Endspurt um die Konzerninitiative Seinetwegen zittert die Wirtschaft
Dick Marty führt die Initiative an, die von Schweizer Firmen mehr Engagement für Mensch und Umwelt verlangt. Dass nur wenige aus seiner freisinnigen Partei ihm folgen, beirrt ihn nicht; er ist es gewohnt.
Und so reagiert er gelassen, als er am Bahnhof Bern auf das Tram wartet, ein junger Mann ihn erkennt und sagt: Er sei doch der Dick Marty. Ob er sich nicht schäme, vom serbischen Geheimdienst eine Million Dollar dafür zu bekommen, die Kosovaren zu diffamieren?
«Denken Sie wirklich», gibt der Beschuldigte zurück, «dass ich hier auf das Tram warten würde, wenn ich eine Million Dollar bekommen hätte?» Heiterkeit auf dem Perron.
Marty erzählt die Anekdote, die ihn natürlich gut aussehen lässt, in seinem letzten Buch «Une certaine idée de la justice», das er, der in Neuenburg Recht studierte, in einem eleganten Französisch geschrieben hat.
Anekdote und Buchtitel passen gleichermassen zu ihm – und zu den Leuten, die ihm bei seiner Arbeit begegnet sind. Es geht bei ihm immer um eine Kombination aus Recht und Unrecht, Engagement und Fanatismus, Ohnmacht und Übermacht. Und, wie sich im Gespräch immer wieder zeigt, um Ernst und Unernst.
Staatsanwalt, Staatsrat, Ständerat
Dass Fremde aggressiv auf ihn reagieren, der doch beteuert, nur das Beste zu wollen – er kennt die Erfahrung. Dick Marty, geboren vor 75 Jahren in Sorengo bei Lugano, hat sich in seiner langen Karriere als Jurist, Staatsanwalt, Staatsrat und Ständerat mit allen möglichen Leuten und Organisationen angelegt.
Er war auch in Niger, im Kongo, in Tschetschenien, in Kosovo und in vielen anderen Ländern aktiv, in denen es gefährlich werden kann, seine Meinung zu teilen. Oder schon nur mit ihm zu reden. «Zwei Menschenrechtsaktivisten, mit denen ich zu tun hatte, wurden in der Folge ermordet», sagt er.
Seine Gemütlichkeit täuscht
Als Abgeordneter des Europarats und Mitglied von Menschenrechtsgremien, als Leiter einer Untersuchung gegen geheime Folterlager der CIA und Ermittler gegen das organisierte Verbrechen im Drogenhandel hat er gezeigt, dass er es mit den Grossen aufnimmt. Ein Unerschrockener mit dem Gesicht eines Netten.
Denn man sieht ihm seine Gefährlichkeit nicht an. Ein gut gelaunter älterer Herr sitzt einem in der Casa del Popolo von Bellinzona gegenüber, bequem gekleidet, entspannt im Auftritt; man könnte ihn für einen Rentner im ausdauernden Pausenmodus halten. Es braucht eine ganze Weile, bis man den ehemaligen Staatsanwalt aus ihm heraushört, den Ständerat auch, der in der FDP meistens aus einer Minderheit heraus argumentierte.
Seine Gemütlichkeit täuscht. Dick Marty kennt sich im Diskutieren und Argumentieren und juristischen Herleiten aus. Und er hat eine klare Meinung, die er hartnäckig vertritt.
Dass er immer weiter nach links gedriftet ist und deshalb das Komitee der Konzernverantwortungsinitiative (KVI) mit anführt – das kann er nicht erkennen. Er habe sich nicht verändert, sagt er, sondern seine Partei.
Er will Grenzen für den Kapitalismus
Für ihn ist sein Ja zur KVI eine Folge seiner Überzeugungen. Er halte es eben mit Keynes und nicht mit Hayek, sagt er in Anspielung auf die grossen Widersacher der Wirtschaftstheorie. Marty zieht den Regulator dem Deregulierer vor. Die Wirtschaft brauche Regeln und der Kapitalismus Grenzen, gerade jetzt, in diesen entgrenzt-globalisierten Zeiten.
Während Gegner der Initiative vor zusätzlicher Bürokratie für KMU und unnötigen Klagen warnen, glaubt Dick Marty daran, dass die Initiative den Menschen in den notorisch armen, korrupten und ausgebeuteten Ländern ein wenig helfen wird, sich zu wehren.
«Die FDP hat sich immer mehr dem Druck der Wirtschaft gebeugt und ihre gesellschaftspolitische Aufgabe vernachlässigt.»
«Ich finde es einen Skandal», sagt er, in welchem Ausmass und auf wessen Kosten sich Unternehmen in Afrika oder Südamerika bereicherten, «die ihren Wohnsitz bei uns in der Schweiz haben».
Obwohl die Gegner zuletzt aufgeholt haben, rechnet sich Marty gute Chancen für ein Ja aus. Dabei hofft er am meisten auf die Frauen, weil diese «in wirtschaftlichen Fragen weniger an das Geld denken». Dass einer wie er die Initiative anführt, beruht auf dem Kalkül der Initianten, einen rundum angesehenen bürgerlichen Vertreter ihrer Sache an der Spitze zu haben.
Die Initiative wird von über 130 Nichtregierungsorganisationen, den linken Parteien, den Staatskirchen, manchen Unternehmern und bürgerlichen Abweichlern mitgetragen. «Dass sich alle auf diese Unterstützung geeinigt haben», sagt Marty, «ist eine Leistung für sich.»
