Jahres mit angeführt hat. Das Ganze setzen wir auf einen Beat, den wir aus diversen Reggaeton-Sessions mit dem KI-Generator Boomy destilliert haben. Das klingt befremdlich und noch etwas fade, aber es ist ein Anfang.
Zur Steigerung der Fancyness fragen wir Chat-GPT 4, ob er uns eine ohrwurmige Hookline dazu komponieren und diese gleich als Notations-Spur zur Verfügung stellen könnte. Der Bot ist willig und schlägt uns eine Melodie vor, die dermassen hölzern klingt, dass Steff sich zur Einschätzung hinreissen lässt, man könnte wohl genauso gut einen Affen hinter ein Piano setzen und würde ein ähnliches Ergebnis bekommen. Weil Chat-GPT unsere wiederholte Aufforderung, kreativer und freier zu agieren, nicht umzusetzen weiss, nehmen wir eine Hookline aus einem Wurf vom Zuckerberg-Generator Music-Gen und basteln uns so einen Boden, auf dem sich aufbauen lässt.
Als Nächstes benötigen wir Poesie. Steff delegiert diesen Teil der Arbeit an mich, ich leite sie umgehend an die KI weiter. Diese hatte naheliegenderweise geraten, eine positive Botschaft in den Sommerhit zu packen. Da hier jedoch gleichzeitig auch ein bisschen 80s-Schwermut einträufeln soll, gebe ich folgende Bitte ins Chat-GPT-4-Fensterchen ein – wobei sich im Umgang mit der KI immer die Frage stellt, ob man höflich fragen oder ob man befehlen soll. Ich entscheide mich für die freundliche Variante. Man weiss ja nie, ob die KI-Weltherrschaft bereits unmittelbar bevorsteht – und da wäre ein netter Umgangston doch wünschenswert: «Liebe KI. Kannst du mir einen Reim-Text zu folgendem Thema schreiben? Es ist Sommer, ich liege am Strand, alle sind glücklich, alles wäre perfekt, nur du fehlst. Die Farben des Sommers verfallen zu einem tristen Grau.» Wir empfinden diesen leicht defätistisch-poetischen Ansatz als angemessen und wählen als Erstes die Amtssprache Deutsch.
Rätselhafte Poesie
Die KI antwortet freundlich: «Natürlich kann ich das.» Und was sie hernach ausspuckt, ist so schlecht, dass Steff findet, man könnte solche Gedichte künftig problemlos als Foltermethode in geheimen Gefängnissen zum Einsatz bringen:
«Sommer ist hier / Farben leuchtend hell /Doch meine Seele ist grau / Fühlt sich so quäl / Sonne strahlt / Meer flüstert schnell / Ohne dich ist Freude nur ein leerer Quell». Und auch die erste Strophe gelingt der KI nicht besser: «Himmel brennt / Farben strahlen stark / Ohne dich hier / Ist alles so mark / Lachen verblasst / Im Sonnenpark / Deine Abwesenheit / Ein ständiger Scharm.»
Wir lassen etwas deeskalierende Musik über die Studioboxen klingen, um uns von diesem rätselhaften Gedicht zu erholen. Und wir sind uns einig: ein KI-Sommerhit auf Deutsch? Das könnte schwierig werden.
Nächste Folge: Die KI beginnt zu singen
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