Serie «The Kardashians»So funktioniert Ruhm
In der neuen Realitysoap «The Kardashians» kann man alles über berühmte Menschen lernen, die anderen berühmten Menschen beim Berühmtsein helfen.
Es gibt gute Gründe, die Kardashians nicht zu kennen. Es geht in den zwanzig Staffeln ihrer ersten Doku-Soap um nichts und es passiert wenig – dafür wird sehr viel geredet, über- und miteinander. In Bentleys und in Lear Jets, in Villen und an Pools, im Luxus-Restaurant und auf dem Weg zu Partys. Die fünf Schwestern und ihre Mutter, die im Kern dieser ewigen Erzählung stehen, versichern sich stets wortreich ihrer Zuneigung und Existenz.
Wer noch nie eine Folge gesehen hat, weil die Serie «Keeping up with the Kardashians» bislang vor allem in den USA ein Phänomen war, kann mit «The Kardashians» auf Disney+ einsteigen. Mit der Serie setzen sie das fort, was sie nach ihrer ersten Doku-Soap tränenreich beendet haben: um sich selbst zu kreisen, vor laufender Kamera.
Auch die ersten Folgen ihrer neuen Doku-Soap lassen sich inhaltlich so zusammenfassen, dass die Schwestern ihren Ruhm verwalten müssen und dabei weiter ihr Glück suchen. Kourtney ist mit dem Schlagzeuger der Band Blink 182, Travis Barker, zusammen. Scott, ihr Ex-Freund und Vater der drei gemeinsamen Kinder, muss deswegen getröstet werden. Das übernimmt Schwester Khloé, und flirtet dabei ein wenig mit dem Verflossenen.
Kim hat sich von ihrem Mann, dem Rap-Superstar Kanye West, getrennt. Auch dieser muss getröstet werden, das übernimmt Kim selbst. Politik, Krisen, Kriege – all das kommt in der hochpolierten Welt der Kardashians kaum vor, die Gespräche laufen eher auf der Ebene: «und dann ich so … und dann er so … und dann ich so wieder …»
Es werden Häuser gekauft und eingerichtet, Barbecues veranstaltet, Autos, Klamotten und Schmuck gekauft, geschenkt und hergezeigt. Man kann die Welt, in der die Kardashians sich inszenieren, als oberflächlich, neureich und durchkommodifiziert empfinden. Aber sie ist schöner und sorgenfreier als die Welt, in der die meisten Zuschauer derzeit leben müssen. Und die Protagonistinnen sind dabei durchaus liebenswert. Weil sie bei aller Künstlichkeit natürlich wirken, Anteil nehmen und sich umeinander sorgen, ohne dass man denkt, sie würden sich verstellen.
Kein Unterschied zwischen Marke und Mensch, zwischen Werbung und Weinen
Für etwas Drama sorgt, Achtung Spoiler, auch in der neuen Serie ein altes Sex-Tape von Kim. Nur ist Kim mittlerweile Mutter und ihr Sohn entdeckt die Ankündigung vergangener Sünden auf einem Social-Media-Dienst, während sie sich auf eine Show vorbereitet.
Beim Krisengespräch sitzen die Schwestern und die Mutter in einem begehbaren Kleiderschrank, der einer gesamten Familie Unterkunft bieten könnte. Sie diskutieren untereinander und mit Anwälten, auf dem Smartphone im Lautsprecher-Modus, alles muss ausgesprochen, gezeigt, aufgezeichnet werden.
Auch als Kim zu weinen beginnt, weil sie nicht weiss, wie sie ihre Kinder vor dieser Maximalentblössung schützen soll, bleibt die Kamera drauf und zeigt, dass ihr Gesicht gar nicht mehr weinen kann. Vermutlich der Effekt von Botox und Fillern. Es schauen nur noch die Augen verzweifelt. Das ist brutal, ohne dass allerdings jemand dabei zu Schaden käme. Die Frau weiss genau, was sie tut. Alle anderen auch. Die Stars der Soap sind Geschäftsleute, die eine Ware verkaufen. Und wer denkt, dass diese Ware Intimität sei, hat nichts von modernem Marketing verstanden.
