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TV-Entdeckung Nico Müller
Einen Kommentator wie ihn hat es bei SRF noch nie gegeben

Nico Mülller 
Kommentator Formel 1
2022

Copyright: SRF/Oscar Alessio
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Das Dossier eingereicht haben viele. Sehr viele sogar. Und bei den Bewerbungen war alles dabei, vom Tankstellenwart mit Bleifuss, der sowieso alles besser weiss, bis hin zu renommierten Journalisten, Motorsportexperten sowie ehemaligen und sogar aktiven Autorennfahrern. Es ging vor drei Jahren um die Nachfolge Michael Stäubles, der Formel-1-Stimme beim Schweizer Fernsehen, die von 1993 bis 2021 zu hören war. Diverse Kandidaten wurden ins Studio nach Zürich eingeladen – und in der grossen Testrunde ereignete sich Verblüffendes.

Zum Vorsprechen erschien unter anderen Nico Müller, seit Jahren einer der besten Rennfahrer der Schweiz und einst ein Star in der Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM). Sascha Ruefer, mit dem er ein gutes Verhältnis pflegt, hatte ihn auf die freie Stelle aufmerksam gemacht. Am Leutschenbach galt es, ein altes Rennen nachzukommentieren. Und Müller? «Der haute mich vom Sitz!», sagt Daniel Bolliger, Leiter Live bei SRF Sport.

Das Hochdeutsch? Sei einwandfrei gewesen. Die Fahrerperspektive? Sofort spürbar. Hektische Rennsituationen? Habe er innert Sekunden sogar dem Laien veranschaulichen können. «Er kann das alles, ohne journalistische Ausbildung. Nico ist ein Naturtalent. Ich bin 25 Jahre im Geschäft, aber so etwas habe ich nie zuvor erlebt», schwärmt Bolliger.

Ein Verkäufer seiner selbst

Müller hat den Job bekommen, er teilt ihn sich mit Oliver Sittler und Michael Weinmann. Dass er als eigentlicher Experte allein hinter dem Mikrofon sitzt, ist gleichermassen erstaunlich wie einzigartig. Zumal Bolliger das Kommentieren als «enorm anspruchsvolle Königsdisziplin» bezeichnet.

Müller seinerseits war nie davon ausgegangen, als Hauptredner engagiert zu werden. Die Reaktionen aus dem Publikum sind erfreulich, «Nico schafft es, sowohl Fans als auch Gelegenheitszuschauende abzuholen», sagt Bolliger. Wie beim Fahren sei er auch beim Kommentieren sehr ehrgeizig, sagt der Thuner, der den Leuten viel Hintergründiges erzählen will. Und im breiten Berndeutsch nachschiebt, er müsse sich jeweils zügeln und schauen, dass er nicht zu viel «schnurre».

Aber eben, an und für sich ist die TV-Arbeit nur Müllers Nebenjob. Während neun Saisons stand er bei Audi unter Vertrag, bei den Deutschen galt er aufgrund seiner Eloquenz und seines Auftretens als perfekter Botschafter. Der 32-Jährige versteht das Spiel mit Zuschauern, Sponsoren, Medien, er spricht fünf Sprachen, weiss sich zu repräsentieren, was in der zuweilen komplizierten Welt des Motorsports fast so wichtig ist wie der Topspeed auf der Zielgeraden. Kurz: Müller ist ein guter Verkäufer seiner selbst.

epa05392397 Swiss DTM racing driver Nico Mueller of Abt-Audi in action in his Audi RS 5 DTM during the 8th German Tourenwagen Masters (DTM) race at the Norisring race track in Nuremberg, Germany, 26 June 2016.  EPA/DANIEL KARMANN

Er hat intensive Zeiten hinter sich, fuhr in den letzten Saisons fast immer in zwei Meisterschaften – heuer etwa in der Formel E sowie der Langstrecken-WM, die 24 Stunden von Le Mans inklusive. Es gab einmal eine Phase, da bestritt er zwölf Rennen innert 23 Tagen. Einen Namen gemacht hatte er sich in der DTM, in der er elf Rennen gewann und zweimal Gesamtzweiter war.

