Seilzieh-WM in SurseeFür die Weltmeister gibts eine Packung Willisauer Ringli
Die Titelkämpfe bringen eine Erkenntnis: Die Schweiz ist eine Seilziehnation. Aber wie findet man zu einer Sportart, die aus der Zeit gefallen scheint? Zu Besuch in einer fremden Welt.
Es läuft ein weiteres Mal das Lied «Eye of the Tiger», als die Schweiz diesen Sonntag in Sursee im Halbfinal gegen Deutschland auf den Platz läuft. Diese Musik, die extra für die Seilzieh-Weltmeisterschaft errichtete Arena, das Drumherum mit Bierzelten, etlichen Verpflegungsmöglichkeiten und Livemusik: Man findet sich in einer Atmosphäre wieder, die einem Schwingfest oder schottischen Highland-Games nicht ganz unähnlich ist. Das passt. Als das Schweizer U-23-Mixed-Team souverän in den Final einzieht, absorbiert das eine Ohr die Anfeuerungsrufe der Fans, während das andere die Wiggertaler Blaskapelle wahrnimmt, die im grossen Festzelt neben der Arena ihre Musik zum Besten gibt.
Die Stimmung ist heiter, neben der Sonne lässt sich am Himmel wenig finden ausser am Nachmittag eine kurze Showeinlage einiger Kampfjets. Ob geplant oder nicht, es war allemal nicht unpassend für dieses Setting. Doch das Wichtigste an diesem letzten Tag der Seilzieh-WM, die am Mittwoch mit dem Schülerturnier begann, am Donnerstag und Freitag mit der Club-WM weiterging und am Wochenende mit der WM der Nationalkader ihren Höhepunkt fand, ist eine klare Erkenntnis: Die Schweiz ist eine Seilziehnation.
Die Gastgeber stehen am Schluss im Medaillenspiegel ganz oben. Viermal Gold und fünfmal Silber lautet die eindrückliche Bilanz. Dahinter folgt Taiwan mit ebenso vielen Goldmedaillen, jedoch nur drei silbernen. Es sind auch diese beiden Nationen, die sich am Sonntagnachmittag zum Ende ein eindrückliches Duell liefern. Doch dazu später.
«Die Seilzieh-Gemeinschaft ist eine grosse Familie»
Wie findet man zu einem solchen Sport, den die meisten zuletzt im Turnunterricht praktizierten und der auf den ersten Blick – milde ausgedrückt – ein leicht verstaubtes Image besitzt? Andrea Joller, zweifache Silbermedaillengewinnerin an dieser WM und seit rund 20 Jahren Seilzieherin, ist durch ihren Vater zu diesem Sport gekommen und wegen des grossen Zusammenhalts und Miteinanders geblieben. «Wir reisen zusammen mit dem Team an verschiedenste Orte weltweit und müssen wortwörtlich immer alle am gleichen Strick ziehen und zusammen kämpfen. Das verbindet.» An den internationalen Wettkämpfen treffen die Teams auch immer wieder auf die gleichen Gegner. «Die Seilzieh-Gemeinschaft ist eine grosse Familie», sagt Joller.
Die Sportart hat viel Symbolkraft und ist visuell prägend. Die Bewegungen der Seilzieher leben oft von einer eindrücklichen Synchronität und ästhetischer Ausdrucksstärke. Die Kleidung kommt in einem solch klassischen Retrolook daher, dass sie dem aktuellen Retro-Modetrend in nichts nachsteht, und die Schuhe sind «Marke Eigenbau», wie Weltmeister Christian Zumbühl erklärt.
Von Eishockeyschuhen werden die Kufen abmontiert, stattdessen eine dicke Metallplatte an der Sohle angebracht und für den guten Halt auf dem Boden noch mit Harz beklebt. Auch die Hände werden vor den Kämpfen mit dem Allheilmittel beschmiert, um den Halt am Seil zu verbessern, damit man in den jeweils mindestens zwei Duellen, sogenannten Zügen, pro Gegner auch nicht abrutscht. Für einen Sieg braucht es zwei gewonnene Züge. Gelingt dies keinem Team in den ersten beiden Runden, muss ein Entscheidungszug her.
Dramatik pur zum Schluss
Die Schweizer können diesen Entscheidungszügen meist entgehen, da sie ihre Duelle oft schon vorher für sich entscheiden. Doch im Final der Frauen in der Kategorie 540 kg – das kumulierte Maximalgewicht aller acht Athletinnen eines Teams – kommt es in dramatischer Art und Weise und zuungunsten der Gastgeberinnen zu einem solchen.
Die Schweizerinnen gewinnen unter tosendem Applaus den ersten Zug und sind beim zweiten nahe dran, die Markierung der Gegnerinnen aus Taiwan über die Mittellinie zu ziehen. Doch dann passiert das Malheur, und der Schiedsrichter zeigt sich nicht grosszügig. Er verwarnt die Schweizerinnen, weil sie abermals im Dreck liegen, ein drittes Mal, was die Niederlage im zweiten Zug bedeutet. Im Entscheidungszug wirkt das Heimteam dann ausgepowert und kann sich nicht mehr gegen die Kräfte der Asiatinnen wehren. Die Schweizerinnen werden dennoch vom Publikum gefeiert, können aber die Tränen nicht zurückhalten. «Die Enttäuschung sitzt tief. Es tut weh», sagt Andrea Joller danach.
Bei den Männern in der Kategorie 640 kg läuft es im Final eindeutig runder. Sie lassen gegen die Niederländer nichts anbrennen und sorgen in der Arena für mächtig Lärm. «Siebenmal pro Woche haben wir in der Vorbereitung trainiert», sagt Christian Zumbühl im Anschluss an den Triumph. «Wir haben das Glück, dass wir zwei sehr gute Teams haben, die miteinander trainieren können (in der Kategorie 680 kg gewannen die Schweizer ebenfalls Gold, Red.).»
Verdientermassen dürfen sie sich später bei der Siegerehrung die Goldmedaille umhängen lassen. Dazu gibt es einen weiteren Preis – je eine Packung Willisauer Ringli.
Es sind eben nicht die Siegerpreise, die zählen in diesem Sport, der über alle Wettkampftage laut Organisatoren über 15’000 Zuschauerinnen und Zuschauer anzog. Es ist vielmehr die mitreissende Erfahrung, wie viel möglich ist, wenn alle gemeinsam in die gleiche Richtung ziehen.
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