Pilz-Start-up aus HorgenSogar die Waschküche muss für die Pilzzucht herhalten
In einem Wohnhaus hat ein Start-up eine Pilzzucht eingerichtet. Für eine Ernte von 400 Kilogramm im Monat müssen auch der Garten und die Dusche herhalten.
Mit Schwung öffnet Stephan Beeler den Reissverschluss des dunkelgrünen Zeltes in seinem Keller. Weisser Dampf verdeckt die Sicht. Sobald sich der Nebel etwas gelichtet hat, wird der Blick frei auf eine magische Landschaft: Hunderte Pilze quellen aus Säcken heraus.
Mal wachsen sie korallenförmig, mal sehen sie fast aus wie Muscheln. Sie sind nicht nur weiss oder leicht bräunlich; im feuchtwarmen Fruchtungsraum der Firma Regio Pilz an der Seeblickstrasse in Horgen wachsen auch rosafarbene Rosenseitlinge.
Im Keller seines Wohnhauses hat Stephan Beeler eine Indooranlage für die Pilzzucht eingerichtet. Fünf Räume, unter anderem auch eine Waschküche und eine Dusche, nutzt er zusammen mit seinem stellvertretenden Geschäftsführer Fabian Neck für die unterschiedlichen Arbeitsschritte. Als «Herzstück» fungiert ein kleines Labor, wo das Team Pilzkulturen selber anlegt. Eine weitere Produktionsstätte befindet sich im Horgenberg.
Pilze für Gastrobetriebe und Händler
Stephan Beeler erzählt: «Die Idee für Regio Pilz hatte ich vor einigen Jahren, als ich in einem Garten einen Baum gefällt habe.» Um das viele Holz, das bei der Arbeit in den Gärten anfällt, weiterverarbeiten zu können, begann er sich für die Pilzzucht zu interessieren. Neben seiner Pilzzucht leitet der 34-Jährige nämlich auch die Gartenbaufirma Beeler Gärten in Oberrieden. Dort hat er auch sein Pilz-Start-up registriert, das er vor eineinhalb Jahren gegründet hat.
«Um mir das nötige Wissen zur Pilzzucht anzueignen, habe ich sehr viele Bücher und Artikel gelesen. Auch über Filme auf Youtube habe ich vieles darüber erfahren.» Mittlerweile verkauft er die frischen Speisepilze und die Pilzprodukte an Gastrobetriebe, wie beispielsweise dem Sedartis in Thalwil oder an den Bicki Lade in Oberrieden sowie an Privatpersonen in der Region.
Abhängig vom Wetter
Gestartet hatte Beeler mit einer Outdoorzucht in seinem Garten. Überall sind Flächen mit kleineren oder grösseren Baumstämmen zu sehen. In diese Stämme hat Beeler Löcher gebohrt und Korkzapfen oder Holzdübel mit einer Pilzbrut eingesetzt – in der Fachsprache: verimpft.
Aus diesen Baumstämmen, die allesamt vorwiegend aus Oberriedner Gärten und dem Sihlwald stammen, wachsen saisonal beispielsweise Austern- und Rosenseitlinge, Kräuterseitlinge oder Shiitake.
«Es ist wetterabhängig, wie die Pilze wachsen.» Wichtig sei, dass ein feuchtes Klima herrsche. Bei der momentanen Hitze müsse der Boden aber nicht unbedingt befeuchtet werden. «Das Wachstum stagniert derzeit einfach und wird im Herbst und Winter weitergehen.»
Strandfeeling im Garten
In einer Ecke im Garten von Stephan Beeler könnte beinahe Strandfeeling aufkommen. Am Boden verstreut liegen Muschelschalen. Pilze mögen Kalk, deswegen experimentiert der Gartenbauer mit Schalen einer invasiven Muschelart aus dem Zürichsee. «Die Schalen geben konstant etwas Kalk in den Boden ab, die die Baumstämme aufnehmen. So sollten die Pilze besser wachsen.»
Vor rund eineinhalb Jahren hat Stephan Beeler dann die Indoorkultur gestartet. Die Pilze im Innern des grünen Fruchtungszelts aus den Substratsäcken wachsen zu lassen, ist eine kleine Wissenschaft für sich: Dazu hantiert Fabian Neck mit Handschuhen und Schutzmaske im hauseigenen Labor. Er selektioniert langfädige Pilzzellen aus einem Pilz und setzt diese auf einen Nährboden in einer Petrischale. So kann sich der Pilz in fadenförmigen Zellen ausbreiten und ein Geflecht bilden.
Dieses wird dann verflüssigt und sterilen Weizenkörnern zugeführt – wo sich das Myzel weiter ausdehnen kann. Nach einiger Zeit erscheinen die Getreidekörner schimmlig und können einem Substrat aus Gips und Laubholz aus dem Sihlwald sowie Strohpellets zugeführt werden. Die weiteren Zutaten seien ein Geschäftsgeheimnis.
Erst dann kann das Substrat in den Säcken im Fruchtungsraum gestapelt werden, wo je nach Sorte nach Wochen oder Monaten die Pilze wachsen. Weil Beeler und Neck die Räume nicht klimatisieren, variiert das Angebot je nach Saison.
Fabian Neck, der gelernte Fachmann Gesundheit, ist vor ein paar Monaten bei Beeler ins Geschäft eingestiegen. Er hat wegen der schlechten Arbeitsbedingungen seinen Job an den Nagel gehängt. «Dank meines alten Jobs bin ich es gewohnt, sehr hygienisch zu arbeiten», sagt der 23-Jährige. Denn Hygiene ist bei der Pilzzucht unabdingbar, damit keine fremden Pilzsporen in die Rohstoffe gelangen. Diese würden sonst den Speisepilz verdrängen.
Zeitintensiv und teuer
Geerntet wird am Morgen. «An guten Tagen können wir täglich 15 Kilogramm Pilze ernten», sagt Beeler. Pro Monat sind es bis zu 400 Kilogramm Frischpilz. Zwei Stunden nach der morgendlichen Ernte liefert Fabian Neck die frischen Pilze mit «dem Firmenauto» – ein Töffli mit Anhänger – aus. «Es ist eine sehr zeitintensive Tätigkeit. Jeden Tag muss jemand von uns beiden für zwei, drei Stunden vor Ort sein, auch am Wochenende.»
Alles, was nicht frisch verwertet werden kann, trocknen die beiden Pilzzüchter bei schonenden 30 Grad. Oder verarbeiten es weiter zu Gewürzpulver. «Wir bieten auch ein Pilz-Jerky an, eine Art Trockenfleischersatz als Snack», sagt Beeler.
Weshalb die Faszination für Pilze? «Es ist ein wenig erforschtes Gebiet und ein spannender Organismus.» Pilze seien von ihren Inhaltsstoffen ähnlich wie Fleisch. «Für ihre Herstellung braucht es aber einen Bruchteil des Wassers verglichen mit der Fleischproduktion.»
Noch können die beiden Pilzzüchter nicht von dieser Tätigkeit leben. «Das Ziel ist es, dass wir irgendwann expandieren können und sich der Aufwand auszahlt», sagt Beeler. Mit dem regionalen Produkt wollen sie «einen kleinen Beitrag für eine bessere Welt leisten».
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