Dass die KVI nicht von so vielen freisinnigen Politikern unterstützt wird, kann er nicht leugnen. Dennoch besteht Marty auf der Richtigkeit seiner Position «Die FDP hat sich immer mehr dem Druck der Wirtschaft gebeugt und ihre gesellschaftspolitische Aufgabe vernachlässigt. Und wir vom humanistischen Flügel, wenn Sie so wollen, wurden an den Rand gedrängt.»
«Intelligent und unführbar»
Franz Steinegger hatte Dick Marty als Parteipräsident mehrere Jahre lang unter sich. Heute sagt der Urner Freisinnige über seinen Tessiner Parteikollegen: «Er gehörte zur Gruppe der Intelligenten – sehr frei in seinen Ansichten, schwierig einzuschätzen und unführbar.» Dabei sei er, auch dank seiner intellektuellen und politischen Unabhängigkeit, immer wieder mit guten Vorschlägen gekommen. Das habe parteiintern zu Problemen führen können, «aber in seinem Fall haben sie sich gelohnt».
Dick Marty verkörpere für ihn «das Beste unserer drei Kulturen», sagt Andreas Gross, der Sozialdemokrat, der ähnlich international politisiert wie Dick Marty, nicht nur im Europarat, sondern auch im ehemaligen Balkan oder in Russland. «Von den Welschen hat er das klare Kartesianische, vom Tessin kommt die überbordende Herzlichkeit.»
Und von der deutschsprachigen Schweiz? «Instinktive Bescheidenheit und eine für einen so brillanten Menschen ungewöhnliche Schüchternheit.» Zudem sei Dick Marty «ein fragiler Mensch, den auch Ängste plagen».
Die Gegner werden nervös
Dieser fragile Mensch verstimmt die Wirtschaftsverbände und macht auch andere Gegner der Initiative nervös. Ein Ja ist gemäss Umfragen möglich. Er habe bei einem so umstrittenen Anliegen noch nie so viel offenen Zuspruch erlebt, sagt Dick Marty.
Die Nervosität von Wirtschaft und bürgerlichen Politikern amüsiert ihn. «Ist unsere Initiative denn wirklich so schlimm?», fragt er und zählt die Hürden auf, die ein Kläger zu überwinden hat. Zum Beispiel müssen die Geschädigten ihren Schaden beweisen. Und sie müssen für ihre Klagen viel Geld und Zeit haben. Zudem sollen die Vorgaben für KMU, die nicht in Risikobranchen tätig sind, weniger streng sein.
Gerne hätte man gewusst, was der Zürcher Ständerat Ruedi Noser von seinem Parteikollegen hält, aber der will sich nicht äussern; er kenne Dick Marty nicht, lässt er ausrichten.
Harte Kampagne auf beiden Seiten
Geht wirklich alles so schön auf, wie Dick Marty es behauptet? Dass sowohl die Initianten als auch ihre Gegner ihre jeweilige Position als die einzig vernünftige verkaufen, diese Absurdität kann man in beiden Lagern verfolgen.
So reden die Gegner der Initiative von einem Faktencheck, vergessen aber, zu erwähnen, wen sie dabei zitieren, und was zitiert wird, ist nicht Fakt, sondern Meinung pur. Die Initianten ihrerseits operieren mit einem Film, der genauso tendenziös daherkommt wie die Klagen der Gegner. Das Bergwerk klafft, das Mädchen schaut traurig, die Mütter reden wütend. Zwischendurch geht Dick Marty im nachdenklichen Tempo durch die Tessiner Landschaft und kritisiert in die Kamera hinein.
Aber wie steht es um die Lage vor Ort? Etwa bei der Betonfabrik von LafargeHolcim im nigerianischen Dorf Ewekoro? Wie in vielen anderen Fällen streben die Aussagen der Wirtschaftsvertreter und der Initianten diametral auseinander.
Die Betonfabrik, die sich drohend über Ewekoro erhebt, verursacht seit Jahrzehnten schwerste Umweltschäden. Die Firma teilt mit, dass durch Sanierungen die Staubemissionen in den letzten Jahren halbiert werden konnten. Dass die Fabrik zurzeit immer noch Schadstoffe ausschleudert, dementiert sie nicht. Im Übrigen verweist LafargeHolcim darauf, dass viele Probleme schon früher existierten. Das sei ein Standardargument, sagt Dick Marty, das er von solchen Unternehmen immer wieder höre.
Und er wird weitermachen
Bei einer einzigen Frage sind sich alle einig: Letzten Endes sind es die Konsumenten, die solche Werke in der fernen Dritten Welt billigen. Indem sie die Produkte kaufen, die aus ihnen hervorgehen. «Wir profitieren, ohne uns zu interessieren», sagt Marty dazu. «Das ist ausgesprochen heuchlerisch.»
Was hat ihn eigentlich motiviert, sich in seinem Alter für diese Initiative zu engagieren? «Was ich in Ländern wie dem Kongo oder Bolivien gesehen habe», sagt er: Das habe ihn schockiert und enttäuscht, weil auch schweizerische Unternehmen darunter waren.
Dass sein Kampf für die Konzerninitiative sein letzter wird, glaubt er nicht. Es gebe für ihn, hält er mit leicht ironischem Unterton fest, neben den Waldspaziergängen mit seinem Hund «encore passablement d’engagements».
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