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Man lernt also, wieviel man preisgeben kann, ohne wirklich etwas rauszulassen. Das ist einer der Gründe, warum es sich lohnt, die Kardashians zu kennen. Man hat ja ohnehin schon viel von ihnen gehört und gesehen – die verrückte Ehe mit dem Superstar-Rapper West, mit Musik-Videos, die Auftritte bei Galas und Kims Po, der in der Popkultur irgendwo zwischen dem Lächeln der Mona Lisa und Arnold Schwarzeneggers Muskeln rangiert.
All das ist so bekannt, als handle es sich um eine Adelsfamilie, die dem Volk Stoff liefert. Mittlerweile hat Caitlyn Jenner (früher Bruce Jenner, Vater der Jenner-Schwestern Kendall und Kylie und ein berühmter Leichtathlet) eine eigene Serie. Sie war auf der Titelseite von Vanity Fair, aber auch Gegenstand einiger Witze von Ricky Gervais – sowie einer Twitter-Aufregung wegen dieser Witze und weiterer Gervais-Witzen, wegen der Twitter-Aufregung. Eine Aufmerksamkeitsspirale, die sich unendlich um sich selbst windet.
Diese Spirale machte auch die jüngste Schwester, Kylie Jenner, zur Frau mit den meisten Instagram-Followern weltweit (325 Millionen). Kim steht auf Platz acht (297 Millionen), Khloé auf Platz zehn (231 Millionen). Wenn die Kardashians ihre Follower aktivieren, wird alles ein Hit, egal ob Unterwäsche, Fernsehserie oder Kosmetik-Linie. Das ist keine Schleichwerbung, wie man das früher nannte, es gibt schlicht keinen Unterschied mehr zwischen Marke und Mensch, zwischen Werbung und Weinen.
Kim Kardashian soll in «Saturday Night Live» auftreten. Aber womit?
So wurden die Serie und die Familie ein Laborversuch dazu, wie Ruhm heute funktioniert. Wo Milliarden von Menschen vor Bildschirmen sitzen und anderen Menschen beim Leben zusehen, speist sich Berühmtheit irgendwann von selber. Für die Zuschauer funktioniert das gut, weil man mal mit Kylie schmollen kann, oder mit Kim trösten. Man darf anderen Menschen dabei zusehen, wie sie Probleme lösen, die sie zuvor selber verursacht haben. Normaler Alltag, in rosa Kaschmir.
Wie hoch die Schwestern im Berühmtheits-Klassensystem mittlerweile stehen, erfährt man ebenfalls in der neuen Staffel. Kim Kardashian soll als Gastgeberin in der Comedy-Sendung «Saturday Night Live auftreten» – das ist in den USA das Hochamt für jeden Komiker, Schauspieler oder Entertainer. Sie wundert sich selber darüber, denn sie kann weder singen noch tanzen noch spielen.
Khloé und Kourtney sagen in die Kamera, dass Kim von ihnen am wenigsten Humor hat. Doch Kim Kardashian ist längst ein lebendes Kunstwerk, das sich seine Schöpfer selbst aussucht. Also wird Stand-Up-Grossmeister Dave Chapelle als Autor für den Einstiegsmonolog angefragt. Der verweist auf Michelle Wolf, die Komikerin, die schon Donald Trump sein Präsidenten-Dinner verdorben hat. Die von Wolf geschriebenen Gags geht Kim Kardashian dann aber noch mal mit der «Saturday-Night-Live»-Legende Amy Schumer durch. Die Garderobe für den Auftritt sucht Kanye West aus. Berühmte Menschen helfen berühmten Menschen beim Berühmtsein.
Man kann die Kardashians natürlich auch streamen, ohne sich all diese Gedanken zu machen. Sieht man ein paar Folgen am Stück, wirkt es fast wie Fahrstuhlmusik. Ein bisschen zu schlicht, wenn man genau hinhört, aber im Grunde entspannend.
«The Kardashians» läuft auf Disney+.
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