Auf Social MediaSchweizer verbreiten russische Propaganda
Sie tragen Badges der Wagner-Truppe und verherrlichen auf Tiktok und Telegram Putins Angriffskrieg. Fachleute warnen davor, dass die Botschaften zunehmend gehört werden.
Der Mann mit dem Pseudonym Vladimir333618 spricht Hochdeutsch mit Schweizer Akzent – und wendet sich fast täglich an seine Follower auf Tiktok und Telegram. In kurzen Botschaften äussert er sich zum Krieg in der Ukraine und verbreitet dabei die Sicht der russischen Regierung. Dabei wird schon ohne Worte klar, auf welcher Seite er steht. Auf seiner Jacke hat er die russische Flagge aufgenäht – und das Logo der russischen Söldnertruppe Wagner.
Wenn seine Arbeit als Kranführer bei einem Innerschweizer Bauunternehmen beendet ist, nutzt er für seine prorussischen Videobotschaften gleich mehrere Konten und spricht dort über «die Kriegstreiber in Kiew» und sagt, dass Russland ja auf der Seite des deutschen Volkes stehe. Er sei in Berlin gewesen, an den Bauernprotesten, postete er kürzlich in einer Videobotschaft. Die Leute dort seien sich einig: «Die Regierung muss weg.»
Auch der Polit-Aktivist Wilhelm Wyss postet regelmässig Beiträge im Sinn der russischen Regierung. Es sei eine «wahre Schande», dass der Bundesrat «den korrupten Kriegstreiber» Selenski empfange, anstelle «der russischen Befreier, die täglich ihr Leben für den Frieden in Europa hingeben», schreib Wyss auf X. Knapp 10’000 Menschen sahen seinen Post. Wyss ist ehemaliges Vorstandsmitglied der SVP Münchenstein und engagiert sich heute im konservativen Verein für Ehe und Familie, dem er als Präsident vorsteht. Zuletzt gründete er mit Gesinnungsgenossen den Verein Russisch-Schweizerischer Freundschaft, wo er als Mediensprecher amtet.
Propaganda zielt darauf ab, die Gesellschaft zu spalten
Auf Social Media finden sich Dutzende solcher Konten, die auf den ersten Blick unabhängig sind, auf den zweiten jedoch die Sicht des Kreml auf den Westen und den Krieg in der Ukraine verbreiten. Mykola Makhortykh ist Assistent am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern und forscht zum Thema Manipulation im Internet. Gemeinsam mit Kollegin Aleksandra Urman untersucht er Kreml-Propaganda auf Social Media. Es sei schwierig einzuschätzen, ob die Propaganda im Laufe der Zeit zugenommen habe. Zwar habe sich ihr Umfang in den vergangenen Monaten nicht wesentlich verändert, sie sei jedoch «sichtbarer und wirksamer geworden», so Makhortykh.
Mit ein Grund dafür, laut Makhortykh: Die ukrainische Offensive im vergangenen Jahr war nicht so erfolgreich wie erwartet. Deshalb habe die Kriegsmüdigkeit in der Ukraine und im Westen zugenommen. «Die russische Propaganda zielt darauf ab, die Gesellschaft zu spalten». Je gespaltener die Gesellschaft, umso sichtbarer werde die Propaganda, «insbesondere wenn einige ihrer Behauptungen mit der Agenda der lokalen politischen Akteure übereinstimmen».
Es sei klar, dass Russland aktiv versuche, Menschen im Westen zu beeinflussen, sagt Aleksandra Urman. Ein Beispiel dafür sei der Fernsehsender Russia Today (RT), der sich an ein ausländisches Publikum richte, aber direkt mit der russischen Regierung verbunden sei. Der Sender wurde 2022 in der EU verboten, jedoch nicht in der Schweiz. In den vergangenen Wochen berichtete RT intensiv über das WEF in Davos – aber auch über die Bauernproteste in Deutschland. Gefährlicher seien jedoch Propaganda-Beiträge auf Social Media, weil sie keine eindeutige Urheberschaft hätten. «Dies trägt vielleicht dazu bei, einen gewissen Einfluss zu haben – selbst auf Menschen, die Russland gegenüber skeptisch sind», so Urman.
Über Quellen und Inhalte kritisch nachdenken
Man müsse sich stärker bewusst werden, dass Russland und auch andere autokratische Regimes aktiv versuchten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Es sei deshalb notwendig, kritischer über die Quellen der Inhalte nachzudenken und auch darüber, wessen Interessen und Werte durch die verschiedenen Inhalte gefördert werden, sagt Urman. «Ist es etwas, das mit den Schweizer Werten wie Demokratie und Redefreiheit übereinstimmt, oder ist es das Gegenteil?»
Putin-Freund Wilhelm Wyss verbreitet derweil unbeirrt weiter russische Staatspropaganda. 2023 verliess er die SVP-Sektion, in der er als Vorstandsmitglied aktiv war, und kam so seinem Ausschluss zuvor. Der wurde öffentlich gefordert, nachdem Wyss den besetzten Gebieten im Osten der Ukraine zu ihrem Referendum über den Anschluss an Russland gratulierte und auf X schrieb: «Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja sind endlich wieder mit Russland vereinigt! Ein schwerer Schlag für die Globalisten.»
In einer Stellungnahme streitet Wyss ab, dass die russische Regierung autokratisch sei und in der Ukraine das Völkerrecht verletzt habe, da es «gar keinen Angriff gegen die Ukraine gegeben» habe. «Es handelt sich lediglich um eine Intervention in einem Bürgerkrieg, verursacht durch die USA», so Wyss.
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