Nachruf auf Olivia de HavillandSie legte sich mit Hollywoods Studiobossen an – und siegte
Olivia de Havilland wurde mit «Gone with The Wind» weltberühmt. Vor Gericht stärkte sie die Rechte aller Schauspieler. Nun ist sie im Alter von 104 Jahren gestorben.
Die Schauspielerin Olivia de Havilland kam zu einer Zeit nach Hollywood, als Männer in Filmen noch Burgfassaden erklimmen mussten, wenn sie ins Schlafgemach ihrer Lady wollten.
Das amerikanische Kino der Dreissigerjahre zementierte mit seinen Fecht- und Degenabenteuern das Bild vom Mann als kecken Stürmer und Dränger, und das Bild von der Frau als zarter, schmachtender Beute. Auf den ersten Blick war die junge Olivia de Havilland mit ihren sorgfältig gedrehten Locken und dem Rehaugencharme also eine Idealbesetzung für die Standardrolle des hübschen Mädchens, mit dem der Held nach den Strapazen eines Abenteuers belohnt wird.
Und der grösste Held war damals natürlich Errol Flynn mit seinem kecken Oberlippenbärtchen. Er kletterte für Olivia de Havilland unter anderem in «The Adventures of Robin Hood» (1938) an der Burgfassade hoch, um sich mit schelmischem Grinsen einen Kuss bei seiner Maid Marian abzuholen.
Flynn und de Havilland drehten gemeinsam acht Filme und wurden eins der beliebtesten Leinwandpaare der Zwischenkriegsjahre, die gerne als Hollywoods Goldene Ära bezeichnet werden, auch wenn sie das in der Praxis fast nur für die Männer waren. Die Frauen wurden in der Regel mit Knebelverträgen und seichten Rollen als hübsche Sidekicks abgespeist. Darunter hatten Schauspielerinnen in der amerikanischen Filmindustrie, wo die Studiobosse auf Gutsherrenart herrschten, lange zu leiden – bis Olivia de Havilland kam.
Naive Mädchenrollen
Denn nachdem sie sich ein paar Jahre von Errol Flynn hatte küssen lassen (den sie privat äusserst charmant fand), wagte sie etwas, das in Hollywood als Karriereselbstmord galt: Sie legte sich gerichtlich mit dem Filmstudio an, das sie von einer naiven Mädchenrolle zur anderen schubste – denn so hatte sie sich ihren Beruf als Schauspielerin nicht vorgestellt.
De Havilland wurde 1916 in Japan geboren, wo ihr Vater zunächst als Englischprofessor an der Universität von Tokio, dann als Patentanwalt arbeitete. Die Eltern stammten beide ursprünglich aus England. Nachdem die Eltern sich getrennt hatten, zog die Mutter mit den beiden Töchtern nach Saratoga, Kalifornien. Später studierte de Havilland am Mills College in Oakland, wo sie in einer Produktion von Shakespeares «A Midsummer Night’s Dream» die Hermia spielte.
Im Publikum sass der österreichische Emigrant und Theatersuperstar Max Reinhardt, der sich auch im US-Showgeschäft einen Namen machte. Er war beeindruckt von der jungen Frau und besetzte sie für seine eigene Version des «Midsummer Night’s Dream». Aber diesmal stand sie nicht in der Provinz auf der Bühne, sondern in der Hollywood Bowl, dem legendären Freilichttheater von Los Angeles. 1935 drehte Reinhardt auch eine Filmversion des Stücks, seine erste und einzige Regiearbeit in Hollywood, und besetzte wieder de Havilland, ihr Kinodebüt.
Schürzenjäger am Set
Der Auftritt brachte ihr einen Siebenjahresvertrag bei Warner Brothers ein, was einerseits natürlich die Erfüllung eines Traums war, bei den Tausenden von Jungschauspielern, die Jahr für Jahr nach L.A. pilgerten und denen der Erfolg versagt blieb. Andererseits kam sie sich nach einigen Jahren bei Warner wie ein besseres Dressurpferd vor. Sie wurde in hübsche Kleidchen gepackt und musste auf den Happy-End-Kuss warten, während die Männer ihre Hahnenkämpfe mit dem Degen austrugen.
Da Schauspieler damals fest an ein Filmstudio gebunden waren, konnten sie nur mit Erlaubnis ihrer Vorgesetzten für andere Produktionsfirmen spielen. Einmal gelang ihr das, als Warner sie freigab, um 1939 in David O. Selznicks Monsterproduktion «Gone with the Wind» die Rolle der Melanie zu spielen, den weiblichen Gegenpart zu Vivien Leighs Scarlett O'Hara. Der Dreh war eine Tortur, erinnerte sich de Havilland, weil die Grossproduktion mehrfach im logistischen Wahnsinn versank, vor allem aber weil Hauptdarsteller Clark Gable und Regisseur Victor Fleming – laut Havilland «zwei Schürzenjäger» – sich als Obermachos aufspielten.