Aufsehen erregte er aber nicht nur mit seinen Leistungen, sondern auch mit seinem Sponsor: Unterstützt wurde Müller vom Männermagazin «Playboy». Das Häschen auf der Motorhaube galt als Hingucker. Irgendwie passte es ja auch, war doch Müllers deutsche Gattin Victoria einst selbst ein Topmodel. Das Paar hat einen vierjährigen Sohn.

Jeder Kilometer kostete ein Vermögen

Was Müller geschafft hat, ist seit der Jahrtausendwende nur wenigen Schweizern gelungen: sich einen gut bezahlten Job im Automobilrennsport zu ergattern. Künftig ist er Werksfahrer bei Porsche; am 7. Dezember geht es los mit der neuen Formel-E-Meisterschaft, es soll endlich klappen mit dem ersten Rennsieg. Letzte Woche weilte er an Tests in Madrid, angereist kam er aus Bahrain, wo er ein Acht-Stunden-Rennen bestritten hatte. Es ist der ganz normale Reisewahnsinn beim Berner Oberländer.

Einst verfolgte Müller selbst das kaum greifbare Ziel, es in die Formel 1 zu schaffen. Er fuhr in der GP3-Meisterschaft, quasi im Vorzimmer der Königsklasse. Ein paar Rennen entschied er für sich, duellierte sich unter anderen mit dem heutigen Sauber-Piloten Valtteri Bottas. In diesen Nachwuchs-Serien wurde Müller mit der «uncoolen Seite» der Branche konfrontiert, wie er es nennt.

750’000 Franken Mitgift pro Saison waren notwendig, um überhaupt ein Cockpit zu erhalten; er war ständig auf der Suche nach Investoren, die Ungewissheit zermürbte ihn. «Viele Talente kriegen nie eine Chance, nur wegen des Geldes», hält er fest. Müller musste die Miete fürs Auto, den Unterhalt, die Mechaniker, sogar den Ingenieur finanzieren, dazu kamen horrende Transportkosten – wenn man so will, kostete jeder Kilometer ein Vermögen. Irgendwie kriegte er das Geld zusammen, auch dank Beziehungen in den asiatischen Raum.

Im Hauptjob Rennfahrer: Fürs Andretti-Team steuert Nico Müller in der Formel E künftig einen Porsche.

Den Formel-1-Traum aber war bald einmal ausgeträumt, die Gedanken daran verflüchtigten sich bei ihm früher als bei manch einem der vielen Fantasten im Motorsportbusiness. Womöglich sei er etwas gar realistisch gewesen und habe zu früh nach Alternativen gesucht, sagt er nun. Mit dem Sauber-Team führte er vor Jahren ein paar Gespräche, bei zwei anderen Teams durfte er im Simulator Platz nehmen. Er hat an die Tür geklopft zur Formel 1. Aber aufgemacht hat sie niemand.

Der enge Kontakt zu den Fahrern

Wobei, irgendwie ist sie ja doch noch aufgegangen, anders als erwartet zwar und mit über zehn Jahren Verspätung. Einst war Müller als Motorsport-Experte beim längst eingestellten Privatsender Schweizer Sportfernsehen im Einsatz, auch während der Formel-E-Rennen in Bern hielt er das Mikrofon in der Hand. Doch der Job bei SRF ist eine ganz andere Nummer, und Müller sagt: «Ich mache das für die Zuschauer, möchte mit ihnen meine Leidenschaft für den Motorsport teilen – und bei ihnen Begeisterung für die Formel 1 wecken.»

Dass es seine Generation ist, die in der Königsklasse über den Asphalt donnert, kommt ihm gelegen. Weltmeister Max Verstappen kennt Müller ebenso persönlich wie Carlos Sainz junior – mit dem Ferrari-Piloten versteht er sich sehr gut. Gegen Bottas, Liam Lawson, Esteban Ocon und Pierre Gasly ist er selbst gefahren; dank seiner Erfahrung vermag er immer wieder mit erfrischenden Anekdoten zu überraschen. Und ertappt sich dabei, dass er nicht nur kommentiert. Sondern während der Rennen auch mal mit dem Fuss aufs imaginäre Gas drückt.