Grossevents trotz CoronaKampf um die 1000er-Grenze
Morgen berät der Bundesrat über das Verbot für Massenveranstaltungen. Seit Tagen wird im grossen Stil lobbyiert. Das sagen die Akteure, und so könnte der Entscheid ausfallen.
Ohne diesen Entscheid wäre die Schweiz wohl kaum so gut durch die erste Corona-Welle gekommen: Am 28. Februar verbot der Bundesrat wegen der Pandemie alle Grossveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern. Die Schweiz reagierte für einmal schneller als der Rest von Europa.
Am Mittwoch muss sich der Bundesrat wieder mit der Frage befassen, ob die Schweiz schneller als andere handeln soll. Diesmal geht es aber um die Frage, ob und wie das Verbot für Grossveranstaltungen aufgehoben wird. Aktuell gilt es noch bis zum 31. August.
Seit diese Zeitung Ende Juli darüber berichtet hat, dass Gesundheitsminister Berset mehrere Varianten prüfen liess – darunter auch eine Verlängerung des Verbotes bis März 2021 –, haben die grossen Fussball- und Eishockeyclubs ein massives Lobbying gegen diesen Plan aufgezogen (lesen Sie hier unseren Bericht zu Bersets ursprünglichen Plänen). Doch es gibt auch gewichtige Stimmen gegen eine Aufhebung des Verbots.
So verlaufen die Fronten vor der ersten Sitzung des Bundesrates nach der Sommerpause:
Die Wissenschaft: Ihre Warnung wurde schon einmal ignoriert
Rund 150 neue Corona-Infizierte werden derzeit in der Schweiz pro Tag entdeckt. Das sind deutlich mehr als Mitte Juni, als der Bundesrat das letzte Mal eine Lockerung der Corona-Regeln beschloss. Seither gilt nur noch das Verbot für Grossveranstaltungen. Führende Mitglieder der wissenschaftlichen Taskforce, die den Bundesrat in der Corona-Krise berät, hatten vergeblich vor schnellen Lockerungen gewarnt. Der Bundesrat gehe ein Risiko ein, sagte der damalige Taskforce-Chef Matthias Egger im Interview mit der «SonntagsZeitung». Die Lockerungsschritte seien «verfrüht».
Vor dem Entscheid zu den Grossveranstaltungen steht mit Martin Ackermann zwar ein neuer Wissenschaftler an der Spitze der Taskforce. Aber auch unter ihm spricht sich das Gremium gegen weitere Lockerungen aus. Es sei der «falsche Moment» für Grossveranstaltungen, sagte Ackermann Anfang August ebenfalls in einem Interview mit der «SonntagsZeitung». Die Fallzahlen in der Schweiz seien nahe an einem exponentiellen Wachstum. Das Land habe deshalb praktisch keinen Spielraum mehr für weitere Lockerungen.
Die Sportclubs: Mit der Hilfe von Mr. Corona
Der Bundesrat hat den Proficlubs im Fussball und Eishockey zwar viele Millionen Franken Finanzhilfe angeboten, damit sie die Corona-Krise durchstehen können. Doch die Clubs wollen die Hilfe nicht. Die Auflagen sind ihnen zu streng. Stattdessen wollen sie wieder vor mindestens halb vollen Stadien spielen. Sonst drohe ihnen innert Monaten der finanzielle Kollaps.
Die Clubs haben Schutzkonzepte ausgearbeitet, dank denen die Zuschauer selbst in geschlossenen Hallen sicher sein sollen. Aus ihrem Umfeld wurde eine Onlinepetition lanciert, die bis Dienstagmittag rund 14’000 Menschen unterschrieben haben. Und die Clubs setzen auf Daniel Koch, den pensionierten ehemaligen Corona-Beauftragten des Bundes.
Koch ist inzwischen Berater. Im Juni gab zum Beispiel der SC Bern die Zusammenarbeit bekannt. Und Koch sagte in den letzten Tagen jedem der vielen Journalisten, die ihn dazu befragten, dass die 1000er-Grenze für Veranstaltungen nicht mehr starr gelten müsse. Mit entsprechenden Schutzkonzepten sei mehr möglich.
Die Kantone: Plötzlich wird wieder quergeschossen
Ende Juli war der Fall für die Kantone klar: Angesichts der instabilen Lage und der steigenden Fallzahlen sollte das Verbot für Grossveranstaltungen vorerst bis Ende Jahr verlängert werden. Das teilte die Konferenz der Gesundheitsdirektoren nach einer Sitzung mit. Die Mehrheit der Kantone habe sich für diesen Weg ausgesprochen. Nach dieser Stellungnahme schien klar: Der Bundesrat kann gar nicht mehr anders, als das Verbot zu verlängern.
Dann kam der Aufschrei der Sportclubs, und in den letzten Tagen sprachen sich plötzlich mehrere Kantone öffentlich gegen eine Verlängerung des totalen Verbots aus. Dank den Schutzkonzepten sei vieles möglich, verlautete es aus dem Aargau, aus Zug und Graubünden. Gemäss dem Aargauer Gesundheitsdirektor sind insgesamt sieben Kantone für eine Lockerung bei den Grossveranstaltungen.
Der Bundesrat: Dank der Maske wieder ins Stadion?
Wie reagiert der Bundesrat auf das starke Lobbying? Die strengste der drei Varianten (vollständiges Verbot bis Ende März 2021), die Gesundheitsminister Alain Berset im Juli Kantonen und Verbänden vorgelegt hat, scheint vom Tisch. In einem Interview mit dieser Zeitung sagte Berset letzte Woche: «Wir müssen vermutlich auch für Grossveranstaltungen eine differenzierte Lösung finden.» Wie diese aussehen könnte, liess er offen.
Zwischen seinen beiden anderen ursprünglichen Varianten – vollständige Lockerung ab September und Grossanlässe ja, aber nur mit Bewilligung – gibt es aber viel Spielraum. Berset sagte im Interview auch: Er könne sich kaum vorstellen, dass der Bundesrat ab September das Grossveranstaltungsverbot bedingungslos und undifferenziert aufhebe.
Ob der Bundesrat am Mittwoch nicht nur über das Thema Grossveranstaltungen spricht, sondern auch einen Entscheid fällt, ist bislang unklar. Die in den letzten Tagen erschienenen Medienberichte, die sich auf regierungsnahe Quellen berufen, sind widersprüchlich. Bleibt der Bundesrat aber seiner bisherigen Lockerungspolitik treu, wird er die Hilferufe der Sportclubs und der Veranstaltungsbranche am Ende erhören – und die Warnungen der Wissenschaft erneut ignorieren. Dafür dürften sich insbesondere die bürgerlichen Bundesräte einsetzen.
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