Einfluss der Tabaklobby Nur Dom-Rep ist noch lascher als die Schweiz
Lobbying und Preisfreiheit statt Prävention und Regulierung: Ein Ländervergleich sieht die Schweiz als Zufluchtsort und Marketinglabor für die internationalen Tabakkonzerne.
Die multinationalen Tabakkonzerne hätten die Schweiz als ihren weltweiten Zufluchtsort gewählt, von dem aus sie in aller Ruhe und Sicherheit ihre globalen Aktivitäten planen könnten, analysiert der internationale Tabaklobby-Index 2021. Der weltweite Nettoumsatz der drei der hier ansässigen Konzerne Philip Morris International, British Tobacco sowie von Japan Tobacco International lag 2019 bei über 80 Milliarden Franken.
Insgesamt 80 Länder wurden für den Bericht genauer unter die Lupe genommen, erstmals auch die Schweiz. Diese landet auf dem unrühmlichen zweitletzten Rang, wie der demnächst offiziell publizierte Bericht zeigt.
Langes Sündenregister
Der Index führt ein langes Sündenregister auf, das zu dem schlechten Abschneiden der Schweiz geführt hat. Hier die wichtigsten Beanstandungen.
Verflechtungen: In der Schweiz gebe es keine formellen Vorschriften gegen die Beteiligung der Tabakindustrie an der öffentlichen Gesundheitspolitik. Regierungsratsmitglieder oder Parlamentarier würden beispielsweise an Treffen oder gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen, die von der Tabakindustrie organisiert oder gesponsert würden. So verschafften sich die Lobbyistinnen und Lobbyisten Zugang zu den Entscheidungsträgern. Als besonders stossendes Beispiel wird der «Skandal» der Weltausstellung in Dubai 2020 aufgeführt. Erst auf massiven Druck von Ärztinnen, Gesundheitspolitikern und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sah Aussenminister Ignazio Cassis davon ab, den Schweizer Pavillon durch den Tabakkonzern Philip Morris mitfinanzieren zu lassen. Die Verfasserinnen und Verfasser des Index stören sich auch daran, dass Politiker wie der SVP-Nationalrat Gregor Rutz als Präsident der Vereinigung des Schweizer Tabakwarenhandels für tabakfreundliche Gesetze lobbyieren können. Lobbywatch rechnet neben Rutz auch Ständerat Hannes Germann (SVP) sowie den Nationalrat Alois Gmür (Die Mitte) der Tabaklobby zu.
Transparenz: Der Bericht hält fest, dass es in der Schweiz kein Gesetz gibt, das die Bundesverwaltung verpflichtet, Treffen oder Interaktionen mit der Tabakindustrie öffentlich bekannt zu geben. Zudem wird kritisiert, dass die Steuervereinbarungen der Kantone mit den Tabakkonzernen nicht öffentlich gemacht werden. Das führe zu undurchsichtigen Steueroptimierungen.
Preispolitik: Als grossen Sieg der Tabakindustrie wertet der Index, dass die Besteuerung von Tabakwaren 2013 eingefroren wurde. Damit liege die Schweiz mit 60,3 Prozent weit unter den von der WHO empfohlenen 75 Prozent. Damals wurde die Tabaksteuer um zehn Rappen erhöht.
Prävention: Derzeit habe die Tabakindustrie praktisch keine Einschränkungen in der Art und Weise, wie sie ihre Produkte in der Schweiz vermarkte. Schlecht weg kommt auch das erst kürzlich von den beiden Räten verabschiedete Tabakproduktegesetz. Tatsächlich gelten in der Schweiz trotz den mit dem neuen Gesetz eingeführten Werbebeschränkungen für Zigaretten die am wenigsten strengen Vorgaben im europäischen Vergleich. Demnach gilt neu zwar ein Werbeverbot auf Plakaten, in Kinos, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden sowie auf Sportplätzen. Werbung in der Presse und im Internet ist aber auch künftig nicht grundsätzlich verboten, ausser in Radio und TV.
5,6 Milliarden Franken Schaden
Das Fazit des Index: Tabak sei in der Schweiz breit verfügbar, und die gesundheitlichen Folgekosten des Rauchens seien enorm. 28’000 Verkaufspunkte hat der Bericht ausfindig gemacht, vom Tankstellenshop bis hin zu Supermärkten. Die Dichte der Verkaufsstellen sei etwa zehnmal so hoch wie in Frankreich. Das habe fatale Folgen: 2017 rauchten in der Schweiz mehr als 27 Prozent der Bevölkerung, bei den Jungen (15 bis 24 Jahre) waren es sogar 31 Prozent.
Damit liegt die Schweiz knapp über dem europäischen Schnitt. Der Tabakkonsum verursache in der Schweiz jährlich 9500 oder knapp 15 Prozent aller Todesfälle, bilanzierte kürzlich der Bundesrat. Die volkswirtschaftlichen Kosten bezifferte er auf 5,6 Milliarden Franken pro Jahr.
Trotz dieser Analyse unterstützen Bundesrat und Parlament die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» nicht, welche am 13. Februar zur Abstimmung kommt. Das verlangte Werbeverbot verletze die Informations- und Gewerbefreiheit. Man wolle damit Leute umerziehen, warnte etwa Gregor Rutz. Und sein Parteikollege Andreas Glarner verunglimpfte die Initiantinnen und Initianten als «lebensfeindliche Gesundbeter» und «links-grüne Ökofundamentalisten».
Die emotionale Debatte im Nationalrat im Sommer gibt einen Vorgeschmack auf den Abstimmungskampf, der mit dem jetzt publizierten Tabaklobby-Index noch zusätzlich angefacht werden dürfte.
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