Gable stieg jedem Mädchen am Set hinterher. Ausserdem fand er es unmännlich, dass er in einer Szene weinen sollte und erklärte sich erst bereit, nachdem sie ihn ewig dazu überredet hatte. Aber trotz der Umstände war diese Melanie, die sie mit 23 spielte, die erste Rolle, bei der sie sich in Hollywood richtig gefordert fühlte – und die ihr prompt ihre erste Oscarnominierung einbrachte.
Das Urteil ging unter dem inoffiziellen Namen «Havilland Law» in die Hollywoodgeschichte ein.
Zurück bei Warner Brothers sollte sie wieder das rehäugige Mädchen spielen, was in den Vierzigerjahren zum Zerwürfnis mit dem Studio führte. Die Warners wollten ihr keine besseren Rollen geben und suspendierten sie eine Zeit lang von ihrem Vertrag, was einem Arbeitsverbot gleich kam. Nach Ablauf des Vertrags wollten sie auch noch eine Entschädigung für die Suspendierung, die sie selbst veranlasst hatten. Das klingt bizarr, war aber damals, als Schauspieler nur als besseres Kameravieh galten, durchaus üblich.
De Havilland wollte sich das nicht gefallen lassen, zog vor Gericht – und siegte. Das Urteil ging unter dem inoffiziellen Namen «Havilland Law» in die Hollywoodgeschichte ein, weil dies das Ende der Knebelverträge der Studioära war. Die Macht der Studiobosse wurde eingeschränkt, die Freiheit der Schauspieler gestärkt.
Nach diesem Befreiungsschlag drehte sie 1946 gleich vier Filme, von denen ihr das Drama «To Each His Own » den ersten Oscar einbrachte. Die Auszeichnung war für de Havilland nicht nur beruflich, sondern auch privat eine grosse Genugtuung. Denn ihre Schwester Joan de Beauvoir de Havilland, die unter dem Namen Joan Fontaine ebenfalls ein Hollywoodstar geworden war, hatte ihr die Trophäe bei der Oscarverleihung 1942 weggeschnappt.
In jenem Jahr waren beide gleichzeitig als beste Hauptdarstellerin nominiert, Olivia für «Hold Back the Dawn», aber Joan gewann für ihren Auftritt in Hitchcocks «Suspicion». Die Schwestern betrachteten sich als Konkurrentinnen und waren lebenslang eifersüchtig aufeinander. Ein Streit, auf den sich die Klatschblätter begierig stürzten, genauso wie auf Olivia de Havillands prominente Liebespartner, darunter Howard Hughes, James Stewart und John Huston.
Während die Welt im Krieg versank, wurden die Vierzigerjahre zu ihrem grossen Jahrzehnt, weil Hollywood gerade wegen des Kriegs zur Fliessbandproduktion angehalten wurde. Die Zuschauer sollten im Kino Ablenkung finden. Sie drehte mit den grössten Regisseuren jener Zeit – Raoul Walsh, John Huston, Robert Siodmak und William Wyler. Letzterer inszenierte sie 1949 in «The Heiress», ein Melodram, für das sie ihren zweiten Oscar gewann.
Obwohl Olivia de Havilland Anfang der Fünfzigerjahre erst Mitte 30 war, begann in diesem Jahrzehnt schon ihr langsamer Rückzug aus dem Filmgeschäft, der zunächst einmal ein Rückzug aus Hollywood war. Sie drehte zwar noch ab und an in Los Angeles – zum Beispiel «My Cousin Rachel» nach Daphne Du Maurier (1952) – zog privat aber nach Paris, heiratete ihren zweiten Ehemann, den Drehbuchautor Pierre Galante.
Von den Sechziger– bis zu den Achtzigerjahren, bevor sie sich ganz aus dem Business zurückzog, drehte sie nur noch sporadisch. Dafür blieb sie der Filmwelt als Chronistin des alten Hollywood erhalten, erzählte wieder und wieder von ihrem Kampf gegen das patriarchale Studiosystem und wurde 1965 die erste weibliche Jurypräsidentin bei den Filmfestspielen von Cannes.
Diese gelegentlichen Auftritte in der Öffentlichkeit genoss sie vor allem deshalb, weil sie eine angenehme Ausnahme waren und sie ihren Rückzug aus der ersten Reihe freiwillig angetreten hatte. «Berühmte Leute haben immer das Gefühl, sie müssten durchgehend auf der Spitze der Welle reiten, ohne sich im Klaren darüber zu sein, dass das allen Regeln des Lebens widerspricht», sagte sie. «Aber man kann nicht immer an der Spitze sein, das ist unnatürlich.» Am Samstag ist Olivia de Havilland im stolzen Alter von 104 Jahren in ihrem Heim in Paris gestorben, friedlich im Schlaf.
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