Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Pro und Kontra
Sind die Streamingdienste heuchlerisch?

Spotify bringt den Protest in die gute Stube.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Ja

Mathias Möller, Redaktor Community und Kultur

So unerträglich die Vorgänge rund um den gewaltsamen Tod von George Floyd sind, so ratlos lassen mich einige Reaktionen darauf zurück. Der «Blackout Tuesday» entfaltete hauptsächlich auf Instagram seine Wirkung, als Nutzer schwarze Quadrate statt der gewohnten Bilder von Fitness, Mode oder Essen teilten. Die Idee, am Dienstag auf den normalen Lauf der Dinge zu verzichten und ihn zur Reflexion oder zum Kennenlernen afroamerikanischer Kulturschaffender zu nutzen, kommt ursprünglich aus der Musikindustrie.

Dementsprechend zeigte sich auch Spotify solidarisch mit der «Black Lives Matter»-Bewegung und präsentierte besonders Musik von People of Color. Die ebenfalls «Black Lives Matter» benannte Playlist wurde speziell für diesen Anlass erstellt. So löblich dieses Schlaglicht ist, ein fader Beigeschmack bleibt. Denn die Aktion ist nur wenig mehr als das Feigenblatt einer Industrie, die in den letzten Jahrzehnten stark von ihren afroamerikanischen Exponenten profitiert hat.

Eine Playlist ist kein Effort, der hilft, Ungerechtigkeit, Polizeigewalt und Rassismus aus der Welt zu schaffen. Immerhin: Spotify erklärte, zwischendurch auch 8 Minuten und 46 Sekunden Stille zu spielen. So lange kniete der Polizist Derek Chauvin auf George Floyds Hals.

Warum hat Spotify nicht einen Tag lang den Dienst komplett verweigert?

Ich hätte mir mehr gewünscht. Warum hat Spotify nicht einen Tag lang den Dienst komplett verweigert? Oder lediglich diese Playlist zum Abspielen freigegeben? Martin Luther King sagte einst: Der Aufstand ist die Sprache derjenigen, die keine Stimme haben. Vielleicht hätte Spotify den aufgestauten Zorn besser zum Ausdruck bringen können? Immerhin, Killer Mike, eine der pointiertesten und radikalsten Stimmen der afroamerikanischen Community, kommt in der Playlist zu Wort.

Mit Kendrick Lamars «Alright» und Childish Gambinos «This is America» sind zwei starke, explizite Stücke aus den letzten Jahren enthalten. Doch insgesamt bleibt die Wut unterdrückt. N.W.A.s Klassiker «Fuck Tha Police» findet sich so weit unten in der Liste, dass ihn die meisten wohl nicht gehört haben werden, ebenso Public Enemys «Fight The Power». Body Counts «Cop Killer», eine der brutalsten und kontroversesten Rap-Hymnen über Polizei und Gewalt, fehlt ganz auf Spotify.

Die Aufgabe von Popkultur ist es, zu unterhalten. Aber fast ebenso wichtig ist die Popkultur als Zeitkommentar, als Finger in der Wunde gesellschaftlicher Missstände. Popmusik muss also auch anecken, schockieren. Das hat Spotify mit dieser Aktion nicht gewagt: Soziales Engagement zeigt man gern, solange es niemandem wehtut. Es bleibt (aus der Sicht eines weissen Mannes, oh, die Ironie!) bei dieser Aktion der Goût des Anbiederns an eine Bewegung. So, wie man bei Instagram am Mittwoch wieder zur Tagesordnung überging, ist die «Black Lives Matter»-Playlist mittlerweile wieder in der Masse des überreichen Angebots auf Spotify versunken.

Nein

Rafael Zeier, Redaktor Digital

Seine Freunde kann man sich aussuchen. Seine Mitstreiter für eine gute Sache nicht. Aber will man das denn?

Die Unruhen in den USA lassen selbst die globalen Grosskonzerne, die sich sonst gern über Landesgrenzen hinwegsetzen und für lokale Entwicklungen kein Gespür zeigen, nicht kalt. Sony hat zum Beispiel die Ankündigung der neuen Playstation verschoben, und Google will das neue Android-Betriebssystem nun später zeigen. Aktuell seien andere Stimmen wichtiger.

Während sich viele Firmen auf Tauchstation begeben, wagen sich andere aus der Deckung. Sportartikelhersteller zeigten sich solidarisch, Netflix und die anderen Videostreamingdienste bekundeten ihre Solidarität, und die Musik-Streamingdienste Spotify und Apple Music zeigten prominent Playlisten mit schwarzen Musikern.

Das ist doch grossartig! Sonst werfen wir Firmen regelmässig vor, dass sie sich nicht genug kümmern, zu egoistisch sind, und nun soll das auf einmal zu viel, zu wenig oder gleich ganz fehl am Platz sein?

Statt zu nörgeln, sollten wir uns über diese unerwartete Schützenhilfe für ein wichtiges Anliegen freuen. Für die Firmen ist dieses Engagement auch keinesfalls eine risikofreie und faule Gelegenheit, ein paar T-Shirts oder Streaming-Abos mehr zu verkaufen.

Den US-Präsidenten und seine Anhänger zu verärgern, kann schnell zu einem Bumerang werden. Gerade im aufgeladenen politischen Klima kann man für eine vermeintlich harmlose Aktion schnell in Teufels Küche kommen.

Ganz spontan und aus dem Bauch heraus kamen diese Solidaritätsbekundungen daher sicher nicht. Die Rechtsabteilung, die Buchhalter, die Lobbyisten und ein Heer von Marketingprofis werden sich das alles vorher genau angeschaut haben. Vielleicht wurde auch das eine oder andere Gutachten erstellt. Schliesslich handelt es sich hier um milliardenschwere Organisationen mit Tausenden Mitarbeitern. Da passiert selten etwas zufällig.

Das wird den Argumenten der «Black Lives Matter»-Bewegung weiter Auftrieb verleihen.

Den Firmen nun aber blankes Kalkül zu unterstellen, ist dennoch unfair. Und vor allem nicht hilfreich. Dass sich mächtige Firmen in die Diskussion einschalten, wird den Argumenten der «Black Lives Matter»-Bewegung weiter Auftrieb verleihen und Menschen damit konfrontieren, die sich in ihren Filterblasen von der Welt abgeschottet haben. Spotify und andere Streamingdienste gelten nicht umsonst als das Radio der Zukunft. Dass die nun nicht nur Dudelfunk sein wollen, ist erfreulich. Und sei es nur mit einer prominenten Playlist.

Gleichberechtigung soll für die gesamte Gesellschaft gelten. Da muss man auch einsehen, dass die Forderung danach nicht nur von einer selbst ernannten Elite vorgetragen werden darf, sondern aus der ganzen Gesellschaft kommen muss. Und da gehören die Grosskonzerne nun mal dazu. Ob einem das gefällt oder nicht.